Kerstin Holzer – Thomas Mann macht Ferien

Zwei Sommermonate am Tegernsee, ein Landhaus in grandioser Natur mit eigenem Bootssteg inklusive Ruderboot und malerischem Garten, in dem die Kinder und der Hund herumtoben können. Das klingt einfach wunderbar. Und irgendwie ist es das auch im sommerlich leichten, wunderbar unterhaltsamen und warmherzigen literarischen Sachbuch Thomas Mann macht Ferien von Kerstin Holzer.

Aber die Manns sind bekanntermaßen eine etwas schwierige Familie, besonders der Vater Thomas tut sich oftmals schwer mit dem Leben, seinen Kindern, dem Alltag. „Pimperling“ nennt ihn die Schwiegermutter Hedwig Pringsheim, nicht ohne eine gewisse Zuneigung. Schließlich ist ihre geliebte Tochter Katja anscheinend glücklich mit dem oftmals mit sich und der Welt ringenden Schriftsteller, auch wenn sie das Familienleben mit der turbulenten, mittlerweile fünfköpfigen Kinderschar quasi allein managen muss. Und so wächst sich auch die Abreise aus München – mit Bergen an Gepäck – zur gemieteten Villa Defregger am Ringsee zu einem wahren Chaos aus. „Manns endlich nach Tegernsee“ seufzt die resolute Hedwig Pringsheim dann auch am 15. Juli 1918 erleichtert auf.

Sommer 1918

Es ist der letzte Kriegssommer und die Nachrichten sehen für einen deutschen Sieg immer düsterer aus – was eigentlich nur Thomas bekümmert, schließlich hat er viel Zeit und Überzeugung in seinen 600 Seiten dicken Wälzer „Betrachtungen eines Unpolitischen“ gesteckt, der den Krieg, Deutschlands Tugenden und die Monarchie bejubelt und sehr reaktionär daherkommt. Der jetzt kurz vor der Veröffentlichung steht, dabei ist es offensichtlich, dass er von der Historie überrollt und alles andere als zeitgemäß ist. Einen Stopp der Veröffentlichung hat Thomas Mann nicht mehr erreichen können, nun hat er Angst vor den Konsequenzen. Wie werden die Kritiken lauten, wird er damit noch mehr zum Außenseiter werden?

Denn ein Außenseiter zu sein – wegen seiner versteckten homoerotischen Neigungen, seinem damit verbundenen Selbsthass, seiner Zerrissenheit zwischen der aus seiner Lübecker Kaufmannsfamilie mitgenommenen Sehnsucht nach Ordnung, Bürgerlichkeit, Ruhe und jener nach künstlerischem Leben, Freiheit, Boheme – fürchtet er schon sein ganzes Leben. Hinzu kommt die Dualität mit seinem Autoren-Bruder Heinrich, der als erklärter Demokrat nun auf der richtigen historischen Seite zu stehen scheint. Die politischen Divergenzen haben die Brüder auseinandergetrieben, eine Versöhnung wird erst die Zukunft bringen.

Leider zwingen Thomas Mann einige noch zu machende Korrekturen, das unselige Werk, das er mittlerweile bereits bedauert, auch mit in die Ferien zu nehmen. Dabei träumt er schon von seinem geplanten Meisterwerk, dem „Zauberberg“. Und arbeitet am Tegernsee intensiv an seiner Novelle „Herr und Hund“. Auch Familienhund Bauschan ist mit in die Sommerfrische gefahren und die Spaziergänge mit ihm am See gehören zu Manns schönsten Stunden. Für Kerstin Holzer gint das die Gelegenheit, wunderschöne Landschaftsbeschreibungen in den Text einzufügen. Man merkt ihr die eigene Nähe und Liebe zum See an.

Das Kindchen, der Hund und die Natur

Was Thomas Mann im Moment sehr beglückt, ist die große Liebe, die er zu seiner jüngsten Tochter Elisabeth empfindet, die gerade mal drei Monate alt ist und die immer sein Lieblingskind bleiben wird, das „Kindchen“. Auch für ihn selbst ist das einigermaßen überraschend, denn er ist ja bereits zum fünften Mal Vater geworden und hat mit seinen vier älteren Kindern ein durchaus nicht immer konfliktfreies Verhältnis.

Die für ihn neuen zärtlichen Gefühle, seine starke Verbundenheit mit Bauschan und eindrückliche Naturerlebnisse, z.B. bei einer Wanderung auf den 1670 m hohen Hirschberg könnten laut Kerstin Holzer Auslöser einer sowohl literarischen als auch politischen Wandlung des Autors sein. Sie mutmaßt, dass dieses „weicher Werden“ dazu beitrug, dass „Der Zauberberg“ zu so einem letztlich so humanistischen Roman wurde. Und dass damit auch die „Demokratisierung“ der politischen Ansichten Manns eingeleitet wurde. Wer weiß, vielleicht stimmte auch das Alter – Mann war mittlerweile 43 – milder. Oder die Lektüre von Adalbert Stifter, die er mit am See hat.

Aber es ist natürlich auch nicht alles nur Idyll, damals am Tegernsee. Sommer 1918 bedeutet eine schwierige Versorgungslage, auch für die wohlhabenden Manns ist das nicht ganz einfach. Brennstoff- und vor allem Lebensmittelknappheit zwingen zu oft kargen oder außergewöhnlichen Mahlzeiten. Katja ist oft unterwegs, um von den umliegenden Bauern etwas zu „hamstern“. Jeder Regenschauer lässt die Kinder ausströmen, um mit eingesammelten Schnecken den Mittagstisch zu bereichern. Und regnen tut es oft in jenem Sommer. Zahnschmerzen plagen den Autor und finanziell hat er sich mit dem Ankauf von Kriegsanleihen ordentlich verspekuliert. Und dann haben sich noch die Schwiegereltern angekündigt. Hedwig Pringsheims Meinung zu seinen Betrachtungen ist entschieden. Sie, die Tochter der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, ist entschieden liberal und pazifistisch eingestellt.

Ein wohltuend anderes Bild

Thomas Mann macht Ferien umfasst lediglich knapp 200 Seiten, in denen Kerstin Holzer aber so detailreich wie atmosphärisch diese acht Wochen im Leben der Familie Mann umschreibt. Es gibt reichlich Material über die Zeit, Tagebucheintragungen, auch von Hedwig Pringsheim, Briefe. Diese in einen sehr unterhaltsamen, dabei aber präzisen Text zu fassen, der ein wohltuend anderes Bild Thomas Manns zeichnet – sowohl abseits des Säulenheiligen als auch des als kalt, narzisstisch und verklemmt geschmähten Autors – ist das große Verdienst des Buchs. Thomas Mann tat sich sicher schwer mit dem Leben, sein Hadern zwischen Sehnsucht und Entsagung, sein Narzissmus und seine Pedanterie sind gerne Inhalt von Biografien, sehr gern auch seine homoerotischen Neigungen und seine pädagogischen Defizite als Vater. Dass er auch ein sehr progressiver Ehemann und antiautoritärer Vater war, witzig, treu und sensibel. bringt Kerstin Holzer zur Sprache. Eben ein facettenreicher, alles andere als eindimensionaler Mensch.

Thomas Mann macht Ferien ist ein sommerleichtes literarisches Sachbuch, sanft spöttisch und atmosphärisch. Und dabei keineswegs voyeuristisch. Es empfiehlt sich, es mitzunehmen, falls man selbst Ferien macht.

 

Beitragsbild: Katia Mann in Abwinkl am Tegernsee. Brustbild, Elisabeth Mann auf den Armen tragend, Public Domain, ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Richard Hallgarten / TMA_1071

 

Kerstin Holzer - Thomas Mann macht Ferien.

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Kerstin Holzer – Thomas Mann macht Ferien
Kiepenheuer&Witsch April 2025, 208 Seiten, gebunden, € 22,00

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