Emilienne Malfatto – Die Schlangen werden dich holen

Am 5. Januar 2019 wird die 62-jährige Maritza Queiroz Leiva auf der Finca El Diviso im Dschungel der kolumbianischen Sierra Nevada, unweit des karibischen Meers, erschossen. Die Hintergründe der Tat bleiben im Dunkeln und werden von den öffentlichen Stellen nicht näher untersucht. In Kolumbien werden trotz Friedensabkommen der Regierungen mit den verschiedenen Guerillagruppen, wie beispielsweise 2016 mit der FARC, nach wie vor Menschen, die den Mächtigen im Weg stehen – seien es politische Gegner, soziale oder Klimaaktivist:innen – bedroht und ermordet. Nach 50 Jahren Krieg und geschätzt bis zu einer halben Million Todesopfern, zählte man auch 2019 noch 250 Morde, 2023 lag die Zahl bei 188. Ganz gleich, ob sie sich der Drogenmafia, Kaffeebaronen, Tourismusentwicklern oder dem Bergbau entgegenstellen, engagierte Bürger leben gefährlich. Die französische Journalistin, Fotografin und Autorin Emilienne Malfatto hat den Fall Maritza Queiroz Leiva untersucht und darüber die literarische Reportage Die Schlangen werden dich holen verfasst.

Im Fadenkreuz der Guerilla

Bereits Maritzas Mann Alvaró wurde 2004 von der Guerilla ermordet. Und bereits damals wurden die Begleitumstände und Gründe niemals aufgeklärt. Maritza zog von ihrer damaligen Finca El Encanto Richtung Küste in die Nähe der Hafenstadt Santa Marta.

„So kam es, dass Maritza und ihre Familie die Sierra Nevada verließen und sich in das Heer der Menschen einreihten, die man beschönigend als „Binnenvertriebene“ bezeichnete, Menschen, die alles verloren haben, bei denen der Staat versagt hat, die fliehen müssen und meist in den Slums der großen Städte landen, bitterer Armut und allgegenwärtiger Gewalt ausgeliefert, diese Vertriebenen, zu denen im Jahr 2004 offiziell mehr als drei Millionen Kolumbianerinnen und Kolumbianer zählten – mehr als sieben Prozent der damaligen Bevölkerung.“

Sechs Kinder musste sie nun allein großziehen, engagierte sich außerdem sozial und bewirtschaftete Land in den hauptsächlich dem Kaffeeanbau dienenden Berghängen der Sierra Nevada de Santa Marta.

„War das der Grund dafür, dass dich Bewaffnete auf deinem Grund erschossen? Wurdest du getötet, weil ein gieriger Nachbar es auf dein Land abgesehen hatte? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter?“

Gefährliche Recherche

Die 1989 geborene Emilienne Malfatto – 2021 für ihren Roman Möge der Tigris um dich weinen mit dem Prix Goncourt du premier roman ausgezeichnet – nähert sich von verschiedenen Seiten diesem Mord. In für sie nicht ungefährlichen Recherchen spricht sie mit Angehörigen, Freunden, Nachbarn, aber auch mit Ex-Guerilleros und fährt mit dem Motorrad in das schwer zugängliche und unsichere Gebiet. Sie möchte herausbekommen, was 2019 wirklich geschah, die Hintergründe beleuchten, möglicherweise herausbekommen, wer für Maritzas Tod verantwortlich ist. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Die Menschen haben Angst, kaum jemand spricht offen mit ihr. Im Buch werden deshalb auch keine Klarnamen benutzt.

Auch wenn die Tat weiterhin im Dunkeln bleibt, hat Emilienne Malfatto die Ermordete Maritza Queiroz Leiva dem Vergessen, das den Verantwortlichen so entgegenkommen würde, entrissen. Weit mehr als die Schilderung eines Einzelschicksals liegt hier eine Art Fallstudie vor. So ähnlich wie Maritza erging und ergeht es vielen aktivistischen Kolumbianer:innen. Entstanden ist das Buch bereits 2020. Geändert hat sich auch mit der Wahl eines neuen Präsidenten 2022 wenig. Deshalb ist die atmosphärisch dichte, genau recherchierte und literarisch herausragende Reportage, die auch die Schwierigkeiten bei ihrer Entstehung nicht verschweigt und die Ermordete stellenweise persönlich anspricht, umso wertvoller. Emilienne Malfatto hat mit Die Schlangen werden dich holen ein äußerst lesenswertes Buch geschrieben.

 

Carlos Guerrero Mesia, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

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Emilienne Malfatto – Die Schlangen werden dich holen
Übersetzt von Astrid Bührle-Gallet
Orlanda Verlag 2024, gebunden, 150 Seiten, 20,00 €

 

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