Der Semmering ist auch außerhalb Österreichs als Traditionsferienort bekannt. Der Semmeringpass verbindet die österreichischen Bundesländer Niederösterreich und Steiermark und ist damit die wichtigste Verbindung zwischen dem Großraum Wien und der Steiermark. Auf der Passhöhe liegt der Luftkurort Semmering, der um die Jahrhundertwende von der wohlhabenden Wiener Gesellschaft als Sommerfrischeziel entdeckt wurde. Die Semmeringbahn, die 1854 eröffnet wurde, brachte dem Ort einen enormen Aufschwung. Sie war eine der ersten Eisenbahnen, die durch die hochalpinen Berge führte. 2005 wurde sie zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Legendär ist auch das Grandhotel Panhans geworden. In neuerer Zeit ist Semmering für den alpinen Skisport bekannt und war schon mehrmals Austragungsort von Weltcuprennen. Tanja Paar geht mit ihrem wunderbaren Roman Am Semmering zurück in die Jahre 1928 bis Kriegsende.

Klara lebt mit ihrem Mann Bertl, der Gewerkschafter ist und bei der Bahn arbeitet, seit Kurzem am Semmering, zunächst in einer kleinen Gartenwohnung, später, nach Bertls Beförderung, im Bahnhofsvorsteherhäuschen. Für das aus Wien und bescheidenen Verhältnissen stammende und politisch mit „den Roten“ sympathisierende Ehepaar ist das ein sozialer Aufstieg, aber von den eher konservativen Dörflern werden sie dafür auch mal schräg angeschaut. Beste Freundin von Klara ist die orthodoxe Jüdin Rachel, Witwe und auch sie eine Außenseiterin in der Dorfgesellschaft. Der etwas exzentrische Hotelverwalter Szabo, ausgebildeter Pianist und bald enger Freund der Beiden, und Fritz, der Baron, der sich von seiner adeligen Herkunft losgesagt hat und nun sozialdemokratischen Idealen anhängt, gesellen sich bald hinzu.
Die zeitliche Verortung zeigt die Entwicklung vor dem „Anschluss“ ans Deutsche Reich 1938: Wirtschaftskrise und der Untergang der Ersten Republik, der erstarkende Austrofaschismus, die Politisierung und Radikalisierung der dörflichen Gemeinschaft. 1945 dringt dann das Kriegsgeschehen auch in die abgelegene Region vor, es kommt zu erbitterten Kämpfen.
Still und eindringlich wird vom Leben auf dem Semmering erzählt, aber kaum das der reichen Sommerfrischler, sondern das der einfachen Dörfler, und mit gut recherchierter Zeitgeschichte verwebt. In die chronologische Erzählung mischt sich von Beginn an die Stimme von Szabo, rückblickend aus dem Herbst 1989, kommentierend, einordnend, sich selbst befragend. Das könnte konstruiert wirken, ist hier aber glänzend gelöst und kunstvoll eingebaut, so dass sich am Ende der Epilog an den Prolog anschließt.

Tanja Paar hat mit Am Semmering einen sehr gelungenen, wunderbar zu lesenden historischen Roman geschrieben, der inspiriert von der Geschichte ihrer Großeltern ist. Sehr große Empfehlung!
Beitragsbild: Autor/-in unbekanntUnknown author, Public domain, via Wikimedia Commons
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Tanja Paar – Am Semmering
Residenz Verlag September 2025, Hardcover, 256 Seiten, € 26,00