Zum zehnten Mal wurde im September 2025 der Franz-Tumler-Preis für ein deutschsprachiges Debüt in Laas/Südtirol verliehen
Von 2017 bis 2023 war ich Mitglied der Bloggerjury für den Literaturpreis Das Debüt, den es leider nicht mehr gibt. Meine Liebe zu literarischen Debütromanen wurde spätestens hier geweckt. Wie viele spannende neue erste Verlagsveröffentlichungen es jedes Jahr gibt, wie unterschiedlich die Autor:innen diese sprachlich gestalten, welche vielfältigen Themen sie wählen – das begeistert mich immer wieder. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, als im Frühjahr die Anfrage kam, ob ich den Franz-Tumler-Preis, der jedes zweite Jahr in der kleinen Vinschgauer Gemeinde Laas verliehen wird, im Jubiläumsjahr 2025 begleiten möchte.
Der Franz-Tumler-Literaturpreis für zeitgenössische deutschsprachige Debütromane wird von der Südtiroler Landesregierung gemeinsam mit der Gemeinde Laas vergeben, erstmals im Jahr 2007. Er ist mit 8000 Euro dotiert und mit einem Aufenthalt in Laas anlässlich der Vinschgauer Literaturtage im darauffolgenden Jahr verbunden. Es handelt sich um einen Auswahlpreis der Jury aus Veröffentlichungen des Zeitraums zwischen dem 1. Januar und dem 31. Mai 2025, es können also keine Einsendungen durch Verlage oder Autor:innen vorgenommen werden.
Franz Tumler
Der Preis trägt den Namen des Autors Franz Tumler (1912-1998), der familiäre Beziehungen zu Laas besaß. Wie betont wird, „vor dem Hintergrund der kritischen Auseinandersetzung mit Leben und Werk Tumlers“, der wegen seiner Nähe zu den Nationalsozialisten und völkischer Gesinnung nicht ganz unumstrittenen ist. Massive Repressionen des „Duce“ Mussolini ließen in den 1930er Jahren viele deutschsprachige Südtiroler auf das Hitler-Regime hoffen. Tumler hat seine Verstrickungen nie zu vertuschen gesucht und sich bemüht, sie literarisch aufzuarbeiten. Seine Förderung junger Autor:innen in der Nachkriegszeit gaben wohl den Ausschlag, den Preis nach ihm zu benennen.
Der Hauptpreis wird von einem Publikumspreis begleitet, für den Leserinnen und Leser der Südtiroler Bibliotheken abstimmen können. Der Publikumspreis umfasst einen dreiwöchigen Schreibaufenthalt in der Künstlerwohnung auf dem auf 1600m Höhe gelegenen Rimpfhof und Lesungen im Vinschgau.
In diesem Jahr erfolgte die Preisverleihung bereits zum zehnten Mal, ein Jubiläum.
Frühere Preisträger:innen waren:
2007: Emma Braslavsky für Aus dem Sinn Publikumspreis ab 2009:
2009: Lorenz Langenegger für Hier im Regen Lea Gottheil für Sommervogel
2011: Joachim Meyerhoff für Alle Toten fliegen hoch Astrid Rosenfeld für Adams Erbe
2013: Björn Bicker für Was wir erben Barbara Aschenwald für Omka
2015: Kristine Bilkau für Die Glücklichen Petra Hofmann Nie mehr Frühling
2017: Julia Weber für Immer ist alles schön Stephan Lohse Ein fauler Gott
2019: Angela Lehner für Vater unser Lola Randl für Der Große Garten
2021: Anna Felnhofer für Schnittbild Hengameh Yaghoobifarah Ministerium der Träume
2023: Tine Melzer für Alpha Bravo Charlie Irina Kilimnik Sommer in Odessa
Nominierungen 2025

2025 waren fünf Romane nominiert, von denen ich erst zwei kannte. Ich finde es immer sehr spannend, Romane zu entdecken, die mit ansonsten vielleicht entgangen wären.
* Amira Ben Saoud mit Schweben (Zsolnay Verlag)
Nominiert von: Gerhard Ruiss (Autor und Literaturwissenschaftler aus Wien)
* Christina König mit Alles, was du wolltest (Otto Müller Verlag)
Nominiert von: Daniela Strigl (Literaturwissenschaftlerin und Literaturkritikerin aus Wien)
* Annegret Liepold mit Unter Grund (Blessing)
Nominiert von: Ferruccio Delle Cave (Literatur- und Musikwissenschaftler aus Meran)
* Ricarda Messner mit Wo der Name wohnt (Suhrkamp Verlag)
Nominiert von: Manfred Papst (Journalist und Autor aus Zürich)
* Jan Snela mit Ja, Schnecke, ja (Klett-Cotta)
Nominiert von: Jutta Person (Journalistin und Kulturwissenschaftlerin aus Berlin)

Reise nach Laas
Noch nie war ich in Südtirol, und Laas war mir bis dahin nicht bekannt. Der Preis war mir vor allem durch die Beiträge von Bozena Badura und Uwe Kalkowski (Kaffeehaussitzer.de) im Kopf, die vergangene Ausgaben besucht haben. Interessant ist er für mich vor allem, weil er eben ein Debütpreis ist, von denen es bis vor kurzem gar nicht so viele gab. Den aspekte Literaturpreis gibt es seit 1979, der Fuldaer Literaturpreis existiert seit 2019. Das Besondere am Franz Tumler Preis ist die öffentliche Diskussion der fünfköpfigen Jury, ähnlich wie beim Bachmann Wettbewerb oder beim Bayerischen Buchpreis. Anders als bei diesen findet die Entscheidungsfindung allerdings nicht-öffentlich statt.
Am 18. September ging ich also auf die Reise nach Laas. Gar kein so einfaches Unterfangen, schien es mir, wollte ich die fast 14 Stunden und 700 Kilometer umfassende Fahrt doch per Zug bewältigen. Ich fahre leidenschaftlich gern Zug – wenn es denn funktioniert. Und der Reisegott (oder die Deutsche Bahn) war gnädig – es funktionierte. Auch der Wettergott war auf unserer Seite und die Sonne strahlte alle drei Tage von einem strahlendblauen Himmel.
Ab Bozen wurden die Bahnhöfe immer heimeliger, die Ortsnamen immer drolliger, die Apfelplantagen immer dichter. Und pünktlich eine Stunde vor Beginn der Eröffnung des Preises in der Laaser Bibliothek traf ich im schönen Dorfgasthof Zur Sonne ein.
Das Marmordorf
Laas ist bekannt als das „Marmordorf“ im Vinschgau/Südtirol. Marmor wird dort seit der Antike abgebaut und das geschieht heute unter Tage im Weißwasserbruch. Bereits am Bahnhof kann man große Marmorblöcke sehen und Marmor bestimmt auch das Stadtbild. So ist beispielsweise das Pflaster der Gehwege damit verlegt. Dadurch erhält Laas etwas ganz Eigenes. Besonders ist auch, wie sehr das ganze Dorf mit seinen ca. 4000 Einwohnern (davon 98% deutschsprachig) in den Franz Tumler Preis mit eingebunden ist. So sind auf den Schaufenstern der Geschäfte auf der Dorfstraße Zitate aus den nominierten Romanen zu lesen, hängen im Dorf verteilt Fotos der Autor:innen, Bücherkisten mit zu verschenkenden Gebrauchtbüchern sind aufgestellt. Ich habe mich im Ort gleich wohlgefühlt.
Zeit war leider zunächst nicht viel. Um 19 Uhr ging es bereits mit der Eröffnung im kleinen Rahmen der (erstaunlich großzügigen) Dorfbibliothek los. Dort machte ich auch die Bekanntschaft mit der Schweizer Buchbloggerin Manuela Hofstädter (lesefieber.ch, bitte unbedingt vorbeischauen). Was mir gleich auffiel, war die familiäre, herzliche Atmosphäre vor Ort und die Offenheit und Freundlichkeit der Autor:innen, die mich gleich in ihre Mitte aufnahmen und sich untereinander super verstanden. Das bekam man beim gemütlichen Abendessen im Dorfgasthaus Zur Krone zu spüren.

Die Lesungen
Am nächsten Tag ging es um sportliche 9 Uhr mit den Lesungen im Josefshaus los. Die Autor:innen lasen jeweils eine halbe Stunde, danach erfolgte jeweils eine Stellungnahme des nominierenden Jurymitglieds, warum es diesen Roman vorgeschlagen hat. Anschließend erfolgte die Jurydiskussion über den Text. Moderiert wurde von Christoph Pichler. Die Reihenfolge wurde nach dem Alphabet bestimmt.
Dementsprechend begann Amira Ben Saoud mit ihrem Roman Schweben (Zsolnay). Nominiert war der Roman von Gerhard Ruiss.
„Gewalt scheint nicht mehr zu existieren, der Klimawandel längst vollzogen. Eine bedrohliche Gelassenheit liegt über der abgeschotteten Siedlung, in der sie lebt. An ihren eigenen Namen hat sie keine Erinnerung mehr. Sie verdient ihr Geld damit, andere Frauen zu imitieren, deren Angehörige nicht mit dem Verlust der Geliebten, der Ehefrau, der Tochter zurechtkommen. Während eines neuen Auftrags gerät ihre Welt ins Wanken: Wer ist diese Emma, die sie spielt? Weisen seltsame Phänomene am Rand der Siedlung auf deren Untergang hin? Und warum ist sie selbst so besessen davon, eine andere zu sein? Amira Ben Saoud gelingt ein fesselndes Debüt, das schwebend leicht grundsätzliche Fragen nach Identität und Beziehungen stellt und danach, was wir uns selbst vorspielen.“
Nicht nur für Gerhard Ruiss war der Roman, obwohl er in einer unbestimmten Zukunft angesiedelt ist, einer mit starken Gegenwartsbezug, z.B. auch über zunehmende Gewaltrituale im Alltag. Auch in den geschlossenen Systemen der „Siedlungen“ sieht er einen Verweis auf unsere heutige Verfasstheit, dem Leben in ziemlich geschlossenen Blasen. Grenzen sind im Text von entscheidender Bedeutung. Vergangenheit und Geschichte sind in den „Siedlungen“ quasi ausgelöscht. Für Ruiss liegt die Pointierung des Textes vor allem in kleinen, beiläufigen Szenen.
Jutta Person fand den Roman sehr spannend, fast kriminalistisch. Den dem Trend der zeitgenössischen Literatur, nach Wurzeln zu suchen, widerstrebenden Moment des Aufbruchs, der durch das Schweben versinnbildlicht würde, fand sie auch sehr interessant. Eine Dystopie sieht sie im Roman nicht und schätzt auch einen gewissen Humor. Manfred Papsts Betonung der Herrschaft einer diffusen patriarchalen Macht stimmt sie zu. Für Papst ist die Frage nach der Rolle der Identität besonders prominent. Alle Juroren schätzen auch die Uneindeutigkeit und das Unbehagen, das durch den Text ausgelöst wird. Die Klimakrise wird von allen als wichtiges Thema im Roman betont. Insgesamt wurde sehr gelobt.
192 Seiten, Deutschland: 23,00 €, Österreich: 23,70 €
ISBN 978-3-552-07520-7
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/amira-ben-saoud-schweben-9783552075207-t-5512
Dann war Christina König mit ihrem Roman Alles was du wolltest an der Reihe. Nominiert war sie von Daniela Strigl.
„Alex und Viktoria sind ein Paar und leben unter einem Dach. Es ist Viktorias Dach – schick möbliert, große Räume, Terrasse mit Pool. Alex darf mietfrei dort wohnen, muss jedoch Putzfrau und Haushälterin spielen. Sie nimmt Viktorias Geschenke und ihre finanzielle Unterstützung an, nutzt auch gerne das Massagestudio im Gartenhaus für ihr berufliches Fortkommen, wird dafür aber zunehmend zu Viktorias Marionette degradiert. Das eigene Massagestudio war schon lange Alex’ Traum – also richtet sie sich ein in diesem ungesunden Kompromiss. Ein Verlobungsring, den Alex bei Viktoria findet, zwingt dann einen Entschluss herbei.
Doch weil dieser Roman ein wenig ungewöhnlich ist und genauso schlecht Entscheidungen treffen kann wie Alex, erzählt er gleich mehrere Möglichkeiten: Wird Alex Viktoria verlassen? Wenn ja, wie geht es für Alex weiter, beruflich und privat? Schafft sie es, sich endgültig von Viktoria zu lösen? Auf direkte und schonungslose Art erzählt Christina König von einer toxischen Beziehung und deren weitreichenden Folgen und umkreist dabei auf originelle Weise Möglichkeiten daraus wieder herauszufinden – oder auch nicht.“
Daniela Strigl schätzt an dem Text – wie die anderen Juror:innen auch – besonders die literarisch originelle Machart, mit Du-Perspektive und drei alternativen Schlüssen, und die psychologisch genaue Darstellung eines Machtgefälles in der (lesbischen) Beziehung von Alex und Viktoria. Diese bestehen vor allem aufgrund von Klassenunterschieden. Manfred Papst schätzt auch die gelungene, nie peinliche, obwohl explizierte Darstellung von Sexualität und die entlarvenden, oft beißenden Sprachbilder. Der Witz, das Satirische und das große Vergnügen, das die Lektüre des Romans bereitet, wurde von allen Juror:innen sehr geschätzt. Welche Rolle die Liebe in dieser Beziehung spielt, wird kontrovers gesehen.
200 Seiten, kartonierter Pappband, € 24
ISBN: 978-3-7013-1328-0
https://www.omvs.at/buch/alles-was-du-wolltest/
Die dritte Lesung gehörte Annegret Liepold mit Unter Grund. Nominiert war der Roman von Ferruccio Delle Cave.
„Inmitten des Schweigens ihrer Familie hat Franka sich schon immer verloren gefühlt. Bereits ihre Großmutter, genannt die Fuchsin, hortete Geheimnisse wie die schwarzen Steine in ihrer Schürze. Als Franka mit Ende Zwanzig in die fränkische Provinz mit den Himmelweihern und Spiegelkarpfen zurückfährt, sieht sie endlich hin: Wie das war in den Nullerjahren, als Deutschland Weltmeister im eigenen Land werden wollte. Als ihr Vater starb und sie in Patrick und Janna Gleichgesinnte fand, die Unsicherheit mit Krawall, Frustration mit Faustschlägen übertünchten. Als sie immer tiefer in die rechte Szene einstieg. Sie beginnt Fragen zu stellen und sucht nach einer Haltung zur Vergangenheit.
Ein hochaktuelles Debüt über eine Jugend auf dem Land zwischen der Sehnsucht nach Zugehörigkeit, radikaler Wut und den blinden Flecken der eigenen Familie.“
Ferruccio Delle Cave schätzt besonders die politische Dimension des Romans. Der erstarkende Rechtsextremismus, der NSU-Prozess und der Fußballsommer 2016 „Zu Gast bei Freunden“ würden gekonnt zu einem Roman über Erinnerung und Zugehörigkeit und über blinde Flecken der Vergangenheit verwebt. Aber auch die Tochter-Mutter-Beziehung und die vielen treffenden Sprachbilder haben ihm sehr gefallen. Die Schilderung einer Radikalisierung (und die Darstellung von verschiedenen Motiven dafür) ist für Gerhard Ruiss das Interessanteste.
Daniela Strigl stört sich ein wenig an der für sie recht eindimensionalen Schilderung der „bösen Großmutter“, die immer noch der nationalsozialistischen Gesinnung verhaftet ist. Sie haben besonders die Stellen über die NSU-Prozesse und über die regionale Teichwirtschaft interessiert, wobei sie dort auch stellenweise etwas Didaktisches entdeckt habe. Manfred Papst schätzt am Text besonders, dass der Text die typischen Erwartungshaltungen zum Thema Rechtsradikalität unterläuft und gleichzeitig politisch, ein Dorfroman und eine Coming-of-age-Geschichte ist. Gerhard Ruiss hebt besonders auch auf die Schönheit der Landschaftsbeschreibungen ab, die für ihn deshalb besonders eindringlich sind, weil die Protagonistin vor dem Verlust ihrer Heimat steht. Überhaupt hat er unzählige schöne Formulierungen gefunden.
256 Seiten, € 24,00
ISBN: 978-3-89667-766-2
https://www.penguin.de/buecher/annegret-liepold-unter-grund/buch/9783896677662
Mittagspause
Nach der Mittagspause mit leckeren Aperitifs im Gasthaus Schwarzer Adler und mit gefüllter Pasta in „der Sonne“ war Ricarda Messner mit ihrem bereits mit dem Fuldaer Literaturpreis 2025 ausgezeichneten Roman Wo der Name wohnt an der Reihe. Nominiert war sie von Manfred Papst.
„Hausnummer 36 und 37, hier in Berlin haben sie jahrelang in direkter Nachbarschaft gelebt. Als Kind spielte die Enkeltochter Tischtennis auf dem Glastisch im Wohnzimmer der Großeltern. Als Erwachsene löst sie deren Wohnung schließlich auf, bringt Besteck, Töpfe und Musikkassetten nach nebenan zu sich. Und sie will noch etwas bewahren: Levitanus, den Familiennamen. Der Wunsch, den Namen wieder anzunehmen, begleitet sie nicht nur im Alltag, sondern führt sie auch nach Riga. Sie folgt den Worten ihres Urgroßvaters Salomon und findet ein Fenster im ehemaligen Rigaer Ghetto, das eng mit ihrer Familiengeschichte verknüpft ist – und sie zeichnet die Bewegungen von vier Generationen nach, vom sowjetischen Lettland der siebziger Jahre bis nach Deutschland.
Ricarda Messner erzählt in ihrem Debütroman vom Ort ihrer Erinnerungen, kehrt immer wieder zurück zum Leben in zwei Wohnungen, nähert sich Verlusten und Lücken, verbindet Heute und Gestern. Wo der Name wohnt lässt so zärtlich wie klar eine Familie aufleben und bewahrt ihre Geschichten.“
Manfred Papst lobt, dass Ricarda Messner sowohl jegliche Dämonisierung als auch Verklärung der Vergangenheit vermeidet, was bei vielen autofiktionalen Texten nicht der Fall ist. Gerade die Genauigkeit der Beobachtung und die Reflexion über deren literarische Verarbeitung macht für ihn den Reiz von Wo der Name wohnt aus. Ferruccio Delle Cave ist begeistert davon, wie Ricarda Messner die große Geschichte auf einzelne Figuren herunterzubrechen vermag. Sehr eindringlich nennt er das. Ein Buch der Erinnerung. Daniela Strigl lobt die Verwebung der heiter-nostalgischen Großmutter-Geschichte mit den Recherchen zu der oft grausamen. Insgesamt viel Lob für diesen Text.
Erscheinungstermin: 24.02.2025
170 Seiten, € 23,00
ISBN: 978-3-518-43232-7
https://www.suhrkamp.de/buch/ricarda-messner-wo-der-name-wohnt-t-9783518432327
Als Letzter las Jan Snela aus seinem Roman Ja, Schnecke, ja. Das Buch wurde von Jutta Person nominiert.
Jan Snela erzählt in seinem Roman von dem großen Durcheinander, in dem wir stecken: wir Menschen, wir Tiere, wir Pflanzen. Davon, wie wir einander begegnen können. Und von der Liebe in ihren mannigfaltigen Spielarten: zwischen einem Mann und einer Frau, zwischen Robotern, Menschen und anderen Lebewesen, zwischen östlicher und westlicher Tradition.
Dass es Amanda an die japanische Frauenuniversität nach Nara zieht, um eine außergewöhnliche Schneckenart zu untersuchen, ist ihrem Freund Hannes suspekt. Die Elysia Marginata kann sich von ihrem Körper trennen, und auch Hannes fühlt sich, alleingelassen mit Amandas Mäusen Isidor und Isadora, wie ein abgeworfenes Schneckenglied. Flieht Amanda vielleicht gar vor ihrer gemeinsamen Zukunft? Lieber nicht zu viel darüber nachdenken. Stattdessen: Überlange Textnachrichten an Amanda, die Mäuse ignorieren, das Haus nicht verlassen. Die verfahrene Situation ändert sich erst, als Hajo in Hannes‘ Leben tritt, dessen Zuneigung aber eigentlich dem Mäusepaar gilt … Mit einem glänzenden Sinn für Humor entlockt Jan Snela der Sprache – mal in fluffiger Haibun-Prosa, mal in betörenden Haiku-Miniaturen – die ihr innewohnende Fantasie und erkundet, welche bemerkenswerten Antworten auf die großen Fragen unserer Gegenwart sich hinter dem Geheimnis von Augenblick und Vergänglichkeit verbergen.“
Jutta Person war vom Einfallsreichtum des Romans begeistert. Tiere, Automaten, Japan-Sehnsucht und der Blick auf die Beziehung und zunehmende Entfremdung zwischen den Protagonisten Amanda und Hannes – Jan Snela hat auf alles einen sehr fantasievollen Blick und besitzt eine große Sprachschöpfungskraft. Der Klang, der Animismus und die Lautmalerei haben sie daher besonders beeindruckt. Viele Sätze könnte man sich geradezu tätowieren lassen, meint sie. Daniela Strigl zeigt sich dankbar dafür, dass auch „solche Texte“ nominiert werden, eine „höhere Form von Verrücktheit“. Faszinierend war das für sie, aber „manchmal auch zu viel“. Die Haikus, als „Stopp“ immer wieder eingestreut, sind für Gerhard Ruiss deshalb sehr wichtig. „Eine Gesamtkomposition“, die man am besten – so Ferruccio Delle Cave und auch Manfred Pabst – am besten in einem „Flow“ liest. Manfred Pabst feierte zum Abschluss noch den Anfangssatz des Romans. Dieser lautet: „Nanu.“
Erscheinungstermin: 15.02.2025
416 Seiten, € 26,00
ISBN: 978-3-608-96240-6
https://www.klett-cotta.de/produkt/jan-snela-ja-schnecke-ja-9783608962406-t-8934
Die Preisverleihung
Damit waren alle fünf Bücher präsentiert und in der Runde besprochen und die Jury zog sich zur Beratung zurück. Zu betonen waren die sehr wertschätzende und dabei sehr detailreiche, genaue Betrachtung der Texte durch die Jury und die wunderbare Gesprächsatmosphäre. Hier geht es nicht ums Rechtbehalten oder um die Herausstellung des eigenen Egos. Es geht um die Liebe zur Literatur und zu den Texten, darum, bei den Zuhörer:innen Lust auf die Bücher zu wecken. Das empfand ich als sehr bereichernd und wohltuend.
Zwei Stunden später war es dann soweit. In der romanischen Markus-Kirche fand die Preisverleihung statt. Ein äußerst interessanter Ort für die Veranstaltung. Ein wenig wie mittelalterlich Delinquenten saßen die fünf Nominierten in der Apsis – was überhaupt nicht zu der wertschätzenden und freundlichen Atmosphäre des Preises, sehr gut aber zum alten Gemäuer passte. Wir Zuschauenden durften dieses Jahr auf bequemen Stühlen Platz nehmen, bei durch das hervorragende Wetter angenehmen Temperaturen. Es wird gemunkelt, dass das in den vorhergehenden Jahren nicht immer so war.
Der Jubiläumsausgabe geschuldet, wurden zunächst Ehrungen an die Gründungsmitlieder verteilt. Neben der Bürgermeisterin, ehemals Kulturreferentin, wurden das „Urgestein“ Wilfried Stimpfel, Jurymitlied Ferruccio Delle Cave und Bibliothekar und Eigentümer des Rimpfhofes Raimund Rechenmacher geehrt. Verliehen wurde dann der Preis, mit Saxofonklängen untermalt, von der Laaser Bürgermeisterin Verena Tröger.
Der Publikumspreis ging an Annegret Liepold für Unter Grund.
Der Hauptpreis ging 2025 an Christina König für Alles was du wolltest.

Die Begründung der Jury
„Selten hat die Jury sich so schwer damit getan, aus fünf ausgezeichneten Büchern eines auszusuchen und noch einmal, nämlich mit dem Tumler-Preis, besonders auszuzeichnen. Letztlich haben wir uns entschieden. Mit präziser psychologischer Beobachtung, entlarvenden Dialogen und boshaftem Witz rückt dieser Roman einer Liebesbeziehung zu Leibe, in der die Liebe trotz aller Sinnlichkeit zu kurz kommt. Geld und die „feinen Unterschiede“ des gehobenen Milieus sorgen für ein Gefälle der Macht, eine Verklammerung in Abhängigkeiten. Dass es die Geschichte zweier Frauen ist, ist dabei nicht das Skandalon, sondern dass jede die andere auf ihre Weise verdinglicht und benutzt. Erzählt wird eine alltägliche Geschichte auf höchst originelle Art: Es gibt keine Ich-Erzählerin, sondern eine Du-Erzählerin, die mit sich quasi ein Selbstgespräch führt. Und es gibt drei verschiedene Schlüsse, die auch zeigen, dass der scheinbar Unterlegenen in dieser Beziehung doch die Handlungsmacht nicht verloren geht. Der zehnte Franz-Tumler-Preis geht heuer an Christina Königs Roman „Alles, was du wolltest“.“
Eigentlich waren und sind aber alle fünf Gewinner:innen. Ich gatuliere ganz herzlich!
Danke für wundervolle Tage
Bei einem kalten Büffet und dem einen oder anderen Glas Wein klang der Abend im Gasthaus Zur Sonne aus. Gespräche mit den Autorinnen und dem Autor, mit den Jury-Mitgliedern, mit Presse-Kolleg:innen und mit den Initiatoren und Unterstützern des Preises beschlossen den Abend angenehm.
Ich bedanke mich bei dem Organisationsteam des Franz-Tumler-Literaturpreises und der Gemeinde Laas für die Einladung und die Gastfreundschaft. Ich werde die Tage in Laas sicher nicht vergessen. Fünf wunderbare Autor:innen und ihre so unterschiedlichen wie bereichernden Romane durfte ich kennenlernen. Ich hoffe, erstere bald wiederzutreffen (bei Amira Ben Saoud wird das schon nächsten Monat beim Frankfurter Textland-Literaturfestival sein) und letztere gemütlich und von den Diskussionen inspiriert daheim fertig zu lesen. Besprechungen der einzelnen Romane folgen dann.
Für mich war die Fahrt nach Laas und die Begleitung des Franz Tumler Preises 2025 ein ganz besonderes Erlebnis. Lesungen und Literaturveranstaltungen liegen mir sehr am Herzen, ebenso wie der Kontakt zu anderen Literaturbegeisterten, Verlagsmitarbeiter:innen und Autor:innen. Das alles konnte man in Laas aufs Feinste erleben. Die besonders wertschätzende Atmosphäre sowohl bei der souverän agierenden Jury als auch in der ganzen Gemeinde Laas, die die Veranstaltung mit so vielen kleinen Aufmerksamkeiten unterstützt, das riesige, meist ehrenamtliche Engagement des Organisationsteams, die Gastfreundschaft, die schöne Umgebung und – zumindest in diesem Jahr – das Kaiserwetter: das alles hat diese Tage zu einem Fest werden lassen. Ich kann nur sagen: Auf die nächsten 10 Jahre Franz Tumler Preis!
Weitere Informationen
auf der Website:
https://www.tumler-literaturpreis.com/
















































Liebe Petra,
das ist wirklich ein ganz besonderer Ort und ein ganz besonderer Preis. Vielen Dank für den schönen Bericht, der ganz viele Erinnerungen an meine Reise vor zwei Jahren geweckt hat. Ich hoffe, es ist okay, wenn ich den Link dazu hier lasse: https://kaffeehaussitzer.de/9-franz-tumler-literaturpreis-2023/
Herzliche Grüße
Uwe
Lieber Uwe, Danke für deinen Kommentar und auch die Erwähnung in deiner Kolumne. Es war ein wirklich tolles Erlebnis mit ganz großartigen jungen Autor:innen. Wir sehen uns in Frankfurt! Viele Grüße, Petra