Von Norden rollt ein Donner betitelt der Autor Markus Thielemann seinen zweiten Roman. Der Titel ist vortrefflich gewählt, spiegelt er nicht nur das Unheimliche, Bedrohliche, das der Text ausstrahlt, sondern verweist in vielerlei Hinsicht auch auf den Inhalt. Schauplatz und heimliche Protagonistin ist die Lüneburger Heide, jene Landschaft im Norden Deutschlands, die seit dem späten 19. Jahrhundert und ganz besonders von den Nationalsozialisten zum Mythos der urdeutschen Landschaft verklärt wurde. Ganz besonders der durch rassisch-völkische und misogyne Ansichten aufgefallene und noch heute reichlich verharmlosend als „Heidedichter“ verehrte Hermann Löns hat zur Idealisierung dieser kargen, einst sehr armen Gegend beigetragen. Heute ist sie als rustikale, vermeintliche Idylle ein vielbesuchtes, nachhaltiges Touristikziel.
Heidelandschaft
Viel zu dem von den Besuchern gesuchten Bild der Heide tragen die dort ansässigen Schäfer mit ihren Heidschnucken bei, die für die Landschaftspflege essentiell sind, aber auch sehr viel zum Flair beitragen. Mit einer solchen Herde ist der 19-jährige Jannes Kohlmeyer unterwegs. Anders als seine Schulfreunde, die wegen Studium oder Ausbildung die Heide verlassen haben und sich nur noch selten hierher verirren, ist er dem elterlichen Hof treu geblieben und liebt die Arbeit mit den Schafen, die Landschaft, die Ruhe, die Naturverbundenheit.
Dennoch ist er manchmal noch unsicher hinsichtlich seiner Lebensperspektiven, hadert hin und wieder mit sich und seiner Familie. Opa Wilhelm Volker, Vater Friedrich und Mutter Sibylle arbeiten mit ihm Hand in Hand, wobei der Vater immer öfter Anlass zur Sorge gibt. Sind seine kleinen Aussetzer und die Vergesslichkeit Anzeichen einer frühen Demenz? Seine Schwiegermutter, Wilhelms Frau Erika ist schon länger ins Reich des Vergessens abgetaucht und lebt im Heim.
Aber auch Jannes verfolgt die Sorge, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Aussetzer, Ohnmachten und Visionen ereilen ihn in letzter Zeit immer wieder. Nicht nur die Angst vor den Wölfen, deren Bestände in den letzten Jahren gewachsen sind und die immer wieder Nutztiere reißen, treibt ihn um. Eine kleine Frau, die nur er sieht, taucht immer wieder in der Heidelandschaft auf. Ist es jene Rose, von der Oma Erika immer wieder unverständliche Dinge erzählt hat? Und von der Opa Wilhelm nichts wissen will. Von Norden rollt ein Donner ist auch eine Schauer- und Gespenstergeschichte, deren zunehmende Bedrohlichkeit Markus Thielemann bereits im Buchtitel spiegelt.
Ort des Unheimlichen
Die südliche Heide ist auch der Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen und seines bis 2018 weitgehend vergessenen Außenlagers Unterlüß/Tannenberg, das sich in unmittelbarer Nähe zum Hof der Kohlmeyers befunden hat. Und sie ist der Ort mehrerer Truppenübungsplätze, von denen Geschützlärm „wie ein Donner“ erklingt, und Erprobungsgelände des Waffenkonzerns Rheinmetall, der sich auf seiner Internetseite „stolz“ auf den „Naturschutz“ dort und die „Ruhe im Paradies“ zeigt. Denn man „machte (…) hier die Erfahrung, dass der Donner der Kanonen die Tierwelt nicht schreckt.“ Tatsächlich steigen die Populationen der Wölfe gerade in diesen Sperrgebieten. Und machen den Schäfern Angst. Abschuss oder Rücksicht auf die meist ökologisch ausgerichteten Heide-Besucher, für die nicht nur das Wolfcenter eine Attraktion ist und die oft mit der naturnahen Wiederansiedlung der Wölfe sympathisieren. Die Debatte darüber ist entbrannt. Und beschäftigt im Roman auch immer wieder ein NDR-Team, das über die Schäfersfamilie berichten will.
Völkische Siedler
Etwas weiteres Bedrohliches lässt sich zunächst unbemerkt in der Nachbarschaft des Volker-Hofs nieder. Die neuen Nachbarn treten heimatverbunden, traditionell, aber freundlich und hilfsbereit auf. Die Leser:innen erkennen in ihnen aber unschwer Vertreter der Völkischen Siedler, die sich seit Jahren in der Lüneburger Heide vermehrt ausbreiten und mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Es ist auch die Zeit, der Roman spielt 2014/2015, als sich eine neue „national- und wirtschaftsliberale, europakritische“ Partei formiert, die heute erschreckende Erfolge feiert.
Dieses Unheimliche, Beängstigende, die Geister der Vergangenheit und Gegenwart, Familienschuld und Krankheit, Wölfe und Gefechtslärm – Markus Thielemann verwebt sie mit stimmungsvollen Naturbeschreibungen und dem Bodenständigen, Verantwortungsvollen, Wortkargen seiner Protagonisten zu einer etwas düsteren, spannenden und mitreißenden Geschichte. Nicht alles wird auserzählt, manches bleibt offen oder in der Schwebe. Alles andere wäre einem Schauerroman, der das Buch eben auch ist, auch abträglich. Von Norden rollt ein Donner steht zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreis 2024 und ist für mich auch ein heißer Anwärter auf diesen Preis.
Bei Letteratura findet ihr eine weitere Besprechung
Beitragsbild:by Tanne1949, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons
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Markus Thielemann – Von Norden rollt ein Donner
C.H.Beck Juli 2024, 287 Seiten, Hardcover, € 23,00