Ich müsste eigentlich gar nicht so viel zu Buch und Autorin schreiben. Ihr habt Die Holländerinnen von Dorothee Elmiger in den letzten Wochen und Monaten sicher sehr oft gesehen, davon gehört, darüber gelesen. Eine geradezu enthusiastische Aufnahme durch die Literaturkritik und die Auszeichnung mit gleich drei der bedeutendsten und bestdotierten Preise für deutschsprachige Literatur ließ den Gedanken aufkommen, dass es im Moment kein auch nur annähernd an die Qualität dieses gewiss außergewöhnlichen und interessanten Romans heranreichendes Werk geben würde. Das führt natürlich zu einer enormen Medienaufmerksamkeit. Die Rezeption in der Leser:innenschaft war eher gemischt. Von Begeisterung bis „kann ich nichts mit anfangen“ war so ziemlich alles dabei.
Ich habe Die Holländerinnen nach anfänglicher Zurückhaltung – tatsächlich erst, nachdem das Buch auch den Bayerischen Buchpreis gewann – ganze dreimal gelesen bzw. gehört und habe der äußerst sympathischen Autorin bei der Preisträgerlesung der Deutschen Bank Stiftung zugehört. Ich wollte unbedingt herausfinden, was es mit dieser Geschichte um eine Schriftstellerin, die an einer Universität eine dreiteilige Poetikvorlesung hält und dabei von der Recherchereise einer Theaterproduktion an bzw. in den tropischen Urwald „zwischen den Wendekreisen“ und den dort von Mitgliedern der Reisegruppe gehörten Erzählungen berichtet, auf sich hat. Die Reise, von der erzählt wird, sollte der Vorbereitung eines Theaterprojekts dienen, das einen zehn Jahre zurückliegenden realen Fall als Inspiration nutzt.
Zwei Holländerinnen erschwinden im panamaischen Urwald
Angelehnt ist dieser „Fall“ an den der zwei niederländischen Touristinnen, die im April 2014 während einer Wanderung in Panama verschwanden und von denen Monate später lediglich Knochenfragmente gefunden wurden. Widersprüchliche Beweise, Zeugenaussagen und Gerüchte machten das Ganze trotz vieler ausgewerteter Spuren wie Handyverläufe, Fotos etc. zu einem Mysterium, das bei True-Crime-Fans eine Art Kultstatus erreichte.
Datierung und einzelne Fakten distanzieren sich in Dorothee Elmigers Roman von diesem realen Ereignis, dessen Aufklärung – Verbrechen oder Unfall? – immer noch aussteht. Aber als Hintergrundrauschen begleitet es den Text. Es dient dem Aufbau des Unheimlichen, Beängstigenden, kaum zu Fassenden, das der ganze Text verbreitet.
Der besagte Theatermacher lädt die Schriftstellerin und u.a. einen Dramaturgen, einen Kameramann, eine Kostümbildnerin, ja einen kompletten Mädchenchor aus der niederländischen Stadt Leiden zu der vorbereitenden Reise ein. Die Truppe sitzt dann überwiegend in ihrer Unterkunft und unterhält sich. Erst Tage später macht man sich zu einer etwas merkwürdigen, schlecht geplanten Wanderung auf den Spuren der Verschwundenen auf. Aber auch da stehen – trotz einiger Verirrungen, einsetzendem Tropenregen und einer ungeplanten Übernachtung – vorwiegend die während der Wanderung erzählten Geschichten im Zentrum.
So erhält man mit Die Holländerinnen von Dorothee Elmiger den Bericht eines am Rande agierenden Erzählers (oder einer Erzählerin) über eine Poetikvorlesung, in der von Erzählungen berichtet wird, die eine Autorin auf ihrer Reise gehört hat. Nicht selten erzählen diese Geschichten wiederum über etwas, das selbst nur aus zweiter Hand stammt. Erzählungen über Erzählungen von Erzählungen quasi, die in einer Vorlesung referiert werden.
Ein Roman im Konjunktiv
Klingt kompliziert? Ist es aber eigentlich nicht. Und das, obwohl fast der komplette Text in indirekter Rede und folglich im Konjunktiv verfasst ist. Etwas, das zumindest einen der Juroren des Bayerischen Buchpreises – aber vermutlich nicht nur diesen – in Entzücken versetzt hat. Und tatsächlich ist es bewundernswert, wie leicht sich der Roman liest. Und das trotz der reichlich verwendeten Symbolik, der zahlreichen Metaebenen und der vielen Referenzen, die Dorothee Elmiger verwendet. Gleich zu Beginn wird auf Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ verwiesen, auf Francis Ford Coppolas „Apocalypse now“, auf Werner Herzog und seinen „Fitzgeraldo“. Aber auch Walter Benjamin, Thomas Bernhard, Theodor W. Adorno und etliche andere werden herangezogen. Selbst wenn man mit diesen Referenzen wenig anfangen kann, liest sich das Buch trotzdem weitgehend anstrengungslos.
Nur – und das verführte mich zum dreimaligen Lesen/Hören – warum soll ich das lesen? Was will mir das Buch vermitteln, abseits seiner Sprachgewalt, seiner Bildermacht, seiner Originalität? Ich habe es auch nach mehrmaliger Lektüre nicht wirklich herausgefunden. In den meisten Rezensionen wird das Unbehagen an der Gegenwart, eine ungreifbare Angst angesichts vieler verlorener Sicherheiten in der letzten Zeit, auch ein Zweifel an der Sprache, der Möglichkeit, die Gegenwart in Worte zu fassen, als zentrale Sujets angeführt. Und ja, der Text transportiert ein Gefühl des Unheimlichen, der diffusen dunklen Ahnungen. Er ist eigenwillig und originell. Mit lediglich 160 Seiten dazu extrem verdichtet.
Originell, sprachmächtig – doch wozu?
Und doch verliert er sich für mich zu sehr in Einzelheiten und Spielereien – auch das natürlich vielleicht als Sinnbild unseres reizüberfluteten Alltags -, versanden die vielen Geschichten und machen das Ganze damit für mich diffus und wenig berührend. Mit Die Holländerinnen ist Dorothee Elmiger sicher ein äußerst origineller, sprachmächtiger Roman gelungen, der gewiss auch preiswürdig ist. Ein intellektuelles Vergnügen. Dass er alle anderen Romane des Jahres 2025 durch die Preisentscheidungen derart in die zweite Reihe stellt, ist dennoch für mein Dafürhalten eher bedauerlich.
Beitragsbild by Kevin Casper CC0 via Publicdomainpictures.net
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Dorothee Elmiger – Die Holländerinnen
Hanser Verlag August 2025, 160 Seiten, Hardcover, 23,00 €








Vielen Dank für diese Rezension! Ich zögere immer noch das Buch zu lesen – obwohl es nur 160 Seiten hat und sicher sehr interessant ist -, aber mir stellt sich auch die Frage: Warum soll ich es lesen? Ich habe noch keine überzeugende Antwort gefunden und sehe meine Zweifel hier bestätigt. Es gibt so viele andere schöne Bücher, die mich gerade mehr reizen. Aber man soll ja nie nie sagen. 🙂