Wir kennen das von etlichen True Crime-Geschichten und blutigen Thrillern: ein genialischer, fast charismatischer Killer tötet serienweise vorzugsweise junge, hübsche Frauen, die vor ihrem Tod entsetzlich leiden müssen. Und auch wenn es meistens am Ende zur Ergreifung des Täters kommt, wird dieser doch oft genug mystifiziert und fasziniert Leser- und Zuschauer:innen auf die eine oder andere Weise. Auf jeden Fall liegt oft genug der Fokus auf ihm als Täter. Man denke da beispielsweise an den Killer in „Das Schweigen der Lämmer“. Tatsächlich soll der Serienmörder, der in Bright young women, dem an einen realen Fall angelehnten Roman von Jessica Knoll wütet, Thomas Harris, der die Romanvorlage zum Film schrieb, als Inspiration für seinen Killer „Buffalo Bill“ gedient haben.
Einen ganz anderen Weg geht die US-amerikanische Bestsellerautorin. Mit einer spürbaren Wut schreibt sie gegen diese Verklärung eines Mannes an, der zwischen 1974 und 1978 mindestens 30 junge Frauen (Schätzungen gehen von bis zu 100 Opfern aus) vergewaltigt, getötet und oftmals zerstückelt hat. Ein Mann, der von den Medien und unbegreiflicherweise auch vielen Frauen als „verdammt gutaussehend“, sehr intelligent, charmant und charismatisch nahezu verehrt wurde und wird, der etliche Bücher bevölkert, dem ein Film mit Starbesetzung und eine Netflix-Serie gewidmet wurde. Und der in der Zeitung als „bright young student“ bezeichnet wurde. Vielleicht bezieht sich der Titel des Buchs trotzig und wütend darauf.
Im Mittelpunkt die Opfer
Denn Jessica Knoll will von dieser Mystifizierung weg. Sie erwähnt nicht einmal den Namen des Killers, nennt ihn stets den „Angeklagten“ und auch ich will den Namen nicht nennen (man findet ihn bei Bedarf sehr schnell heraus). Denn der Fokus soll nicht schon wieder auf einem seelisch verkrüppelten, grausamen, misogynen weißen Mann liegen, sondern auf seinen Opfern, die oft genug „bright young women“ waren, vor denen eine vielversprechende Zukunft lag. So auch auf den zwei getöteten Studentinnen, die „der Angeklagte“ in einem Studentinnen-Verbindungshaus in Tallahassee überfiel.
Die Leiterin dieses Hauses, die Jurastudentin Pamela, „Pam-Perfekt“ wegen ihrer Organisiertheit und ihres Perfektionismus genannt, ist die Ich-Erzählerin des Romans. Ihre beste Freundin Denise war eines der Mordopfer. Wir begleiten Pamela nicht nur durch die nächsten Tage nach dem Überfall im Januar 1978, sondern auch bei eigenen „Ermittlungen“, während des 1979 stattfindenden Prozesses gegen den „Angeklagten“, in dem sie eine bedeutende Rolle spielen wird, da sie den Mörder als einzige gesehen hat, und in einer Rahmenhandlung im Jahr 2021, die damit beginnt, dass Pamela von einer damaligen Bekannten angeschrieben wird, die Neuigkeiten zum Fall hat.
Eine Mordserie
Schon kurz nach der Tat in Tallahassee meldet sich eine junge Frau bei Pamela, Tina Cannon. Sie war die Partnerin eines früheren Mordopfers – Ruth. Diese ist die zweite Ich-Erzählerin im Roman. Und sie wird ihn nicht überleben. Tina hat das Phantombild des „Angeklagten“ gesehen und knüpft die Verbindung zu einer Mordserie im Bundesstaat Washington im Jahr 1974. Mindestens acht junge Frauen wurden dort ermordet. Zwei davon wurden vom Lake Sammamish bei Issaquah entführt, eine davon war Ruth.
Danach verlagerte der „Angeklagte“ seine Taten zunächst nach Utah, später nach Colorado. Hinweise auf ihn aus der Bevölkerung wurden von den Behörden missachtet. Verhaftet wurde er 1975 durch einen Zufall: bei einer Verkehrskontrolle entdeckte die Polizei verdächtige Gegenstände im Wagen und vermutete einen Einbrecher. Eine Gegenüberstellung mit einer jungen Frau, die ihm gerade noch entkommen konnte, brachte ihm zunächst die Anklage wegen versuchter Entführung ein. Bei einer späteren Untersuchung seines Autos wurden Haare eines Mordopfers aus Colorado gefunden und er wurde des Mordes angeklagt. Zweimal entkam er in der Folge aus dem Gefängnis. Dieses eklatante Versagen führte schließlich zu den Morden in Tallahassee.
Misogyne Ermittlungen
Das Verhalten der Polizei war unglaublich. Misogyne, sexistische Ermittlungen, die Aussagen der jungen Frauen nicht ernst nahmen, die die lesbische Beziehung von Ruth und Tina misstrauisch beäugten und Tinas frühen Verdacht, dass die verschiedenen Morde zusammenhängen, von daher nicht berücksichtigten, Medien und eine Öffentlichkeit, die bis heute den Täter verklären, der nur ein hinterhältiger, niederträchtiger Mistkerl war, mäßig intelligent, mäßig gutaussehend, und der die anerzogene Hilfsbereitschaft und Höflichkeit junger Frauen brutal ausnutzte.
Man kann Bright young women von Jessica Knoll einiges vorwerfen. So ist der Roman relativ geschwätzig, die Erzählerin greift immer wieder aufdringlich raunend in die Zukunft voraus und auch sprachlich ist das Buch nicht unbedingt brillant. Aber die Wut und Verve, mit denen der Text den Fokus weg von den Tätern hin zu den Opfern lenkt ist beeindruckend. Die Hoffnung auf eine „neue“ Generation bewegt auch Pamela, ihre Geschichte zu erzählen.
„(…) es sind die sozialen Medien, und die Frauen auf Twitter und Instagram, die allesamt so die Schnauze voll haben (…) Es ist ein Klima, das auch meiner Seite der Geschichte einen Wert verleiht. (…) als ich zuhörte, wie diese Mädchen den höflichen Chauvinismus in dem blecheren Video auseinandernahmen, fragte ich mich, ob es nicht an der Zeit war, meinen Namen aus den Fußnoten zu befreien und seine Lügengeschichten zu entlarven.“
Diese Selbstermächtigung im Namen der Bright young women ist ein großes Verdienst dieses zudem noch spannenden Romans von Jessica Knoll. Gerade heute, wo etliche Kräfte versuchen, das Rad in so vielen Bereichen wieder zurückzudrehen.
Beitragsbild: Tribune press photographer, Public domain, via Wikimedia Commons
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Jessica Knoll – Bright young women
Übersetzt von Jasmin Humburg
Eichborn Oktober 2024, Paperback, 464 Seiten, € 18,00