Beauvoire arbeitet als Tankwart an einer Tankstelle in der Peripherie. Flüchtige Begegnungen mit Kunden, seltene Stammgäste, ein streng begrenztes Warensortiment und der ständige Geruch nach Benzin bestimmen seinen Arbeitsalltag. Von seinem Privatleben erfährt man relativ wenig. Es gibt einen Vater, den er häufig anruft, auch wenn dieser meistens mit seinen wechselnden Frauenbekanntschaften beschäftigt ist und recht wenig Interesse an seinem Sohn bekundet. Freund Ray ist zurzeit auch nur telefonisch erreichbar, denn er lebt auf Malta und wurde gerade von seiner Frau verlassen. Die immer wieder auftretende Langeweile während der Arbeit vertreibt sich Beauvoire mit Action- und Horrorfilmen, Rauchen und genauen Beobachtungen, die Autor Alexandre Labruffe seinen Ich-Erzähler in Erkenntnisse eines Tankwarts mit den Lesenden teilen lässt.
„Ich denke daran, dass der Renault Espace für eine irgendwie überkommene Vorstellung von Familie steht.“
Die Tankstelle als Ort der (meist) anonymen Begegnungen, des Transits, ein wenig der Verlassenheit und des schnellen Konsums ist ja in vielen Kunstwerken (beispielsweise bei Edward Hopper), Serien und Filmen (vorwiegend Thrillern oder Horrorfilmen, ähnlich wie das Motel) vertreten. Ein wenig scheint es auch hier das moderne Leben zu symbolisieren. Beauvoire werkelt dort vor sich hin, im Wechsel mit seinem Kollegen Jean Pol. Der Chef der Tankstelle taucht nur sehr sporadisch auf. Einer der wenigen Kontakte, die Beauvoire zu haben scheint, ist Nietzland, mit dem er regelmäßig Dame spielt. Auch ein Einsamer, ein Randständiger.
Miniaturen
In sehr kurzen Abschnitten, kleinen zusammenhängenden Miniaturen erzählt Beauvoire von den Menschen, die er an der Tankstelle beobachtet, kurze, oft ein wenig absurde Situationen und darüber hinaus Überlegungen über die Welt, die Menschen, das Leben. Eine wenig „Poesie des Alltags“, ein wenig Philosophisches, ein wenig Belangloses. Mehrmals bezieht sich Beauvoire, dessen Name sicher auch nicht zufällig gewählt ist, auf den poststrukturalistischen Philosophen, Soziologen und Medientheoretiker Jean Baudrillard und seine Simulationstheorie. Und das ist längst nicht so theoretisch oder gar trocken wie es sich anhört. Alexandre Labruffe macht die Erkenntnisse eines Tankwarts durch Witz, Lakonie und viel Spielerischem gut und unterhaltsam lesbar.
„Ich sitze auf der Außenbank gegenüner der 5 und esse ein Camembert-Sandwich (und habe den Eindruck, die Wahrheit zu kosten, die in meinem Mund schmelzende Wahrheit.) Im Literaturteil des Figaro lese ich eine Interview mit Sollers.
Er sagt:“Ich stehe mit der Wirklichkeit im Dialog.“
Ich denke mir:“Ich auch, aber es ist ein Dialog zwischen Gehörlosen.“
Ein wenig Kriminelles wird hineinverwoben, wenn Bücher mit rätselhaften Unterstreichungen weitergereicht werden, die Liebesgeschichte zur rätselhaften Seiza wird angedeutet und allerlei Bezüge zu Film, Serie und Literatur werden eingebaut. Das macht das schmale Buch auch ohne tiefgreifende Handlung vergnüglich und kurzweilig.
Beitragsbild: von Artem Saranin via pexels
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Alexandre Labruffe – Erkenntnisse eines Tankwarts
Aus dem Französischen von Cornelius Wüllenkemper
Wagenbach SALTO August 2023, 144 Seiten, Rotes Leinen, 22,– €