Davide Coppo lässt einen jungen Mann zurückschauen – vom Jahr 2006 zurück auf ein Ereignis 2004, das ihm einen langen Hausarrest einbrachte, aber auch weiter zurück bis ins Jahr 2000, als er sein letztes Jahr auf der Mittelschule in der Nähe von Mailand verbrachte – Der Morgen gehört uns ist ein Roman über eine politische und persönliche Radikalisierung.
Ettore, der Ich-Erzähler, der am Ende knapp 18 ist und über seine Zukunft nachdenkt – nicht wirklich reumütig, aber bedauernd – erinnert sich an die in den zurückliegenden Jahren geschehenen Dinge. Ettore ist Einzelkind. Seine Eltern kümmern sich, sind aber meistens sehr mit sich selbst beschäftigt. Der Vater ist träge und weich, die Mutter spöttisch und rigoros, die Großmutter die eigentliche Vertraute des Jungen – eine Zuschreibung, die so oft verwendet wird (die herzlose Mutter!), dass ich ihr eigentlich eher skeptisch gegenüberstehe.
Ettore ist einsam, besonders nach Übertritt ins Gymnasium. Er fühlt sich nicht geliebt, nicht gesehen. Für ihn der Grund, Geborgenheit und Zugehörigkeit außerhalb der Familie zu suchen. Da bietet sich durch die Vermittlung des etwas älteren Giulio, auch er ein Außenseiter an der Schule, die „Federazione“ an, die Jugendorganisation einer nicht näher benannten rechten Partei. Ettore verehrt den tschechoslowakischen Philosophiestudent Jan Palach, der sich im Januar 1969 aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Sowjetunion auf dem Wenzelsplatz selbst verbrannte.
„Vor allem die Biografien von Männern wie ihm – von solchen, die ich als einsam, im Stich gelassen oder ganz allgemein im Konflikt mit einer feindseligen Außenwelt ansah – fügte ich aus im Internet gefundenen Bruchstücken fieberhaft zu einem Mosaik zusammen.“
Anziehungskraft von rechts
Biografien „aufopferungsvoller“, oft rechtsgerichteter Helden ziehen ihn an, Kapitalismus, Imperialismus und Globalisierung sind für ihn die Gegner. Dabei stimmt er mit den verhassten radikalen Linken in so vielen Positionen überein. Das wird uns gerade heute wieder bewusst. Natürlich ist auch der „palästinensische Freiheitskampf“ für ihn zentral. Für mich ist der Weg Ettores zum Rechtsradikalen fast ein wenig zu stereotyp. Typisch für die italienische Gesellschaft war die im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern besonders starke politische Spaltung. Das war lange Zeit ein klassisch italienisches Problem, greift aber in den letzten Jahren überall um sich. Hinzu kommt der in Italien wenig aufgearbeitete Faschismus Mussolinis, zu dem sich Ettore ebenfalls stark hingezogen fühlt. Zunehmend fasziniert ihn auch die bloße Gewalt und der Hass.
„Man hasste mich und dieser Hass machte mich aus.“
Dagegen hilft auch Bildung und intensive Lektüre nicht. Im Gegenteil.
„Es stimmt nicht, dass Hass sich durch Lesen und Bildung bekämpfen lässt., wie ich es in den folgenden Jahren oft hören sollte. Dass er eine primitive Regung ist und all dieser Quatsch. Ich habe ihn gezüchtet. Er ist nicht von allein gediehen.“
„(…)vielleicht war es genau dieses Fehlen einer echten Perspektive, die mich so weit getrieben hatte: Wer nicht über den Augenblick hinaussieht, dem ist nichts kostbar und alles entbehrlich.“
Ein Fazit zum Buch zu ziehen, fällt mir ungewöhnlich schwer. Es ist sicher wichtig, darüber nachzudenken, warum gerade so viele junge Leute rechten Ideen hinterherlaufen. Die Erklärmuster von Davide Coppo sind mir aber ein wenig zu vordergründig, zu naheliegend, auch ein wenig zu larmoyant – kalte Mutter, zu wenig Aufmerksamkeit, Suche nach Zugehörigkeit -, auch wenn oder gerade weil der Autor andeutet, eigene Erfahrungen verarbeitet zu haben. Als Dank ist vermerkt: „(…) dass dieser Roman zum Glück keine Autobiografie ist.“ Eine Leseempfehlung gibt es trotzdem, denn das Buch regt zumindest dazu an, sich eigene Gedanken zum Thema zu machen. Und das geht auch durch Widerspruch.
Beitragsbild nach Alessio Damato, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
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Davide Coppo – Der Morgen gehört uns
Übersetzt aus dem Italienischen von Jan Schönherr
Kjona Verlag 2024, gebunden, 240 Seiten, 24,00 EUR
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