Jhumpa Lahiri – Das Wiedersehen

Jhumpa Lahiri wurde 1967 als Tochter bengalischer Eltern in London geboren und wuchs in Rhode Island auf. Bereits ihr literarisches Debüt, die Kurzgeschichtensammlung Melancholie der Ankunft, wurde ein großer Erfolg und wurde 2000 mit dem Pulitzer Prize ausgezeichnet. Lahiri lebte mit ihrer Familie einige Zeit in Rom und bezeichnet das Italienische als ihre Wahlsprache, in der sie bereits den letzten Roman Wo ich mich finde verfasst hat. Nun hat Jhumpa Lahiri auch die Römischen Geschichten in Das Wiedersehen auf Italienisch geschrieben, die von Julika Brandestini ins Deutsche übersetzt wurden.

Neun Erzählungen

Neun Erzählungen in drei Abschnitten, wobei der mittlere Abschnitt eine in verschiedene Episoden aufgeteilt Geschichte ist. Hier ist eine Treppe in Rom Schauplatz, auf der wir verschiedenen Personen begegnen und einen kurzen Blick, wie ein Schlaglicht auf sie werfen. Da sind Die Mutter, Das Mädchen, Die Witwe, Der Drehbuchautor, Der Expat und Die zwei Brüder. So anonym und namenlos wie sie bleiben alle Protagonist:innen im Buch. Ihre Geschichten haben etwas Individuelles genauso wie etwas Universelles. Oft trifft in ihnen die privilegierte akademische Oberschicht auf ihre „dienstbaren Geister“, meist migrantischer Herkunft, oftmals Übersehene, denen sie manchmal wohlwollend, ein wenig von oben herab, oft aber auch offen feindselig gegenüberstehen. In Jhumpa Lahiris Geschichten geht es um Alltagsrassismus und das Gefühl des Fremdsein, so auch in der Titelgeschichte Das Wiedersehen.

Darin trifft sich die dunkelhäutige Universitätsdozentin mit einer alten Freundin in einer Trattoria. Deren Besitzerin missachtet sie, bezeichnet sie der Freundin gegenüber als „moretta“, diese schweigt, verharmlost. Ähnliches geschieht auch der Migrantin, die einen Job als Aufsichtsperson in einer Schule annimmt. Die Kinder stecken ihr heimlich Briefchen in die Taschen. „Du gefällst uns nicht.“ „Wir wollen nicht, dass du hierbleibst.“ Ein Kinderscherz? Ressentiments und bestenfalls Achtlosigkeit begegnen den Figuren überall. Dem guten Geist, der das Ferienhaus für die stets wechselnden Gäste bereitmacht, während der Besitzer sich höchstens einmal im Jahr blicken lässt; die Haushaltshilfe, die von Jugendlichen mit einer Druckluftpistole angeschossen wird, als sie für ihre „Patrona“ ein Päckchen abholen will. „Es ist nur, um ihnen ein bisschen Angst zu machen, daran sterben sie nicht.“

Geschichten vom Fremdsein

Ein „Fremder“ erfüllt sich und seiner Familie durch fleißiges Arbeiten den Traum einer „hellen Wohnung“. Doch dem Glück folgt bald die Ernüchterung. Die anderen Mieter dulden die Familie nicht, vertreiben sie. Die Frau und die Kinder  gehen in die Heimat zurück, der zurückgebliebene Vater gleitet in die Obdachlosigkeit ab.

Doch die Geschichten werfen auch einen Blick auf die andere Seite. Auf den Mann, der sich in eine imaginierte Affäre stürzt, oder das Ehepaar, das seinen Sohn verloren hat und nun Trost in der Ewigen Stadt sucht. Oder auf die Amerikanerin, die auf der Beerdigung ihrer italienischen Schwiegermutter ihre Lebensentscheidungen rekapituliert. So namenlos und anonym die Personen in den Geschichten bleiben, so wenig drängt sich auch die Stadt Rom in ihnen auf. Es ist eine globalisierte, irgendwie universelle Welt, in der die Menschen meistens nur zufällig gerade hier gelandet sind. Der Untertitel „Römische Geschichten“ täuscht deshalb ein wenig.

In einer sehr klaren, eher lakonischen Sprache erzählt Jhumpa Lahiri ihre Geschichten vom Fremdsein, vom sich selbst Entfremden, vom sich fremd Fühlen. Gerade in ihrer scheinbaren Kühle, ja fast Emotionslosigkeit entfalten sie eine düstere Beklemmung.

 

Beitragsbild via Pixabay

_____________________________________________________

*Werbung*

jhumpa-lahiri-das-wiedersehen.

.

Jhumpa Lahiri – Das Wiedersehen
Übersetzt von: Julika Brandestini
Rowohlt Buchverlag Mai 2024, gebunden, 256 Seiten, € 24,00

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert