Zora del Buono – Seinetwegen

Seinetwegen von der Architektin, Kulturredakteurin und Autorin Zora del Buono ist das Buch einer Recherche, einer Spurensuche nach dem im August 1963 bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Vater Manfredi del Buono. Der aus Süditalien stammende Manfredi (del Buono hat in ihrem letzten Buch Die Marschallin über dessen slowenische Mutter geschrieben), ein 33jähriger Röntgen-Oberarzt am Kantonsspital Zürich war mit seinem Schwager in dessen VW-Käfer unterwegs, als in einer unübersichtlichen Rechtskurve ein überholender Chevrolet frontal in sie hineinkrachte. Schwager und Unfallverursacher überlebten leichtverletzt, Zora del Buonos Vater erlitt einen Genickbruch und starb.

Die Erzählerin, die weitestgehend mit der Autorin gleichzusetzen ist, war damals gerade acht Monate alt. Der Verlust des Vaters bedeutet für sie eine lebenslange Leerstelle, die vor allem durch den Schmerz der Mutter bestimmt wurde. Sie selbst hat den Vater nicht vermisst, denn man kann nichts vermissen, was man nicht kennt. So del Buono. Die Mutter blieb ohne Partner, zog ihre Tochter alleine groß, zu einer Zeit, als das noch nicht selbstverständlich war und von der Umwelt argwöhnisch beobachtet wurde. Über den Vater und seinen Unfall herrschte großes Schweigen. Einige wenige Fotos, die Traueranzeige und wenige Fakten über den Unfall – junger Wagenlenker mit frisch erworbenem Führerschein, bereits einen anderen Unfall auf dem Konto; überhöhte Geschwindigkeit; geringe Strafe von 200 Franken -, das war alles, was die Erzählerin vor Beginn ihrer Recherche wusste.

Verspätete Spurensuche

Jahrelang war ihr das genug. Das Bild eines rücksichtslosen Rowdys hat sich in ihre Vorstellung eingebrannt. Warum also jetzt die Spurensuche? Vermutlich liegt es an der zunehmenden Demenzerkrankung der Mutter, der Tatsache, dass es nun eigentlich zu spät ist, Fragen zu stellen. Vielleicht liegt es auch an der gefundenen Zeitungsanzeige, die die Initialen des Unfallverursachers, von der Autorin lange Zeit nur „der Töter“ genannt, offenbart. E.T. Plötzlich zieht es sie an die zuvor tunlichst vermiedene (vermutete) Unfallstelle nahe der Kantonsstadt Glarus.

Und tatsächlich erfährt sie nach und nach mehr über E.T. Ein engagierter Historiker beschafft ihr schließlich sogar die Prozessakten. E.T. – Ernst Traxler war sein Name. Und in vielem war er so ganz anders, als sich del Buono diesen 2009 verstorbenen „Rowdy“ vorgestellt hat. Von allen wird er als äußert freundlich dargestellt; und er bekannte sich direkt nach dem Unfall vollumfänglich zu seiner Schuld, versuchte auch, Kontakt zu del Buonos Familie aufzunehmen, was die Mutter strikt ablehnte. Nach dem Unfall fuhr Traxler kein Auto mehr, er lebte allein, liebte Hunde und – wahrscheinlich – Männer. Außerdem musste er sein Leben lang an die Versicherung Entschädigungszahlungen leisten. Die Vorstellung eines Monsters, das nach dem Unfall unbehelligt sein Leben genießt, erweist sich als völlig falsch. Und die Autorin beginnt sogar etwas wie Mitgefühl für den jungen Mann zu entwickeln. Wie muss es sein, mit einer solchen Schuld zu leben? Wie kann eine einzige Fehlentscheidung, ein kurzer Moment der Unachtsamkeit oder der Überschätzung nicht nur das Leben eines Menschen kosten, sondern auch das von dessen Familie und das eigene zerstören?

„Keiner, der im Straßenverkehr stirbt, hat morgens das Haus mit dem Wissen verlassen, dass dies sein letzter Tag sein wird (und keiner denkt, dass er heute einen Menschen töten wird). Es kann jeden und jede treffen. Auch mich. Wahrscheinlichkeitsrechnung gilt nicht. Nur weil es Vater (und Traxler) auch passiert ist, heißt das nicht, dass es mir nicht passieren wird.“

Sensible Recherche

In ihrem intensiven und sensiblen Buch über diese Recherche geht es aber auch um das Verhältnis zur Mutter. Deren Schmerz zu vermeiden, war für das Kind Zora immer zentral. So heißt es einmal:

„Auch erinnere ich mich, dass Mutter sagte: Alles, was mir nah ist, muss frühzeitig sterben (sie meinte ihre Mutter, ihren Mann, den Hund), und ich dachte: Dann bin ich als Nächste dran. (…)  Ich wusste immer, ich darf nicht vor Mutter sterben (…) Jetzt, in der Demenz, würde sie mich nicht vermissen. Auch eine Art von Freiheit.“

Neben die Ergebnisse ihrer Recherche fbaut Zora del Buono in Seinetwegen immer wieder kleine essayistische Passagen ein, zitiert Unfallstatistiken, spricht über ihre Autoleidenschaft, die Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz der Sechziger Jahre. Dazu kommt eine „Liste der eigenen Deformationen“, die vermutlich zum Teil auf ihre Vaterlosigkeit zurückzuführen sind. Außerdem bindet sie kleine, auflockernde „Kaffeehausgespräche“ ein, bei denen sie mit Freunden über ihre Recherche und locker damit verbundene Dinge spricht.

Es ist eine leise, zarte Spurensuche, die Zora del Buono da präsentiert. Persönliche und gesellschaftliche Umstände werden wie in einer Collage zusammengeführt. Das ist anrührend, schön und sehr menschlich. Und steht seit letzter Woche auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2024.

 

Beitragsbild via picryl

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Zora del Buono – SeinetwegenErschienen am 11. Juli 2024
C.H.Beck Juli 2024, gebunden, 204 Seiten, mit 9 Abbildungen, € 23,00

 

 

 

 

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