Anne Tyler – Drei Tage im Juni

Wenn ich richtig gezählt habe ist Drei Tage im Juni bereits der 25. Roman von Anne Tyler. In Deutschland werden die Werke der 1941 geborenen US-Amerikanerin oft ein wenig geringgeschätzt und allzu eifrig in die Unterhaltungsschublade gesteckt. Im englischsprachigen Raum, wo die Grenze zwischen E- und U-Literatur nicht ganz so eifersüchtig bewacht wird, hat Anne Tyler 1989 für ihren Roman Atemübungen den Pulitzer Prize erhalten und war 2015 mit Der leuchtend blaue Faden für den Booker Prize nominiert. Für mich ist sie mit ihren lebensklugen, warmherzigen und heiteren Romanen eine Lieblingsautorin, und das seit Jahrzehnten.

Es sind die Alltäglichkeiten, die vermeintlich kleinen Dinge, die zwischenmenschlichen Beziehungen, das, was von manchen Kritikern gerne abschätzig als „Frauenliteratur“ bezeichnet wird, was bei Anne Tyler im Mittelpunkt ihrer Bücher steht. So auch in Drei Tage im Juni, das nebenbei bemerkt vom Verlag ein ganz furchtbares Cover verliehen bekommen hat. (Ein junges, sich innig küssendes Paar ist da abgebildet und verheißt eine Liebesgeschichte und vermutlich reichlich Kitsch) Da sollte man besser auf den Blurb der äußerst klugen Autorin Olga Grjasnowa hören, die dort feststellt:

„Niemand bereitet einen so gut auf das Leben vor wie Anne Tyler.“

Mangelnde Sozialkompetenz

Ich weiß nicht, ob ich dem so ganz zustimmen möchte, auf jeden Fall hat Anne Tyler immer einen sehr genauen, unbestechlichen, aber sehr menschenfreundlichen Blick auf ihre Protagonist:innen. In Drei Tage im Juni ist das in erster Linie die Ich-Erzählerin Gail. Die ist Anfang sechzig und war lange Jahre als stellvertretende Schulleiterin in Baltimore tätig. Nun wird sie von der Direktorin, die selbst in Pension gehen möchte und eine Nachfolgerin sucht, recht unsanft degradiert. Mangelnde Sozialkompetenz wirft sie ihr vor. Dabei will die von ihr ausgesuchte „Neue“ lediglich ihre eigene Stellvertreterin mitbringen. Das lässt sich Gail nach all den Jahren nicht gefallen und kündigt selbst.

Dabei ist der Zeitpunkt denkbar ungünstig. Ihre einzige Tochter Debbie wird am nächsten Tag heiraten und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Und dann steht auch noch ihr Ex-Mann Max vor der Tür. Im Schlepptau eine Pflegekatze, die er nicht alleinlassen möchte, mit der er aber auch nicht wie geplant bei Debbie unterkommen kann, denn der Bräutigam Kenneth ist hochgradig allergisch auf Katzenhaare. Zähneknirschend nimmt Gail ihren schon immer sehr raumgreifenden Ex bei sich auf.

Ein Kammerspiel

Anne Tyler hat mit Drei Tage im Juni ein Kammerspiel geschaffen, das sich auf diese drei Tage beschränkt und sich vor allem in Gails Haus abspielt. Man geht zum Probeessen, noch schnell einen Anzug für den etwas verpeilten Max kaufen, begleitet die Trauung in der Kirche und die Feier im stinknoblen Club der etwas nervigen Schwiegereltern. Ein erst kürzlich begangener Seitensprung droht, die ganze Hochzeit ins Wasser fallen zu lassen und die stets mit sich hadernde, hoch reflektierte Gail entdeckt, wieviel Verbundenheit und Vertrautheit noch zwischen ihr und Max besteht.

In wenigen Worten schafft es Anne Tyler in Drei Tage im Juni Menschen und ihre Beziehungen pointiert zu porträtieren. Feinsinnig und humorvoll begleitet sie ihre Protagonist:innen durch den Alltag und seine kleinen und größeren Dramen. Das ist oft unspektakulär, aber immer höchst unterhaltsam und warmherzig. Und vor allem völlig ohne Kitsch oder Klischees. Und so erlaubt man dieser großartigen Autorin sogar eine Art Happy End. Oder ist es gar keins? Anne Tyler überlässt das klugerweise ihren Leser:innen.

 

Weitere Bücher von Anne Tyler:

Anne Tyler – Eine gemeinsame Sache

Anne Tyler – Der Sinn des Ganzen

Ann Tyler – Die störrische Braut

 

Beitragsbild von Bogdan Tischer form PxHere

 

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Anne Tyler-Drei Tage im Juni.

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Anne Tyler – Drei Tage im Juni
Aus dem Englischen von Michaela Grabinger
Kein & Aber November 2024, gebunden, 208 Seiten, € 23,00

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