Vigdis Hjorth zählt in Norwegen seit Langem zu den wichtigsten und erfolgreichsten Schriftsteller:innen des Landes. Ihre Romane wurden zwar schon zeitig ins Deutsche übersetzt, erschienen aber in einem kleinen Verlag und erlangten nicht so wirklich viel Aufmerksamkeit bei uns. Das hat sich seit dem Gastlandauftritt Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse 2019 zum Glück geändert und mittlerweile kümmert sich der S. Fischer Verlag sehr erfolgreich um ihre Werke. Auch der neueste, recht schmale Roman von Vigdis Hjoth, Die Wiederholung, liegt hier nun vor.
Es ist eine Wiederholung in mehrfacher Hinsicht. Die Autorin wiederholt ein Thema, über das sie bereits in ihren vorherigen Romanen, etwa Ein falsches Wort (vormals Bergljots Familie) oder Die Wahrheiten meiner Mutter, schrieb. Vor allem Ein falsches Wort hat in Norwegen hohe Wellen geschlagen, einen echten Skandal ausgelöst und zum Bruch Hjorths mit ihrer Familie geführt. Es erzählt vom Missbrauch eines kleinen Mädchens durch den Vater. Und es wurde heftig spekuliert, ob dies autobiografisch inspiriert war, Hjorths Schwester sah sich sogar zu einem Gegenroman genötigt.
Alles was du vergessen willst, kehrt zu dir zurück
Der Titel Wiederholung bezieht sich aber auch direkt auf das Werk des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard aus dem 19. Jahrhundert. Eines seiner berühmtesten Zitate ist: „Das Leben muss vorwärts gelebt werden, kann aber nur rückwärts verstanden werden.“ Und so bemüht sich auch die Erzählerin in Wiederholung, ihr Heranwachsen besser zu verstehen. Ausgelöst wird der Erinnerungsstrom durch einen Konzertbesuch der Schriftstellerin, die sich zuvor zum Schreiben mit ihrem Hund in eine einsame Hütte zurückgezogen hat. Im Konzertsaal sitzt sie neben einer jungen Frau, die dort mit ihren übergriffigen Eltern zu Besuch ist. Das erinnert sie an ihre Teenagerzeit mit einer extrem kontrollierenden Mutter.
„Alles was du vergessen willst, kehrt zu dir zurück, es sucht dich heim, so wahrhaftig, dass du das Gefühl hast, es noch einmal zu durchleben (…)“
1975 ist die Erzählerin sechzehn Jahre alt. Ihre beginnende Sexualität stürzt die Mutter in eine geradezu obsessive Panik. Sie kontrolliert, verdächtigt, überwacht und reglementiert die Tochter so intensiv, dass man sich als Leser:in unwillkürlich fragt, was dahinter steckt. Zumal die Mutter eigentlich relativ lieblos mit ihrer Tochter umgeht, diese manchmal gar so etwas wie Hass zu spüren meint. Eine übertriebene Sorge um das Wohl des Kindes kann also (zumindest nicht nur) der Auslöser sein. Erfahrene Leser.innen von Vigdis Hjorth ahnen, dass auch in Wiederholung der kindliche Missbrauch(sverdacht) hinter diesem Verhalten der Mutter stecken könnte. Angst, dass sich dieser Verdacht durch das Verhalten der Tochter bestätigen könnte oder auch Angst, weil sie von den Vorgängen weiß und fürchtet, dass sie sich durch das „ungehörige“ Benehmen der Tochter offenbar werden könnten. Hjorth deutet dies nur an.
Rettung liegt im Schreiben
Bei der Erzählerin löst das Vorgehen der Mutter leicht nachvollziehbar Trotz aus, steigert die Lust, ihre engen Grenzen zu umgehen. So wird sie erst zu der tickenden Zeitbombe, die die Mutter so fürchtet. Ein Tagebucheintrag über eine (erfundene) Liebesnacht führt in der Familie – denn natürlich hat die Mutter den Eintrag heimlich gelesen – zu dramatischen, ziemlich überzogenen Reaktionen. „Rettung“ liegt für die junge Frau nur im Schreiben. Ermutigt wird sie dazu von ihrer Norwegischlehrerin.
„Sie wissen noch immer nicht, dass das, was ich dem geheimen Tagebuch anvertraut hatte, nicht stimmte, dass es erdichtet und geträumt war, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Aber die Wirkung, die sie hatte, meine erste Geschichte, und das Entsetzen, das sie auslöste, lehrten mich etwas Entscheidendes: dass das, was wir erdichten, von größerer Bedeutung sein kann als das, was wahr ist, dass es wahrer sein kann.“
Den Blick der gereiften Frau, der erfolgreichen Schriftstellerin auf ihr jüngeres Ich beschreibt Vigdis Hjorth so intensiv wie überraschend nüchtern-analytisch. Immer wieder stellt sich die Erzählerin die Frage, was Erinnerung eigentlich ist, wie man sie fassen kann. Sie bedient sich dabei langer, schweifender Sätze, was dem Erinnerungsprozess sehr gut entspricht. Der Ton ist oft ironisch-distanziert, manchmal auch sehr witzig und voll Situationskomik. Neben Referenzen auf Kierkegaard zieht Vigdis Hjorth auch immer wieder Edvard Munchs Meisterwerk „Der Schrei“ hinzu, auch ein existenzielles Werk, das in etlichen Variationen als Wiederholung existiert.
Beitragsbild via pxhere
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Vigdis Hjorth – Wiederholung
Übersetzt von: Gabriele Haefs
S. FISCHER Februar 2025, 160 Seiten, gebunden, € 22,00







