Jan Costin Wagner – Eden

Jan Costin Wagners Romane werden meist als Kriminalromane gelabelt. Dabei waren sie von Beginn an viel mehr als das. Immer sind sie auch Familienromane, die durch psychologische Feinfühligkeit und eine große Melancholie gekennzeichnet sind und in denen es um Verluste, oft um den Tod und den Schmerz darüber geht. Wie weiterleben, wenn etwas Schreckliches geschieht? Das ist in allen Romanen die Frage. Sei es der Verlust der geliebten Frau bei Kommissar Kimmo Joentaa, der in sechs Bänden ermittelte, oder bei Ben Neven, der zwar glücklich verheiratet und Vater einer Tochter ist, aber voll Erschrecken erkennt, dass er pädophil ist. Im neuen Roman Eden beleuchtet Jan Costin Wagner einen terroristischen Anschlag, bei dem die zwölfjährige Sofie ihr Leben verliert, und bewegt sich mit ihm noch weiter fort vom Krimigenre.

Angelehnt ist das Erzählte an einen Anschlag bei einem Konzert der Sängerin Ariana Grande im Mai 2017 in Manchester, bei dem 22 Menschen starben. Im Roman ist Ariana la Vega das große Idol von Sofie. Und Vater Markus überrascht sie mit Karten für ein Konzert in Stuttgart, zu dem auch Sofies Cousine Lotte und Tante Isabel mitkommen. Am Ende des Konzerts zündet der islamistische Attentäter Ayoub Issa eine Bombe, die ihn und etliche junge Konzertbesucher:inen in den Tod reißt. Sofie stirbt, ihre Tante und Cousine überleben.

Markus fühlt sich schuldig. Auch die Mutter Kerstin macht ihn still und leise verantwortlich. Aber sie verdrängt Sofies Tod, wird nach einem Zusammenbruch in eine Reha überwiesen, während Markus sich auf recht außergewöhnliche Weise intensiv mit dem Verlust und der Tat auseinandersetzt. Er beginnt schon nach ein paar Tagen zu recherchieren, akribisch jedes Detail zu erfassen. Nächtelang sitzt er vor dem Computer. Er findet heraus, wo Ayoubs Familie wohnt, besucht sie, mietet sogar die Wohnung des Attentäters an und richtet sie ein. Für Sofie. Er versucht, zu verstehen, was da geschah, warum es geschah.

„Da ist also Wut, da ist Hass. Eine tiefe Verachtung. Woraus resultiert sie? Der innige Wunsch, Gewalt auszuüben. (…) Warum? Woher kommt das?“

Liegt es – wie auch bei verschiedenen anderen Attentaten – an der Freude der jungen Menschen, an der Musik, am Tanzen, an der Buntheit, die die Attentäter nicht ertragen? In einer Talkshow wird Markus mit der AfD-Politikerin Freud konfrontiert, lässt sich von deren Populismus aber nicht vereinnahmen.

Markus baut sich aber auch eine Art Parallelwelt. Mit „Sofies“ Wohnung, mit der Katze, die sich seine Tochter im Tierheim ausgesucht hatte, und die er nun übernimmt.

Noch weniger als die früheren Romane konstruiert Jan Costin Wagner Eden als Kriminalroman. Hier braucht er keinerlei Polizeiermittler mehr. Das Verbrechen ist nur der Auslöser dafür, dass eine Familie droht auseinanderzubrechen.

Trotzdem ist das Buch nicht traurig oder hoffnungslos. Da ist die Figur des Tobias, eines Klassenkameraden von Sofie. Er wird zu einem Anker und Trost für Markus, obwohl er selbst den Verlust seiner Freundin verarbeiten muss. Der dementen Mutter Kerstins, die im Seniorenheim lebt, verschweigen sie Sofies Tod. Und irgendwie ist auch das hoffnungsvoll, den so kann die hochbetagte Frau friedlich sterben.

Jan Costin Wagner erzählt die Dinge nicht aus, lässt manches in der Schwebe. Er verweigert eindeutige Erklärungen, nähert sich ihnen nur vorsichtig, tastend. So auch dem Vater von Tobias, der während der Corona-Pandemie zum Verschwörungstheoretiker wurde, dem rechten Rand zustrebt, Migranten strikt ablehnt. Auch der Attentäter Ayoub erhält zwei kurze Passagen. Aber auch sie „erklären“ nicht, warum ein junger, augenscheinlich integrierter Mann sich so radikalisierte.

Jan Costin Wagner ist auch ein großartiger Musiker, der komponiert, während er schreibt. Das geschieht getrennt voneinander, beeinflusst sich natürlich aber auch, wie er auf der Premiere seines Buchs in Frankfurt feststellte. Das Album „Violet tree“ entstand in der Zeit, in der er an Eden schrieb. Und auch im Buch spielt die Musik eine Rolle. Es ist das Talk Talk Album „Spirit of Eden“, das u.a. Namenspate war und das in seiner Ungewöhnlichkeit eine unbedingte Hörempfehlung ist.

Mit Eden hat Jan Costin Wagner sein bisher anspruchsvollstes und, wie ich finde, bestes Buch geschrieben. Auf jeden Fall geht eine dicke Leseempfehlung raus!

 

Beitragsbild by Marco Verch via CC0 CC-BY2.0

 

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Jan Costin Wagner – Eden
Galiani-Berlin August 2025, gebunden, 320 Seiten, € 24,00

 

 

 

 

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