Ein Roman über einen Journalisten, der eine Reportage über die Reparatur von in der Tiefsee verlegten Glasfasern schreibt. Was am neuen Roman des irischen Autors Colum McCann vielleicht zunächst am interessantesten ist, ist, wie wenig sich der thematisch festlegen lässt und das auch mit seinem neuesten Werk Twist demonstriert. Weiterhin interessiert vielleicht, wie man als Autor auf ein derart ungewöhnliches Thema stößt. Aber das ist schnell erklärt. Die Corona-Pandemie spielt dabei eine Rolle und eine Zeitungsmeldung, die McCann zufällig entdeckte.
Seit 1996 lebt Colum McCann in New York, seine Mutter weiterhin in Irland. Die Kommunikation der beiden lief in Zeiten der Lockdowns und Reisebeschränkungen ausschließlich digital. Anders als die meisten Menschen glauben, erfolgt diese Informationsübertragung aber kaum durch die Luft, etwa über Satelliten, sondern tatsächlich zu 95% durch tief im Ozean ruhende Glasfaserkabel. Und die sind knick- und bruchanfällig und damit ein leichtes Opfer für verschiedenste Naturkatastrophen, Unfälle, etwa mit Fischerbooten, und, das rückt in neuerer Zeit immer mehr in den Fokus, potentielle Ziele von Sabotage und für Anschläge. Was dramatische Folgen nicht nur für die Kommunikation, das Internet, den Zahlungsverkehr etc. hätte. Um Beschädigungen an den Kabeln möglichst schnell beheben zu können, liegen weltweit Reparaturboote, ähnlich einer Feuerwehr, auf Abruf bereit. Und darüber hat Colum McCann eben jenen Zeitungsartikel gelesen. Sein Interesse war geweckt.
„Die Kabel sind hauchdünn. Sie sind hohl. Sie wiegen fast nichts. Sie übertragen nichts als Licht. Über die Erklärung dafür kann ich bloß mutmaßen. Das ist eines dieser Dinge, die mich immer weiter verwundern.“
An Bord der Georges Lecointe
In Twist ist der Protagonist ein Journalist, Anthony Fennell, Ende Vierzig, mit seinen literarischen Texten wenig erfolgreicher Autor, geschieden, haltlos, ohne Kontakt zu seinem in Chile lebenden Sohn und auf ungute Art dem Alkohol zugetan. Der Auftrag eines Online-Magazins, eine Reportage über solche Reparaturschiffe zu schreiben und dafür in Südafrika auf Abruf zu stehen, falls sich für die vor Kapstadt liegende Georges Lecointe ein solcher Einsatz ergibt, kommt in dieser persönlichen Krise gerade richtig. Und tatsächlich beschädigt ein unterseeischer Erdrutsch gigantischen Ausmaßes nach starken Unwettern im Kongo eines dieser Kabel. Die Georges Lecointe rückt aus und fährt entlang der afrikanischen Westküste nach Norden.
An Bord sind 53 Männer. Neben dem Kapitän ist der Missionschef John Conway derjenige, der das Sagen hat. Und der Fennell zunächst eher widerwillig mitnimmt. Conway ist ein verschlossener, etwas zwielichtiger Typ, liiert mit der erfolgreichen Schauspielerin Zanele, die gerade mit einer feministischen „Warten auf Godot“-Inszenierung in London weilt. Dort wird auf sie ein Säureattentat verübt, während sich die Georges Lecointe auf hoher See befindet. Die beiden Tiefsee-Brüche sind schwer zu lokalisieren, einer davon liegt in einem tiefen Untersee-Canyon, und zu reparieren. Mit einer Art Greif-Haken wird der Meeresboden abgetastet, werden die Kabel geborgen und instand gesetzt. In Ufernähe hingegen wird oft nach den Kabeln getaucht. Auch Conway ist ein sogenannter Freitaucher, der ohne Atemgerät lange und tief tauchen kann. Sowohl diese technischen Vorgänge als auch der Alltag an Bord wird von Colum McCann sehr genau und minutiös beschrieben. Dafür hat der Autor sorgfältig recherchiert, hat sogar einen Tauchkurs absolviert.
„(…) Verwunderung darüber, dass überhaupt erst einmal alles erschaffen worden war. Vielleicht lag darin die Einfachheit, nach der wie suchen. Alles ist dem Zufall geweiht. Nicht alles kann repariert werden. Und bleibt nur, es zu versuchen.“
Reparatur und Heilung
So interessant diese handwerklichen Dinge sind, stehen sie doch nicht im Mittelpunkt des Romans. Ja, es geht hier um die Reparatur, die Reparatur von Kommunikationslinien, im weiteren Sinne von Beziehungen, das Ganze weitet sich aber zu einer Reflektion generell über das Zerbrechen, Zerstören von (auch menschlichen) Verbindungen, über Einsamkeit, Vereinzelung und deren Heilung. Das wird immer wieder vom Ich-Erzähler Fennell durchdacht, der zunehmend Zweifel an der Identität und Integrität von Missionschef Conway hegt. Als er ihn damit konfrontiert, verschwindet dieser vor der Küste Ghanas vom Schiff.
„Alles wird geflickt, und wir alle bleiben gebrochen.“
Fennell ist Schriftsteller. Er fasst die Atmosphäre auf dem Schiff, den Zauber, aber auch die Härte der See wunderbar ein, hat feine Antennen für die auf dem engen Raum des Schiffs zusammengewürfelte Crew und reflektiert auch immer wieder über das Schreiben an sich.
„Ich musste nur eines machen: den Scheiß zu Papier bringen. Die Worte hinschreiben. So einfach war das. Natürlich ist nichts einfach.“
Anspielungen auf den Film „Apocalypse now“ und dadurch auf Joseph Conrad und sein Buch „Herz der Finsternis“ finden sich genauso wie Gedanken über die Umweltzerstörung und den Klimawandel. Und das Ganze ohne didaktischen Impetus, sondern eingewoben in eine auch spannende Handlung. Colum McCann ist ein großartiger Autor und ich empfehle auch Twist von ganzem Herzen.
Beitragsbild: Schaden an einem Datenkabel von Marco Verch, via ccnull.de, CC-BY 2.0
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Colum McCann – Twist
Übersetzt von: Thomas Überhoff
Rowohlt Buchverlag März 2025, 416 Seiten, € 28,00




