Spätestens nach den massiven Migrationsbewegungen der Jahre 2015 und 2016 sind die weltweiten Fluchtrouten, auf denen sich heute mehr Menschen als je bewegen – man schätzt die Zahl der sich Ende 2019 auf der Flucht befundenen Menschen laut UNO Flüchtlingshilfe weltweit auf ca. 79,5 Millionen, davon ein Drittel, die ihr Land verlassen haben -, auch dem Laien bekannt. Von der Balkanroute, die bald durch zahlreiche Grenzschließungen erschwert und verlagert wurde, drangen unzählige Fernsehbilder in die heimischen Wohnzimmer. Und immer wieder erreichen uns auch dramatische Bilder von havarierten Booten auf dem Mittelmeer. Nachdem 2015/16 die östliche Mittelmeer-Route die meist frequentierte war, rückt die zentrale und westliche Mittelmeer-Route von Nordafrika nach Lampedusa und Sizilien oder nach Spanien wieder in den Vordergrund. Auch Ibrahima Balde hat diesen Weg genommen und dem baskischen Journalisten Amets Arzallus von seiner Flucht erzählt, der daraus das berührende Buch Kleiner Bruder machte. Weiterlesen „Ibrahima Balde Amets Arzallus – Kleiner Bruder“
Schlagwort: Spanische Literatur
Manuel Vilas – Die Reise nach Ordesa
Bevor das Corona-Virus so ziemlich alles durcheinanderwirbelte, war Spanien als Gastland der Frankfurter Buchmesse 2021 geplant. Nun heißt es ein weiteres Jahr warten, denn die Auftritte der Gastländer wurden um jeweils ein Jahr nach hinten geschoben. Es bleibt zu hoffen, dass bis dahin die Anzahl der Veröffentlichungen aus den spanischen Sprachen (das heißt vor allem aus dem Kastilischen und Katalanischen) deutlich ansteigt. Bisher werden gefühlt noch mehr Romane aus dem südamerikanischen Spanisch übersetzt als aus dem Mutterland selbst. Warum sich der deutsche Buchmarkt mit Literatur aus Spanien so schwer tut, wäre der Untersuchung wert. Einer der 2020 erstmals auf Deutsch erschienenen Romane ist „Die Reise nach Ordesa“ von Manuel Vilas. Um es gleich vorweg zu nehmen: Er hat es der Leserin nicht leicht gemacht. Weiterlesen „Manuel Vilas – Die Reise nach Ordesa“
Almudena Grandes – Kleine Helden
Es sind kleine Helden, oder oft auch die kleinen Heldinnen, von denen die spanische Autorin Almudena Grandes erzählt. Diejenigen, die ihr Leben trotz aller Widrigkeiten jeden Tag von Neuem stemmen, manchmal maulend, manchmal laut zeternd, aber immer wieder dafür sorgen, dass es irgendwie weiter geht, die Kinder in die Schule, das Essen auf den Tisch kommen und darüber hinaus aber auch nicht die Gemeinschaft vergessen wird. Denn darum geht es Almudena Grandes in ihrem unterhaltsamen, leichten, bunten, aber nicht trivialen Roman: um Solidarität. Weiterlesen „Almudena Grandes – Kleine Helden“
Jaume Cabré – Eine bessere Zeit
Vor etwas mehr als zehn Jahren erschien der Roman „Die Stimmen des Flusses“ auf Deutsch. Ein großangelegtes katalanisches Epos, das die spanische Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ebenso gekonnt ins Visier nahm wie die menschlichen Verstrickungen in einem Dorf tief in den katalanischen Pyrenäen. Der Autor Jaume Cabré, Jahrgang 1947 und vielfach ausgezeichnet, schuf damit ein Meisterwerk, nun erschien ein „neues“ Werk auf Deutsch, das sich bei genauerem Hinsehen aber als ein bereits 1996 im Original erschienenes erweist, „Eine bessere Zeit“.
Und wenn auch so manches, das in den „Stimmen“ so überwältigte, auch hier angelegt ist – die virtuose Konstruktion, die Zeit- und Perspektivensprünge, die Personen- und Detailfülle, die vielfältigen Reminiszenzen -, kommt dieser Roman doch leider nicht an den Nachfolger heran. Dieser vereinte Familienepos, historischen Roman und Polit-Thriller auf kunstvolle und überzeugende Weise, war gleichzeitig erschütternde Erinnerung an die blutigen Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs. Weiterlesen „Jaume Cabré – Eine bessere Zeit“
Fernando Aramburu – Patria
Für Fernando Aramburu ist „Patria“, Heimat, „Euskal Herria“, das Land der Basken. Viele können es vielleicht gerade noch geografisch einordnen, dort am westlichen Rand der Pyrenäen, mit San Sebastian und Bilbao als bekannte Städte. Manch einer weiß, dass es sich sowohl über Spanien als auch über Frankreich erstreckt; die Baskenmütze kennt natürlich jeder, aber wie ist es mit den Pintxos, diesen leckeren Happen, die man im Baskenland überall in den Restaurants gereicht bekommt, oder mit dem Pelota, jenem an Squash erinnernden Rückschlagspiel? Auch dass die baskische Sprache nichts mit der spanischen, ja mit gar keiner anderen europäischen Sprache, gemein hat, also eine der sogenannten „isolierten“ Sprachen (mit unglaublich vielen X) ist, ist nicht vielen bekannt.
Wer ein wenig älter ist, verbindet mit dem Baskenland allerdings auch jene Form des politischen Terrors, die in den 1970er und 1980er Jahren ihren blutigen Höhepunkt erreichte und gerne von Drei-Buchstaben-Organisationen verübt wurde, seien es die RAF, die IRA oder eben die ETA, die Euskadi Ta Askatasuna – Baskenland und Freiheit. Weiterlesen „Fernando Aramburu – Patria“
Rafael Chirbes – Paris-Austerlitz
Rafael Chirbes – Paris-Austerlitz
Am 15. August 2015 starb der spanische Autor Rafael Chirbes im Alter von 66 Jahren.
Chirbes war nicht nur einer der bedeutendsten Schriftsteller seines Landes, er war auch einer der schärfsten Analytiker der spanischen Gesellschaft seit den Zeiten des Bürgerkriegs.
1990 erschien sein erster Roman, „Mimoun“, auf Deutsch. Und zeitweise war Rafael Chirbes in Deutschland erfolgreicher als in seinem Heimatland.
Mit diesem ging er stets hart ins Gericht, thematisierte immer wieder, dass Spanien seine Vergangenheit nie offen aufgearbeitet hat, die durch den Bürgerkrieg entstandenen Gräben nur locker zugeschüttet wurden. Auch mit der Nachkriegsgesellschaft kannte er kein Pardon. Die Verlogenheit, der Materialismus der Mittel- und Oberschicht, besonders auch das Umgehen mit dem Wirtschaftsboom und dann der Wirtschaftskrise, in der immer nur die „Kleinen Leute“ die Verlierer waren, vor allem auch die Immobilienblase, die in Spanien besonders ausgeprägt war, waren ihm als altem „Linken“ ein Dorn im Auge. Weiterlesen „Rafael Chirbes – Paris-Austerlitz“