Peter Kurzeck – Frankfurt Paris Frankfurt

Als Peter Kurzeck im November 2013 verstarb, war gerade mal der fünfte von geplanten zwölf Teilen seiner großen autobiografischen Romanreihe Das alte Jahrhundert im erschienen. Vorabend heißt der dicke Wälzer und Kurzeck stand damit 2011 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Dieser über 1000seitige Roman erzählt in einer großen Rückblende vom mittelhessischen Staufenberg der 1950er und 60er Jahre, in dem die Familie Kurzeck nach ihrer Vertreibung aus dem Sudetenland wohnte. Ausgangspunkt für alle Bände sind stets die Jahre 1983 und 1984, kurz vor bzw. nach der Trennung von Freundin Sibylle, der Mutter seiner Tochter Carina. Von dort schweift die Erinnerung aber immer wieder auch nach Südfrankreich, wo Peter Kurzeck lange Zeit in Uzès lebte, und im jüngst erschienenen Band Frankfurt Paris Frankfurt in die französische Hauptstadt, wohin sie (u.a.) im Herbst 1977 reisten.

Vorabend beschrieb Peter Kurzeck selbst so:

“ (…) der Erzähler sitzt immer noch am Tisch, lang nach Mitternacht, ist müde, möchte ins Bett gehen und muß sich erinnern an ein Wochenende, ein Jahr vorher, nämlich im Oktober ’82, er sitzt da also im Oktober ’83, erinnert sich an den Oktober ’82, an ein langes Wochenende, an dem er seinen Freunden, nämlich seinem Freund Jürgen und dessen Lebensgefährtin Pascale, und zugleich seiner eigenen Tochter Carina und der Sibylle, mit der er zusammenlebte, der Mutter seiner Tochter, seiner Geliebten, vom Dorf seiner Kindheit erzählte, in einem sehr sehr langen, eigentlich auch zunehmend atemlosen Monolog – und das ist das Buch Vorabend.“

Manuskript aus dem Nachlass

Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an die letzten Entstehungsschritte des Buch 2010, als der Autor in einer großangelegten Aktion sein umfangreiches Manuskript im Sommer zwei Monate lang im Frankfurter Literaturhaus diktierte, öffentlich zugängig, jeweils sechs Stunden am Tag. Ein Wahnsinnsprojekt, das eine schnellere Niederschrift der teils von Kurzeck selbst kaum zu entziffernden Seiten diente. Eng beschrieben, mit unzähligen Anmerkungen und Symbolen versehen. Damals konnte man nicht ahnen, dass Kurzeck nur drei Jahre später erst siebzigjährig sterben würde.

Frankfurt Paris Frankfurt ist wie die letzten drei erschienen Bände aus dem Nachlass Kurzecks von Rudi Deuble, Lektor und Freund des Autors,  herausgegeben worden und sollte nach Kurzecks Plänen Band 10 bilden. Durch akribische Vorarbeiten des Autors war dies möglich. Zeitlich ist er als erster der Reihe entstanden und bildet nun als neunter Band den Abschluss des Projekts.

Peter Kurzecks Stil ist ein ganz besonderer, eigenwilliger, stark dem mündlichen Vortrag angenähert. Über seine mündlich erzählten Hörbücher habe ich Kurzeck auch zunächst kennen und lieben gelernt (bei Spotify stehen zum Beispiel Ein Sommer, der bleibt oder Da fährt mein Zug zur Verfügung). Mit kurzen sehr einfachen, zum Teil auch nur unvollständigen Sätzen, oft ohne Verb oder Subjekt oder mit einer bloßen Aneinanderreihung von Substantiven entsteht ein ganz eigener, typischer „Kurzeck“-Sound. Er war ein fast obsessiver Beobachter und Erzähler. In einer Veranstaltung im Frankfurter Haus am Dom erzählte Rudi Deuble, dass das für die Umgebung auch schon anstrengend sein konnte. Kaum ging die Tür auf oder nahm man den Telefonhörer ab, sprudelte es aus Peter Kurzeck heraus.

Das Jahr 1977

In Frankfurt Paris Frankfurt erzählt er nun rückblickend von der ersten Zeit, die er mit Freundin Sibylle 1977 in Frankfurt, in der kleinen Wohnung in Bockenheim verbrachte. Eigentlich sollte es nur ein kurzer Aufenthalt zur Fertigstellung seines ersten Romans werden. Dann wollten die beiden zurück ins mittelhessische Staufenberg. Es sind für Kurzeck dreissig Jahre daraus geworden, auch wenn Kurzeck oft in Südfrankreich weilte, sich 1984 von Sibylle trennte. Die Gegend rund um die Leipziger Straße „erwandert“ sich der Lesende nicht nur in diesem jüngsten Band. Straßen, Cafés und immer wieder Kneipen – Kurzeck macht keinen Hehl aus seinem langjährigen exzessiven Alkoholkonsum. Und immer sind es auch die Menschen, die auf diesen Straßen, in diesen Kneipen unterwegs sind, die er in den Blick nimmt. Und das eigene Schreiben.

In Frankfurt Paris Frankfurt kommt eine Reise nach Paris im Jahr 1977 hinzu, die wiederum eine als sehr junger Mann zu Beginn der 1960er Jahre gemachte Reise dahin in Erinnerung bringt. 1977 war das Jahr des „Deutschen Herbsts“, die RAF, sie Schleyer-Entführung, Terroristenfahndung, fast schon panische Reaktionen des Staates. Und es waren die ersten Schritte als reiner Schriftsteller, nachdem Kurzeck seine Anstellung bei der US-Army gekündigt hatte.

Zu erwähnen ist vielleicht, dass nicht nur Kurzecks Werk Das alte Jahrhundert betitelt ist, sondern dass der Autor auch einer des alten Jahrhunderts ist. Er benutzt völlig unbeschwert (und ohne jede diskriminierende Absicht) die Z- und N-Wörter, die heute nicht mehr verwendet werden (sollten). Daran dürfen sich Leser:innen nicht stoßen, wenn sie Freude an der Lektüre haben wollen.

 

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Peter Kurzeck - Frankfurt Paris Frankfurt.

Peter Kurzeck – Frankfurt Paris Frankfurt
Herausgegeben von Rudi Deuble
Nachwort von Rudi Deuble
Schöffling 2024, 288 Seiten,g ebunden, € 28,–

 

 

 

 

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