Wer war Magda Goebbels? Wer war diese Frau, die ihre Namen so oft wechselte wir ihre Identitäten, mal Magda Behrend, Friedländer, Ritschel, Quandt hieß und schließlich als Magda Goebbels so etwas wie die First Lady des Dritten Reichs darstellte. Die als uneheliche Tochter des Dienstmädchens Auguste Behrend mit gerade einmal neunzehn Jahren die Frau des reichen Industriellen Günther Quandt und Mutter seiner beiden Söhne wurde, der ältere von ihnen war gerade einmal sieben Jahre älter als seine Stiefmutter. Wie entwickelte sich aus der lebenslustigen, kulturell interessierten, ehrgeizigen, um Aufstieg bemühten jungen Frau, die ernsthaft darüber nachdachte, mit ihrer Jugendliebe Viktor Chaim Arlosoroff nach Palästina auszuwandern, einen jüdischen Stiefvater hatte und sich selbst als unpolitisch bezeichnete, die fanatische Hitleranhängerin, die kurz vor Kriegsende ihre sechs Kinder und dann sich selbst umbrachte? Nora Bossong geht dieser Frage in ihrem Roman Reichskanzlerplatz nach.
Eigentlich ist es gar kein Roman (nur) über Magda Goebbels, auch wenn er seinen Namen nach dem Platz, an dem sie nach ihrer Scheidung von Günther Quandt eine Wohnung bezog, benannt wurde. Auch dieser Platz erhielt im Laufe der Jahre neue Namen. Seit 1933 hieß er Adolf-Hitler-Platz, nach dem Krieg erneut Reichskanzlerplatz, um dann 1963 nach dem verstorbenen Bundespräsidenten Theodor-Heuss-Platz getauft zu werden – und so ist der Roman von Nora Bossong auch die Geschichte einer instabilen Demokratie, des gesellschaftlichen Wandels von der Weimarer Republik in die nationalsozialistische Diktatur. Erzählt wird er von dem jungen Diplomaten Hans Kesselbach, rückblickend aus dem Jahr 1944.
Magda Quandt
Der Krieg ist – zumindest für Eingeweihte – bereits so gut wie verloren, der ehemalige italienische Verbündete Benito Mussolini wurde gestürzt, Italien hat mit den Alliierten einen Waffenstillstandsvertrag geschlossen. Hans Kesselbach fährt mit dem Zug nach Pritswalk, um am Grab seines Jugendfreundes Hellmut Quandt Blumen abzulegen. Dieser war die große, unerwiderte Liebe des jugendlichen Hans und starb 1927 an einer Sepsis. Danach hatte der eigentlich homosexuelle Hans eine Affäre mit dessen Stiefmutter Magda. Es gibt ein historisches Vorbild für Hans, einen Studenten, von dem wenig bekannt ist und der der Autorin Nora Bossong in Reichkanzlerplatz reichlich Raum für eine faktenbasierte Fiktion bietet. Über ihn blicken wir mit einer wohltarierten Mischung aus Nähe und Distanz auf Magda Goebbels.
Die Affäre mit dem Studenten war der offizielle Scheidungsgrund der Quandts. Durch Erpressung – sie drohte mit der Veröffentlichung von Briefen „liederlicher“ Frauen, die an Günther Quandt gerichtet waren – sicherte sich Magda nicht nur eine schöne Wohnung am besagten Reichskanzlerplatz und ein beträchtliches Einkommen, sondern auch das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn Harald. Dieser führte nach dem Tod des Vaters zusammen mit seinem Bruder Herbert dessen Geschäfte – besonders an Uniformen, genäht auch mit Zwangsarbeitern, verdienten sich die Quandts während des Krieges ein Vermögen. Heute zählen sie zu den vermögendsten Familien Deutschlands.
Solche durchaus kritischen Anmerkungen gehen Nora Bossong so unangestrengt von der Hand wie die verschiedenen historischen Marker. So befindet sich beispielsweise Hans auf oben erwähnter Zugfahrt just in dem Moment als im Juni 1944 das Attentat in der Wolfsschanze scheiterte.
Der Mitläufer
Hans ist da schon lange im diplomatischen Dienst aufgestiegen, als Sekretär im Konsulat von Mailand beschäftigt, arbeitet in der Schweiz für das Deutsche Reich (der Blick auf das Verhalten der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs und in Sachen Juden ist auch ein äußerst kritischer) und ist ein typischer Nutznießer und Mitläufer, der zwar durchaus auch ablehnend auf die Nationalsozialisten schaut, sich aber weitgehend anpasst. Auch weil er fürchtet, als Homosexueller selbst ins Fadenkreuz zu gelangen.
Magdas Entwicklung zu einer Frau in völliger ideologischer Verblendung verfolgt er distanziert, interessiert, sogar ein wenig fasziniert. Die zahlreichen Affären von Joseph Goebbels, vor allem die zur tschechische Schauspielerin Lída Baarová, treiben Magda immer mehr in depressive Stimmungen und Alkoholkonsum. Dabei hat sie selbst Verhältnisse. Durch den Blick von Hans Kesselbach verwebt Bossong die historischen Ereignisse und gesellschaftlichen Veränderungen mit den psychologischen Entwicklungen ihrer Protagonisten.
Sie tut das in einem eher kühlen, eleganten Ton, der vor Pathetischem nicht immer zurückschreckt. Er passt sehr gut zur analytischen Art von Hans Kesselbach, lässt uns Lesende aber nicht allzu nah kommen. Magda Goebbels zu entschlüsseln ist sicher auch kein leichtes, wahrscheinlich nicht einmal angestrebtes Unterfangen. Sie bleibt tatsächlich ein wenig blass und ungreifbar. Kesselbach hat sie aber sicher ähnlich unnahbar empfunden.
Nora Bossong ist mit Reichskanzlerplatz ein interessanter historischer und politischer Roman gelungen. Denn auch heute befinden wir uns in einer Phase, die uns die potentielle Instabilität der Demokratie immer wieder vor Augen führt. Auch deshalb eine unbedingte Leseempfehlung.
Weitere lesenswerte Besprechungen des Buches findet ihr bei Constanze Zeichen und Zeiten, bei Alexander Carmeles Kommunikatives Lesen und Katharina Herrmanns Kulturgeschwätz
Beitragsbild: Reichskanzlerplatz Berlin 1932 by janwillemsen CC BY-NC-SA 2.0 by Flickr
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Nora Bossong – Reichskanzlerplatz
Suhrkamp August 2024, gebunden, 296 Seiten, € 25,00
Parallel dazu gibt es (noch) ein in der ARD Audiothek verfügbares Hörbuch. Allerdings kann ich mit Horbuchern generell nicht viel anfangen, deshalb bin ich nur bis Teil 2 von 20 gekommen…
Vielen Dank für die Besprechung hier.
Sehr gern. Ich habe das Hörbucg im Nachgang auch noch gehört und mochte es eigentlich ganz gern. Sehr ruhig, vielleicht ein wenig zu distanziert gesprochen. Aber ich mochte es. viele Grüße!