Elisabeth Reichart – Komm über den See

Komm über den See von Elisabeth Reichart erschien bereits 1988, wurde 2001 neu aufgelegt und macht nun zum dritten Mal einen Anlauf, Leser:innen zu gewinnen – als Neuerscheinung im Salzburger Otto Müller Verlag. Erzählt wird die Geschichte von Ruth Berger, deren Mutter nach dem „Anschluss“ von Österreich Widerstand leistete und daran zerbrach.

„Vor jeder Erinnerung das Wissen: Alle Sätze in dieses Gestern können nur Brücken zu Inseln sein, was sie verbinden, es bleibt für immer getrennt.“

Ruth ist ein Kriegskind und ohne Vater aufgewachsen. Eine ihrer frühesten Erinnerungen ist, wie die Mutter auf offener Straße von Gestapomännern verhaftet wurde. „Lauf weg!“ rief sie ihrer kleinen Tochter zu und diese schlug sich tatsachlich bis in ihr einsames Zuhause durch. Verbrachte die Tage und die Bombennächte zusammen mit ihren Puppen im Keller und wartete auf die Rückkehr der Mutter. Erst lange nach dem Krieg erfuhr sie, was damals wirklich passierte. Die Mutter blieb traumatisiert, schwieg wie so viele ihrer Generation. Nicht nur die Gesellschaft, auch der Vater wandte sich von der von der Folter und Internierung im KZ gezeichneten Frau ab.

„´Mich ekelt vor dir` – der Ekel war zu hören, wie ihr Weinen zu hören war, ihr nächtelanges Weinen.“

Die Lehrerin

Nun lebt Ruth als Geschichts-und Englischlehrerin nicht mehr in Wien, da sie dort keine Stelle erhielt, sondern in Gmunden im Salzkammergut. Dorthin hatte ihre Mutter Beziehungen, zum Beispiel zu einer gewissen Anna Zach. Es stellt sich heraus, das beide Frauen im Widerstand aktiv waren und die Mutter irgendwann gezwungen wurde, Anna zu verraten. Vor ihren Schulklassen möchte sie Anna als Zeitzeugin befragen, aber der Direktor der Privatschule, an der sie eine befristete Stelle erhielt, will davon nichts wissen. Wie reaktionär und geschichtsvergessen die damalige österreichische Schul- und Politiklandschaft gewesen sein muss, ist erschreckend. Ruth wird als Frau und als engagierte, fortschrittliche Lehrerin gnadenlos geschuriegelt. Eine von alten Männern beherrschte Welt lässt ihr wenig Raum. Die österreichische Provinz hängt weiterhin faschistischem Gedankengut an, wovon auf die öffentlichen Medien, z.B. der ORF betroffen sei.

„(…) nehme sich eben der freie ORF die Freiheit, auf die Arbeit eines freien Redakteurs über den Umgang eines freiheitlichen Politikers mit der nationalsozialistischen Vergangenheitt freiwillig zu verzichten.“

Elisabeth Reichart arbeitet in Komm über den See mit Rückerinnerungen, Assoziationen und Träumen und zahlreichen literarischen Querverweisen, immer wieder auf Wolfgang Borcharts „Draußen vor der Tür“, auf Adalbert Stifter, auf Sarah Kirsch, von deren Gedicht „Anziehung“ der Titel stammt.

 

Anziehung

Nebel zieht auf, das Wetter schlägt um.
Der Mond versammelt Wolken im Kreis.
Das Eis auf dem See hat Risse und reibt
sich. Komm über den See.

 

Der Text macht es den Lesenden nicht leicht. Meine Lesehaltung schwankte stets von interessiert zu genervt zu fasziniert. Es ist einer der Texte, die man wohl ein zweites Mal lesen muss, um ihm nahe zu kommen. Ich hoffe, er findet diese Mal eine geneigte Leserschaft. Er hätte es verdient. Ist er doch teils so aktuell wie vor fast vierzg Jahren.

„Die Rechten breiten sich immer mehr und mehr aus. Soll alles wieder von vorne anfangen, nur in anderen Kleidern? Dass es diese Frauen gab, hier und überall, darauf kommt es doch an.“

 

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Elisabeth Reichart - Komm über den See.

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Elisabeth Reichart – Komm über den See
Otto-Müller-Verlag Februar 2025, 200 Seiten, kartonierter Pappband, € 25

 

 

 

 

2 Gedanken zu „Elisabeth Reichart – Komm über den See

    1. Dankeschön. Das freut mich. Ich arbeite am Like-Problem, habe aber noch nicht rausgefunden, warum es bei manchen klappt und bei anderen nicht. Aber schön zu hören, dass du mir treu bleibst. Liebe Grüße, Petra

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