Der kroatische Autor Jurica Pavičić überzeugte mich bereits mit seinem Roman Blut und Wasser, der ebenso wie der jüngst erschienene Mater dolorosa an der Grenze von Gesellschaftsroman und Krimi angesiedelt ist und einen genauen, kritischen Blick auf die moderne kroatische Gesellschaft wirft. Im neuen Werk steht wieder nicht das Verbrechen und der Täter im Mittelpunkt, auch geht es nicht in erster Linie um Ermittlungsarbeit und Aufklärung. Die Auswirkungen der Tat auf die Menschen, die direkt oder indirekt in das Geschehen involviert sind, und ihre soziokulturelle Umgebung, in der sie passierte, sind das, was den Autor interessiert.
Mater dolorosa
In Mater dolorosa ist das Opfer eine junge Frau, Tochter eines einflussreichen Mannes, die nach einer Clubnacht tot in einem verlassenen Fabrikgebäude gefunden wird. Weder die Tat selbst noch die Beweggründe des Täters, der den Leser:innen schon früh präsentiert wird, werden genau beschrieben. Drei Personen – der Kommissar Zvone, Mutter und Schwester des Täters – erhalten nacheinander die Perspektive. Die beiden letzteren, aber eigentlich auch der Polizeibeamte ahnen früh, wer der Mörder war. Während die Mutter ihren geliebten Sohn aber innerlich verteidigt, ihm dieses „Einflüstern des Teufels“ fast schon verzeiht und bemüht ist, die Indizien, die gegen ihn sprechen könnten, nicht nur zu beseitigen, sondern sogar, sie einem ins Fadenkreuz der Ermittlungen gelangten früheren Sexualstraftäter unterzuschieben, zweifelt die Schwester, ist hin und her gerissen zwischen Solidarität und liebevollen Erinnerungen an den kleinen Bruder auf der einen und Verantwortung und Abscheu vor der Tat auf der anderen Seite.
Der Täter selbst bekommt dagegen wenig Raum. Der Gewissenskonflikt der Familienmitglieder und das Dilemma des Ermittlers, der auch schon früh von der offiziell bevorzugten Theorie des rückfällig gewordenen Sexualstraftäters abkommt und den jungen Arbeits- und Antriebslosen verdächtigt, ihn aber mangels belastbarer Indizien nicht belangen kann – psychologisch überzeugend zeichnet Jurica Pavičić in Mater dolorosa ein spannendes Bild nicht nur der Figuren, sondern dahinter auch der kroatischen Gesellschaft. Wieder ein sehr überzeugender Roman von Jurica Pavičić, den ich allen Krimifreund:innen sehr ans Herz lege.
Gunnar von Kaliber.17 hat den Roman auch bereits gelesen
Beitragsbild CC0 via pxhere
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Jurica Pavičić – Mater dolorosa
aus dem Kroatischen von Blanka Stipetic
Schruf & Stipetic Januar 2025, Klappenbroschur, 356 Seiten, EUR 16,90