Dilek Güngör – Ich bin Özlem

Dilek Güngör – Ich bin Özlem

„Ich bin Özlem. Meine Eltern kommen aus der Türkei.“

Obwohl Özlem nur wenige Urlaube in der Türkei verbracht hat, sie wenig mit der türkischen Kultur und noch weniger mit dem islamischen Glauben verbindet, einen deutschen Ehemann und zwei Kinder mit nicht-türkischen Namen hat, dazu deutsche Freunde, einen deutschen Pass und eine komplett deutsche Sozialisation – immer wieder taucht er auf, der sogenannte „Migrationshintergrund“.

Immer wieder wird Özlem mit Zuschreibungen konfrontiert, sei es wenn eine Freundin mit ihr zum Tag der Moscheen gehen möchte, weil „du kannst mir dazu sicher was erzählen“, sei es wenn sie immer wieder gefragt wird, woher sie „eigentlich“ komme. Da ist wenig Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit, mehr Gedankenlosigkeit und Unbedachtheit. Und doch ist es eine Art von Ausgrenzung – Wir und du, die du nicht so bist wie wir, wenigstens nicht so ganz. Dabei weiß Özlem selbst meist nicht so genau, ob ihr Gegenüber sie nur besser kennenlernen will, an ihr interessiert ist, oder sie nur in eine der Schubladen stecken will, die wir Menschen so gerne mit uns herumtragen.

Da ist Özlem selbst die, die diese Schublade vielleicht am häufigsten aufzieht. In vorauseilendem Gehorsam quasi. Oder warum bringt sie immer wieder türkisches Essen mit, warum erzählt sie immer wieder Anekdoten von ihrer türkischen Verwandtschaft und schiebt immer wieder dieses „Meine Eltern kommen aus der Türkei“ hinterher?

Dabei hat sie an ihre türkische Herkunft und Identität fast nur unangenehme Erinnerungen und fühlt eine unbezwingbare Scham. Immer wieder holen die Vorurteile über den lauten, nach Knoblauch riechenden, unsauberen „Türken“ sie ein. Fast alle davon stammen aus ihrer Kindheit, in der sie die Kluft zwischen sich und den „echten“ Deutschen am stärksten gespürt hat.

„Man entkommt dem nicht“ muss sie feststellen, und das ist sicher auch das Fazit der Autorin, der Journalistin, Kolumnistin und Übersetzerin Dilek Güngör, auch sie 1972 bereits in Deutschland, in Schwäbisch-Gmünd geboren.

Sensibel und vielleicht überempfindlich reagiert Özlem auf Bemerkungen ihrer eigentlich völlig aufgeschlossenen und liberalen Freunde. An der Diskussion über die geeignete Schule für den Nachwuchs – möglichst nicht die mit dem hohen Migrantenanteil – entzündet sich ein Disput, der die Freundschaft ins Wanken bringt und Özlem zum Nachdenken. Identität und Herkunft, vielleicht sind das Dinge, die sie mehr als andere Leute umtreiben. Vielleicht zu sehr.

„Weißt du, ich pflege das und hätschele es, ich weiß nicht einmal, wie ich es nennen soll, mein Identitätsmantra. Ich habe mich da gut eingerichtet.“

Sensibel, genau und selbstkritisch beleuchtet Dilek Güngör die Suche ihrer Protagonistin nach einer Versöhnung von Herkunft und Identität und die Gedankenlosigkeit ihrer Umwelt. Sie tut das ohne Belehrung oder gar Anklage, sie schaut und weist nur hin. Nicht zwischen zwei Kulturen zu stehen, sondern inmitten der beiden, nicht entweder oder.

Das wäre dann wirklich Zuhause.

Lektüre März

Beitragsbild: Chemnitz-Zuhause Photo: Andreas Praefcke [CC BY 3.0] via Wikimedia Commons

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Dilek Güngör - Ich bin Özlem.

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Dilek Güngör – ICH BIN ÖZLEM
Verbrecher Verlag Februar 2019, Hardcover, 160 Seiten, 19,00

8 Gedanken zu „Dilek Güngör – Ich bin Özlem

  1. Ich habe die Autorin bei der Lesung der unabhängigen Verlage in Leipzig gehört und war sofort sehr angetan: Sensibel ja, aber auch mit sehr viel Humor und Einfühlungsvermögen. Mir haben die Ausschnitte, die ich gehört habe, sehr gut gefallen.

  2. Liebe Petra,
    da hast du mich auf ein sehr interessantes Buch aufmerksam gemacht! Es ist nichts Neues aber es ist genau das, was gerade viele Menschen in Özlems Situation umtreibt. Zu teilen trifft es auch auf mich zu und dann auch erst recht später mal auf meine Kinder. Das Buch habe ich mir gemerkt.
    GlG, moner

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