Das jährlich stattfindende Lesefestival „Frankfurt liest ein Buch“ hatte sich für 2025 den Roman Nachbeben von Dirk Kurbjuweit ausgesucht. Nach den ganz aktuellen Titeln der vergangenen beiden Jahre, Deniz Ohdes Streulicht und Florian Wackers Zebras im Schnee, wieder ein älterer Roman. Nachbeben erschien zum ersten Mal 2004. Das ist bedauerlicherweise im Buch nirgendwo gekennzeichnet, auch nicht im Impressum, so dass man annehmen könnte, es handelt sich um einen aktuellen Roman. Was dann wiederum verwundern könnte, denn so ganz gut gealtert ist das Werk nicht. Besonders einige Gedanken über/zu Frauen sind doch etwas angestaubt und lesen sich heute nicht mehr so wirklich passend. Auch nicht in der Figurenrede.
Überhaupt die Figuren. Selten bin ich einer solchen Ansammlung an Unsympathen und gleichzeitig Langweilern begegnet. Der etwas verschrobene Seismologe Luis, der neben seiner Lehrtätigkeit an der Goethe-Universität in Frankfurt auf dem Kleinen Feldberg im Vordertaunus die dortige Erdbebenwarte betreut, ist noch der sympathischste von ihnen. Völlig zurückgezogen lebt er im Blockhaus der 1913 durch finanzielle Zuwendungen der Baronin von Reinach gegründeten seismologischen Station – der Gatte von Reinachs hatte ein Faible für die Erdbebenforschung – und überwacht dort die weltweiten Ausschläge der Seismografen.
Auf dem Berg
Im Nachbarhaus lebt die Hausmeisterfamilie Kühnholz. Der Waffennarr Konrad – ein Ekelpaket in Person -, seine Frau Charlotte, deren einzig erkennbare Eigenschaft „schön“ ist und der in den 1960er Jahren kleine, herzige Sohn Lorenz, der als Kind eine starke Verbindung zu Luis entwickelt. 200 Tage Nebel im Jahr, keine Wasserleitungen, im Winter teils tagelang eingeschneit – das Leben in der kleinen Gemeinde auf dem Feldberg war offensichtlich kein Zuckerschlecken.
Die erzählte Zeit startet kurz vor der Wende im Juni 1989 mit einem leichten Erdbeben in der Region Köln. Lorenz, eigentlich schon als Angestellter der Bundesbank in Frankfurt tätig, macht Telefondienst auf der Erdbebenwarte und beruhigt dort verängstigte Anrufer:innen. Dabei verliebt er sich in die Stimme von Selma, fährt augenblicklich zu ihr nach Köln und die beiden werden ein Paar. Sie heiraten, neun Monate später kommt Sohn Horand auf die Welt. Schon diese Geschichte wirkt ziemlich unglaubwürdig.
Das Zusammenleben zwischen Selma und den Schwiegereltern auf dem Kleinen Feldberg ist problembelastet, Lorenz bei der Bundesbank karrieremäßig auf der Überholspur und so entschließen sich die beiden, eine viel zu teure Immobilie im teuren Kronberg zu kaufen und sich damit völlig zu verschulden. Eine fatale Entscheidung, denn der Stern von Lorenz und der der Bundesbank ist mit geplanter Abschaffung der D-Mark im Sinken begriffen. Lorenz selbst ist erklärter Euro-Gegner, auch das nicht unbedingt zukunftsträchtig in seiner Branche. Bei einer Geschäftsreise nach Albanien verliebt er sich nicht nur in die junge Laura, sondern verursacht einen Unfall, bei dem ein Kind stirbt. Nach Insidergeschäften – zu den Hausschulden kommen nun noch Forderungen aus Albanien, die den Geldbedarf steigern – verliert Lorenz seinen Job. Die Beziehung zu Selma kriselt heftig.
Reichlich viel
Reichlich viel, was hier im Vordertaunus zusammenkommt. Die Erschütterungen der Erde, die der Seismograf misst, sind nichts gegen die Erschütterungen in der Finanzwelt, der europäischen Politik, der Familie Kühnholz, der Ehe von Lorenz und Selma, mit denen sie ein bisschen zu deutlich parallelgesetzt werden. Dirk Kurbjuweit gelingt es in Nachbeben zwar gut, sein Wirtschafts- und Währungswissen (er ist studierter Volkswirt) und Interessantes über die Erdbebenforschung einzubringen, insgesamt kann der Roman aber nicht recht überzeugen. Die Figuren sind zu uninteressant, um darüber hinwegzutrösten, dass sie alle sehr unsympathisch sind. Das Frauenbild ist merkwürdig (welche Frau erzählt bei einem Anruf bei der Erdbebenwarte, dass sie ein grünes Höschen trägt; es sei denn, sie verdient sich ihr Geld mit Telefonsex) und die Trauer über den Verlust der D-Mark hat sich doch hoffentlich auch mittlerweile gelegt.
Das Buch hat durchaus auch gute Passagen. Die Atmosphäre auf der Erbebenwarte ist gelungen geschildert und auch die Wechsel der Ich-Perspektive von Luis auf eine distanziertere personale Perspektive von Lorenz funktionieren gut. Trotzdem hoffe ich, dass die Auswahl für Frankfurt liest ein Buch im nächsten Jahr für mich wieder mehr passt. Auch dass viele Veranstaltungen mit dem Buch abseits von Frankfurt stattfanden (zum Beispiel auf dem Kleinen Feldberg), war für unmotorisierte Besucher:innen von Nachteil.
Beitragsbild: Blick auf den Kleinen Feldberg von Von giggel, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
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Dirk Kurbjuweit – Nachbeben
Ausgewählt für »Frankfurt liest ein Buch« 2025
Penguin März 2025, Hardcover, mit Schutzumschlag, 224 Seiten, € 24,00