„Mein Leben in Deutschland begann mit einem Stück Bienenstich“, so beginnt der Debütroman von Viktor Funk und war auch so betitelt, als er 2017 im damals noch existierenden Frankfurter Größenwahn Verlag erschien. Der fast durchgehend namenlos bleibende Ich-Erzähler (erst ziemlich am Ende wird er mit Herr Bellen angesprochen) erzählt darin von seiner Jugend, der Emigration nach Deutschland, aber vor allem von seinen Beziehungen zu Frauen und seinem Jugendfreund Mark.
Als Zehnjähriger kam er mit seinen Eltern aus Kasachstan und das Streben nach Integration und danach, in Deutschland wirklich zuhause zu sein, bestimmt seitdem das Leben der Familie. Nicht auffallen, perfekt Deutsch sprechen, alle Erwartungen erfüllen, keine Relikte aus der alten Heimat mit sich herumschleppen – das gelingt ihm zunächst auch sehr gut. Dass er blauäugig und hellhaarig ist, kommt ihm da sicher zugute. Trotzdem fühlt sich die Familie und besonders der Ich-Erzähler unsicher, immer wieder hin und her gerissen zwischen der Gemeinde der Russlanddeutschen und den neuen Mitbürgern. Gerade die Älteren sind dem neuen Leben oft nicht gewachsen.
„In Deutschland, glaubten sie, würden sie und ihre Kinder selbst über ihr Leben bestimmen. Nur hatten sie das selbst nie gelernt und konnten das auch in Deutschland ihren Kindern nicht beibringen. Die neue Freiheit überforderte uns.“
Auch wenn er sich nach außen gut integriert, zweifelt der Ich-Erzähler oft. Hat er nicht zu viel von sich selbst aufgegeben, die von ihm erwarteten Rollen zu gut ausgefüllt, sein altes Ich verraten, wie ihm später seine Freundin Marie, die aus Rumänien stammt und der das Eingliedern in die deutsche Gesellschaft nicht ganz so leicht von der Hand geht, vorwirft?
„Ich konnte noch immer nicht sagen, wer oder was ich bin. Ich wusste nur, dass ich viel zu lange viel zu viele Rollen gespielt hatte. Die meisten hatte ich ohne Gegenwehr angenommen. Ich hatte sie angenommen, weil ich dachte, diese oder jene Rolle werde von mir erwartet. Von meinen Lehrern, von meinen Kommilitonen, von meinen Kollegen. Und von Marie.“
Mark und Marie
Mit Marie verbindet ihn eine nicht immer ganz einfache, aber tiefe Beziehung. Am Ende scheitert sie aber genauso wie die zu seiner früheren deutschen Freundin Karina. Vielleicht zerbricht sie daran, dass Marie noch nicht so sesshaft ist, sich noch nicht angekommen fühlt, mehr von ihrem Leben verlangt und der neuen Heimat weitaus kritischer gegenübersteht als der Ich-Erzähler.
Zu Mark, den er schon bald nach seiner Immigration im Schwimmverein kennenlernt und der seine Liebe zum Angeln teilt, verbindet ihn eine stabile Freundschaft. Mark ist für mich der interessanteste Charakter, den Viktor Funk in Bienenstich geschaffen hat. Ihm geht in Kindheit und Jugend alles scheinbar leicht von der Hand. Eine sichere Existenz gibt er aber für ein Entwicklungsprojekt in Burundi auf. Dort will er jugendlichen Waisen eine Zukunft bieten, startet ein Geschäftsmodell mit Solarmodulen. Was aber so idealistisch und erfolgreich gestartet ist, scheitert an den Gegebenheiten vor Ort, an wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, der Mentalität der Menschen, die Mark nicht ausreichend einkalkuliert hat.
Die Suche nach Identität
Bienenstich ist ein Buch über die Suche nach Identität und über scheiternde Beziehungen, über unterschiedliche Ansätze, als Migrant:in in Deutschland anzukommen, über Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Zugehörigkeit. Der Ich-Erzähler und der Autor teilen sich einige biografische Eckpunkte und ganz sicher auch die Liebe zum Angeln. Für mich, die ich dazu gar keinen Draht habe, waren die manchmal doch etwas ausführlichen Passagen dazu ebenso eine Herausforderung wie die sich etwas zu intensiv um die Beziehung zu Marie drehenden Passagen. Jedes Mal gelingt es Viktor Funk aber, wieder zum Kern seiner Geschichte zurückzukommen, zu dem nun mal auch das Angeln und natürlich die nicht ganz unproblematische Beziehung zu Marie gehören. Ich mochte das Buch gern und es ist sehr zu begrüßen, dass der Verbrecher Verlag eine leicht bearbeitete Neuauflage von Bienenstich nach dem wirklich sehr beeindruckenden Wir verstehen nicht, was geschieht von Viktor Funk veröffentlicht hat.
Beitragsbild by Gourmandise (CC BY-NC-ND 2.0) via Flickr
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Viktor Funk – Bienenstich
Verbrecher Verlag August 2023, Hardcover, 224 Seiten, 22,00 €