Das Camp Bidi Bidi in der Provinz Yumbe im Nordwesten Ugandas gilt als die zweitgrößte Siedlung für Geflüchtete weltweit. Bis zu 270.000 Menschen finden hier Zuflucht, die meisten davon sind seit 2016 vor dem Bürgerkrieg im Südsudan geflohen. Eine erste Station, aber lange noch keine sichere Bleibe, zumal nicht für Frauen und Mädchen. Das macht die in Gabun geborene und nun in Paris lebende Autorin Charline Effah in ihrem Roman Die Frauen von Bidi Bidi deutlich.
„Dies ist die Geschichte von Kriegen,
die Frauen zugrunde richten.
Denn bewaffnete wie intime Kriege werden
am weiblichen Körper ausgetragen.
Jenen Frauen, die fallen, und jenen, die sich wieder
aufrichten, in der Hoffnung auf ihre Heilung.“
Das stellt sie ihrem Roman voran. Sie erzählt darin von Minga, einer Afrikanerin, die in Paris aufgewachsen ist. Ihre Eltern leben dort im 18. Arrondissement. Der Vater, ein Maler, schlägt seine Frau Joséphine immer wieder, fühlt sich von ihr nicht als Mann akzeptiert, meint, Frauen seien undankbar und „Männer verdienten etwas mehr Anerkennung dafür, sie aus der Schande der Ehelosigkeit befreit zu haben.“
„Unter seine Ratlosigkeit mischte sich die Verachtung eines Mannes, der sich in einer Gesellschaft, die sich zu schnell gewandelt hatte, verloren fühlte.“
Flucht nach Bidi Bidi
Irgendwann wird es der Krankenschwester Josephine zu viel und sie verlässt Mann und kleine Tochter, um im Geflüchtetenlager Bidi Bidi zu arbeiten. Aus der zunächst begrenzt geplanten Zeit werden vierzig Jahre. Joséphine kehrt nicht zurück. Der Vater ist am Boden zerstört, lässt seine Tochter reumütige Briefe schreiben, fleht, dass die Mutter zurückkommt. Vergebens. Warum sie ihn verlassen hat, begreift er immer noch nicht.
Nach dem Tod des Vaters entdeckt Minga, dass ihr die Mutter regelmäßig geschrieben und über ihr Leben in Bidi Bidi erzählt hat. Sie hat diese sehnsüchtig erwarteten Briefe nie erhalten, die Spur der Mutter in Uganda hat sich seitdem längst verloren. Nun beschließt sie, nach Afrika zu fliegen und nach ihrer Mutter zu suchen.
Es sind die Frauen, die sie in Bidi Bidi trifft, die Charline Effah so plastisch und ambivalent beschreibt, dass man sie als Leser:in nicht vergisst. Veronika, die mit Mose, dem Vorsteher von Village 10, die einzige sympathische Männerfigur zum Mann hat. Er versteht seine eigenen Geschlechtsgenossen nicht, die ihre Frauen mit roher Gewalt unterdrücken und auch andere Frauen bedrohen. Er versucht, den Bewohnerinnen so gut es geht zu helfen, aber auch er stößt da oft an seine Grenzen. Und die sind auch der Autorin bewusst.
„Die Bewohner von Bidi Bidi seien solche Besuche gewohnt und hätten genug von den Journalisten, Schriftstellern und politischen Vertretern, die kommen, um sie nach ihrem Elend auszufragen. Denn trotz der Proteste in den Reihen der Menschenrechtsaktivisten, der Schlagzeilen der feministischen Presse, der Petitionen, die Unterstützer über soziale Netzwerke verbreiten (…) kommt man nicht umhin, zu fragen: Und was dann?“
Alleinstehende Frauen und Mädchen als Freiwild
Alleinstehende Frauen und Mädchen sind oft Freiwild, werden missbraucht, sind ihres Lebens nicht sicher, so wie Jane Kanyingo, die mit ihrem kleinen Sohn Jonathan in Bidi Bidi lebt. Oder Rose Akech, deren Mann Guerillakämpfer ist, die auf der Flucht ihre beiden Zwillingsbabys verlor und deren schreckliches Ende zu Beginn schon angedeutet, aber erst allmählich enthüllt wird.
Die Frauen von Bidi Bidi ist auch ein Buch über weibliche Solidarität, allerdings ohne das Lagerleben zu romantisieren.
„Die gemeinsamen Tragödien machten die Menschen nicht solidarischer. Ein tief sitzender Hass auf die Anderen schürte Neid, Feindseligkeiten und Kämpfe. Die gemeinsamen Tragödien mündeten nicht in Geschwisterlichkeit. Im Gegenteil. Durch das Zusammenleben im Lager traten die Feindseligkeiten, von denen es unter einer Schicht zurückgehaltener Wut, verdrängter Sehnsüchte, entrissener Worte und trüber Horizonte nur so wimmelte, offen zutage.“
Es ist eine Binsenwahrheit, aber sie wird deshalb nicht weniger bedrückend: Frauen und Kinder leiden unter den weltweiten Konflikten und Kriegen am meisten. Die Körper von Frauen werden bedroht, geschändet, vernichtet. Und solange es Männer sind, die diese Kriege führen, wird sich das wohl nicht ändern. Aber es muss dagegen angekämpft, angeschrieben werden. So wie das Mingas Mutter Joséphine getan hat. Und wie das Charline Effah in ihrem so aktuellen wie spannenden Buch tut.
Minga wird ihre Mutter nicht finden. Aber sie kehrt verändert zurück.
„Minga, „Frau“ in der Muttersprache meiner Mutter. Ich spürte all die Frauen in mir und wollte ihnen weder entkommen noch versuchen, sie zu verdrängen. Dann trat ich nach draußen in die Stadt. Die Straßen von Paris waren voller Menschen, die ich nicht sehen, Menschen, die ich nicht hören konnte. Denn in mir hallten nur die Stimmen der Frauen von Bidi Bidi.“
Beitragsbild Bidi Bidi by Frenciscobcn, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
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Charline Effah – Die Frauen von Bidi Bidi
Aus dem Französischen von Ela zum Winkel
Orlanda März 2025, gebunden, 224 Seiten, € 23,00