Der US-amerikanische Schriftsteller Paul Harding (*1967) erhielt bereits für seinen Debütroman Tinkers 2010 den Pulitzer Prize in der Sparte Fiction, und auch mit seinem neuesten Werk, Sein Garten Eden, stand er auf der Shortlist des Booker Prize. Harding ist also ein durchaus erfolgreicher und anerkannter Autor in der angloamerikanischen Literaturwelt, der es meiner Wahrnehmung nach aber in Deutschland eher schwer hat. Seine Geschichte einer multiethnischen Gemeinschaft, die auf einer kleinen Insel vor der Küste Maines seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts zusammenlebt, bevor sie von den Behörden von dort vertrieben wird, ist von den wahren Begebenheiten auf Malaga Island inspiriert.
Paul Harding lässt Sein Garten Eden auf Apple Island spielen. Der Name stammt von den verschiedenen Apfelsamen, die der erste Bewohner der Insel, der freigelassene Sklave Benjamin Honey dort 1793 – wie sich herausstellt mit anfangs sehr wenig Erfolg – aussäte. Der abgelegene Ort bot für ihn und seine irische Frau Patience die Möglichkeit, weitgehend frei von Verfolgung in ihrer damals so bezeichneten „gemischtrassigen Ehe“ zu leben und eine Familie zu gründen.
Zu den Honeys stoßen mit der Zeit weitere Außenseiter, Indigene oder von Angola stammend, von Kap Verde, Schweden oder Irland. 1815 überleben einige von ihnen nur knapp eine schreckliche Sturmflut, die die ganze Insel unter Wasser setzt. 1911, als der Roman beginnt, leben neben den Honeys noch zwei weitere Familien auf der Insel, die McDermotts und die Larks, ein nach dem Tod der Eltern inzestuös zusammenlebendes Waisenpaar, ferner die alleinstehende Annie Parker und der in einem hohlen Baumstamm hausende Zachary Gotthelf Proverbs. Die Familien haben kaum eine Ahnung von der Welt jenseits ihrer Insel, leben in großer Armut, unter hygienisch zweifelhaften Bedingungen, aber relativ unbehelligt und in Frieden.
Der Missionar
Seit einigen Jahren kommt jeden Sommer ein Missionar auf die Insel, um die Kinder zu unterrichten. Dieser Matthew Diamond ist gutmeinend, verspürt aber vor allem den dunkelhäutigen Bewohnern gegenüber eine „instinktive, unwillkürliche Abneigung“. Hautfarben gibt es auf der Insel unzählige, von milchweiß bis ebenholzfarben. Der junge Ethan, Sohn von Eha und Enkel von Esther Honey, die ihrerseits eine Enkelin der Gründerfamilie und heimliche Hauptprotagonistin des Romans ist, ist so hell, dass er als Weißer durchgehen kann. Diamond will sein außerordentliches künstlerisches Talent fördern und bringt ihn bei einer befreundeten Familie auf dem Festland unter, wo er eine „weiße“ Schule besuchen kann.
Matthew Diamond ist, wie gesagt, gutmeinend, aber gefangen in den damaligen rassistischen Vorurteilen. Und sein Engagement zieht die Aufmerksamkeit der Behörden auf die bislang übersehene Insel. Diese rücken in Form einer Kommission an, beurteilen, vermessen, verurteilen die Bewohner als moralisch fragwürdig, größtenteils schwachsinnig, degenerativ und minderwertig. Die Insel müsse aus hygienischen Gründen geräumt werden, die Bewohner in Anstalten untergebracht. Aber auch Ethan ergeht es in der Ferne nicht viel besser.
Sein Garten Eden ist eine Geschichte von fast biblischer Wucht, von Paul Harding lyrisch fein und mit Empathie erzählt. Besonders die Charakterzeichnungen sind ihm außerordentlich gut gelungen. Die Protagonisten sind alle sehr vielschichtig und ambivalent entwickelt. Mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Schrullen und Sehnsüchten kommen sie den Lesenden sehr nah und ein wenig lebt man mit ihnen auf ihrer merkwürdigen, entrückten Insel. Und ist am Ende traurig, dass man auch davon vertrieben wird. Leseempfehlung!
Beitragsbild: Malaga Island Kommune CC0 BY 2.0 via Flickr
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Paul Harding – Sein Garten Eden
Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz
Penguin August 2024, Hardcover, 320 Seiten, € 24,00
Colson Whitehead – Underground Railroad