Eine sehr unangenehme Situation: Die überbehütende Naomi ist mit ihrem einjährigen Sohn Uri allein mit einem Handwerker, der Reparaturen auf dem Balkon erledigen soll. Uri ist zappelig und quengelig, lässt sich nur durch wiederholtes Stillen beruhigen. Aber das jetzt mit einem fremden Mann im Haus… Ein ganz ungutes Gefühl, denn der Mann ist zudem noch Araber. Naomi ist sich ihrer Vorurteile bewusst und heißt sie auch nicht gut, aber sie sind ja dennoch da. Schnell macht sie dem Arbeiter einen Kaffee, bemüht sich, besonders freundlich zu sein, denn ihre Ängste sind doch völlig unangebracht, oder? Die israelische Autorin Ayelet Gundar-Goshen, in all ihren Büchern eine Meisterin der „menschlichen Abgründe“, entwickelt aus dieser eher alltäglichen Situation das Drama Ungebetene Gäste, das das Leben aller Beteiligten komplett verändern und die Leser:innen bis zum Ende fesseln wird.
Naomis Leben ist seit der Geburt von Uri fast ausschließlich auf ihren Sohn konzentriert. Sie verlässt kaum noch das Haus, steigert sich in Ängste hinein, ist überfürsorglich. Die Beziehung zu ihrem Mann Juval, der eher sorglos, vielleicht sogar gedankenlos ist, leidet darunter. Wie konnte er sie nur in diese Situation mit dem Palästinenser bringen? Naomi ist unsicher und nervös. Ein Moment der Unachtsamkeit führt dann auch zu einem schrecklichen Unfall: Uri wirft den Hammer des Handwerkers vom Balkon der im fünften Stockwerk gelegenen Wohnung und tötet dadurch einen zufällig vorbeigehenden Jungen. Die Nachbarschaft ist sich schnell einig: das war ein Anschlag, der Araber sicher ein Terrorist. Die Polizei verhaftet ihn denn auch, sein Sohn Said entkommt nur durch das Eingreifen von Juval einer Lynchjustiz.
Schweigen
Und Naomi? Sie schweigt. Aus Schock, aus Schuld, nicht aufgepasst zu haben, aus Angst vor den Konsequenzen. Sie nimmt sich vor, mit Juval darüber zu reden, zur Polizei zu gehen, alles richtigzustellen. Aber zuerst müssen sie den verletzten Said nach Hause bringen – eine sehr bedrohliche Situation in einem auswärts gelegenen arabischen Viertel, bei der Juval von streunenden Hunden angegriffen und verletzt wird. Und die Stunden und Tage vergehen und Naomi schweigt immer noch.
Zerstörte Leben durch Schweigen, Verheimlichen. Das israelische Trauma, überall Bedrohungen zu sehen. Das überaus schwierige Zusammenleben von israelischen Juden und Arabern. Vorurteile, Hass, Angst und Rache. Nachdem Naomi doch noch bei der Polizei eine Aussage gemacht hat, flieht die Familie vor Schuld und Scham nach Lagos in Nigeria, wo Juval einen Job bei der dort unterstützend tätigen israelischen Luftwaffe annimmt. Dort leben die beiden in einer „gated community“ für Israelis in ziemlichem Luxus und Abschottung von der Bevölkerung und entfernen sich zunehmend voneinander. In der eleganten, klugen nigerianischen Staatswissenschaftlerin Ayobami Abara scheint Naomi eine Freundin und endlich auch Anschluss in dieser doch so fremden Welt gefunden zu haben. Doch auch das trügt. Und auch Juval verheimlicht etwas, kennt er doch die Psychologin, die Uri wegen seiner Alpträume behandelt, ein wenig zu gut.
Eine spannende Geschichte
Spannend, dicht und vor allem zu Beginn temporeich erzählt Ayelet Gundar-Goshen in Ungebetene Gäste eine fesselnde Geschichte. Einige Handlungsbausteine hätten für mich gerne weggelassenen werden können, um die Geschichte noch stringenter und konzentrierter zu machen. Die Geschichte mit der Psychologin, mit der Juval in der Jugend eng befreundet und auch intim war, ist für die Geschichte nicht zwingend und wirkt etwas zu konstruiert. Sexszenen werden ohne Notwendigkeit eingebaut. Und tatsächlich ist noch nicht einmal der Handlungsstrang mit der verführerischen Staatsrechtlerin unverzichtbar. Das liest sich zwar unterhaltsam, lenkt aber ein wenig zu sehr vom zentralen Konflikt weg.
Den Nahostkonflikt auf eine ganz persönliche Ebene herunter zu brechen, den krassen Klassismus zu zeigen – Naomi und Juval kommen letztendlich durch einen teuren Anwalt unbeschadet aus dem Vorfall heraus und können sich ein „neues“ Leben aufbauen -, eine durch die Geburt des ersten Kindes ordentlich durchgerüttelte Beziehung zu beleuchten, über Schweigen, Schuld und Scham nachzudenken – das hätte bereits einen dichten, packenden Roman ergeben. Sehr positiv ist, dass Ayelet Gundar-Goshen in ihrem Roman nicht wertet oder moralisiert, sondern ihre Figuren nur genau beobachtet und alles Weitere ihren Leser:innen überlässt. Das macht Ungebetene Gäste dann doch zu einem sehr empfehlenswerten Roman.
Beitragsbild: by beivushtang;Beivushtang at en.wikipedia, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
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Ayelet Gundar-Goshen – Ungebetene Gäste
Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama
Kein & Aber Juni 2025, gebunden, 320 Seiten, € 25,00







