Der ehemalige Burgschauspieler Joachim Meyerhoff ist schon seit geraumer Zeit in der Welt der Autoren angekommen. Sein ursprünglich als Bühnenprogramm konzipiertes autobiografisches Werk „Alle Toten fliegen hoch“ wird seit 2011 sehr erfolgreich in Buchform veröffentlicht. Amerika (über sein Austauschjahr in Amerika und den frühen Tod des Bruders), Wann wird es wieder so wie es nie war (über die Kindheit als Sohn des Leiters der Psychiatrie Schleswig), Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke (über die Ausbildung zum Schauspieler und das Leben bei den exzentrischen Großeltern in München) sind All-Time-Favorites für mich. Allerdings bereits in Die Zweisamkeit der Einzelgänger begann der Zauber der Bücher für mich zu schwinden. Zuviel Selbstbespiegelung und einige fast gehässige Anekdoten über verflossene Beziehungen statt der Selbstironie und der immer auch liebevollen, spöttischen Blicke auf die Familie haben mir ein wenig den Spaß daran genommen. Auch der Nachfolgeband über seinen 2018 erlittenen Schlaganfall (Hamster im hinteren Stromgebiet) konnte mich aufgrund seiner – wenn auch verständlichen – Larmoyanz nicht überzeugen. Zum Glück findet Joachim Meyerhoff im nun sechsten Band Man kann auch in die Höhe fallen wieder zu seiner alten Stärke als begnadeter Erzähler zurück.
Flucht aus Berlin
Es ist die Geschichte seines Rückzugs aus dem stressigen Berlin in die ländliche Idylle zu seiner 86-jährigen, extrem rüstigen Mutter. Nach dem 2018 mit nur 51 Jahren erlittenen Schlaganfall wollte Meyerhoff einen Neuanfang wagen und zog 2019 mit Partnerin und Sohn von Wien nach Berlin, wechselte vom Burgtheater an die Berliner Schaubühne. Doch diese Veränderung tat ihm offensichtlich nicht gut. Er berichtet von Wut- und Tränenausbrüchen, Gereiztheit und Larmoyanz, Überforderung durch das laute, hektische, „aggressive“ Berlin. Irgendwann erkennt er, dass es so nicht weitergeht, er seine Familie belastet. Er fasst den Entschluss, sich für eine Weile aufs Land und zu seiner Mutter zurückzuziehen.
Es werden schließlich zehn Wochen daraus. Er werkelt auf dem großen Anwesen seiner Mutter, badet mit ihr in der nahegelegenen Ostsee oder im grundstückseigenen Teich, ist Zaungast, wenn die Damen vom Chor kommen, schreibt ein wenig am neuen Text. Wie von Joachim Meyerhoff bekannt, erzählt er herrlich lustig, anekdotenreich und selbstironisch von zahlreichen Alltagsabsurditäten und schweift immer wieder zurück zu Szenen aus der Kindheit, Jugend, der Schauspielzeit in denen er alles andere als den „Held“ darstellt. Dabei ist wieder bewundernswert, wie selbstironisch und auch selbstkritisch, wie offen und direkt er von sich und seiner Familie berichtet. Auch die Verstorbenen – gemäß dem Motto „Alle Toten fliegen hoch – bleiben stets präsent.
Mutter
„Mutter isst“, „Mutter taucht“, „Mutter heilt“, „Mutter backt“ sind die Kapitel überschrieben. Man kann auch in die Höhe fallen ist ein Mutter-Buch. Eines der hemmungslosen Überhöhung der Mutter, die in einer Szene als „Bond-Girl“ den Ostsee-Fluten entsteigt. Das ist liebevoll-bewundernd, aber doch hoffentlich auch ein wenig ironisch gemeint. Diese Mutter mit ihrem fast manischen Aktivitätsdrang und Schaffenswillen, die mit ihrem Aufsitzmäher über das Riesengrundstück brettert, stets splitternackt baden geht, auch mal während des Saunagangs die Sense schärft und backblechweise Kuchen backt, finde ich persönlich einfach nur anstrengend.
Ich weiß, dass zahlreiche Rezensent:innen fast schockverliebt in sie sind, aber da gibt es doch so einige Ecken und Kanten, die ich nicht wirklich belächeln kann (beispielsweise die drei acht- bis zwölfjährigen Söhne an einer Straße für über eine Stunde einfach „auszusetzen“, weil ihr etwas nicht passte, oder ihre völlig rücksichtslose Fahrweise „wie eine gesengte Sau“). Aber Überspitzung ist Meyerhoffs Stilmittel in all seinen autofiktionalen Romanen. Und was tatsächlich 1:1 stimmt ist nicht wirklich wichtig. Er erzählt mitreißend und wahnsinnig unterhaltsam und hat dazu noch ein beeindruckendes Sprachgespür. Was will das Leser:innenherz mehr?
Beitragsbild: by Joe Shoe (CC BY-ND 2.0) via Flickr
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Joachim Meyerhoff – Man kann auch in die Höhe fallenVerlag:
Kiepenheuer&Witsch November 2024, gebunden, 368 Seiten, € 26,00