Sollte man tatsächlich, gerade angesichts des riesigen, kaum zu überschauenden Angebots an neu erscheinenden Kriminalromanen jeglicher Sparte und Qualität, einen fast vierzig Jahre alten „Roman mit Mörder“ lesen, in dem dieser, nämlich der Mörder, bereits auf der allerersten Seite offenbart wird? Zwar geht der erste Mordanschlag durch ein Omelette surprise, gewürzt mit Pilzen fragwürdiger Abstammung, schief, aber der nächste Versuch, ein gezielter Schlag auf den Kopf mit dem 25. Band der Encyclopedia Britannica (Ausgabe 1911!) gelingt. Sollte man tatsächlich wertvolle Lesezeit zusammen mit einer Ansammlung ziemlicher Loser (die aber natürlich ganz anders über sich denken, und denen ehrlich gesagt ein gewisser Charme nicht abzusprechen ist) in unterschiedlichen Stadien des Alkoholrauschs in einer tristen, heruntergekommenen Kneipe in einem tristen, heruntergekommenen Kaff irgendwo in Irlands Nordwesten verbringen? Seitenlang ihren Selbst- und Thekengesprächen folgen, die sich um so wichtige Fragen wie den Fischfang, die Unverständlichkeit von Frauen, Regenwürmer, Poesie, Glauben und moderne Kirchenarchitektur, kurz um Gott und die Welt drehen und oft ins Philosophieren abdriften? Die klare und deutliche Antwort darauf heißt natürlich: Ja, unbedingt, wenn es sich um Bogmail von Patrick McGinley handelt!
Unbegreiflich genug, dass dieser im Original bereits 1978 erschienene und in Irland zunächst skandalträchtige – zu viel „Pornografisches“, ein zu negatives Irlandbild -, mittlerweile aber als moderner Klassiker geltende Roman erst jetzt ins Deutsche übertragen wurde.
Der Mörder steht, wie gesagt, von Anfang an fest. Es ist der Kneipeninhaber Tim Roarty, der seinen jungen Barmann Eamonn Eales (allein diese herrlichen Namen!) ins Jenseits befördert. Denn:
„Eales war das Böse. Eales musste vernichtet werden.“
So seine tiefe Überzeugung. Denn Eales empfindet nicht nur großes Vergnügen daran, seine beiden Katzen auf unschuldige Vögel zu hetzen und jeder Frau im Ort nachzusteigen, nein, ihm ist es tatsächlich gelungen, Roartys Tochter Cecily zu erobern, und Roarty mag sich gar nicht ausmalen, was er mit ihr so alles anstellt. Also wird er kurzer Hand mit der Lieblingslektüre des Kneipenwirts erschlagen und im torfigen Moor versenkt. Ein anscheinend perfekter Mord, zumal zunächst niemand den jungen Mann zu vermissen scheint.
Aber da tauchen plötzlich Briefe auf. Ein sich selbst „Bogmailer“ (bog=die irischen Torfmoore, Blackmailer=Erpresser) nennender Zeitgenosse hat Roarty beobachtet und versucht ihn nun zu erpressen. Dringlich wird das Ganze, als ein abgetrennter Fuß von Eales ins Spiel kommt. Für Roarty ist klar: ein zweiter Mord muss geschehen. Nur, wer ist dieser geheimnisvolle „Bogmailer“? Am verdächtigsten ist ihm der zugereiste Engländer Kenneth Potter. Schade, denn eigentlich findet er ihn ganz sympathisch.
Neben Roarty selbst ermittelt der alternde Dorfpolizist McGinty, der froh ist, mal etwas anderes als Trunkenheit auf offener Straße oder das giftige Jakobskreuzkraut auf den Viehweiden zu verfolgen.
Patrick McGinley lässt uns teilhaben an Roartys Gedanken und Plänen, an Potters Beobachtungen und am Dorftreiben, das sich in den Thekengesprächen spiegelt. Denn hier trifft sich die skurrile Schar an Dorfphilosophen: Der stille Fischer Rory Rua, der zwielichtige Journalist Gimp Gillespie, der raffgierige Bauer Crubog und der Kommunist Cor Mogaill, allesamt Schwätzer und mehr oder weniger gescheiterte Existenzen, aber mit Bildung und Neigung zur Literatur. Hier wird der Kriminalroman zur Dorf- und Provinzposse, die die stickige Enge als Nährboden für Neid, Habgier, Gewalt und akute sexuelle Nöte der überwiegend männlichen Kneipenbesucher entlarvt. (Frauen spielen nur eine Rolle, indem sie sich aus nicht genau verständlichen Gründen ihrer annehmen.) Hier werden Pläne gegen den Kanonikus geschmiedet, eine „Anti-Kalkstein-Gesellschaft“ gegen dessen Pläne, den alten Holzaltar zu ersetzen, gegründet, nur um beim ersten strengen Blick wieder zu gehorsamen Katholiken zu werden.
So entsteht ein herrlich schräges Sittenbild, bei aller Posse immer elegant-ironisch bis sarkastisch, bei Beschreibungen der Moorlandschaft bisweilen auch geradezu poetisch, aber immer hochgradig unterhaltsam. Und am Ende kommt dann doch alles anders, als man gedacht hat. Eine unbedingte Leseempfehlung!
Beitragsbild: Irish Pub by Gina (CC BY-NC 2.0) on Flickr
Eine schöne Rezension gibt es auch bei Constanze von Zeichen&Zeiten, Peter liest und der Klappentexterin.
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Patrick McGinley – Bogmail
aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Steidl Verlag Oktober 2016, gebunden, 344 Seiten, € 24,00
2 Gedanken zu „Patrick McGinley – Bogmail“