Es ist der September 2020. Die Corona-Pandemie wütet und verunsichert die Welt. Von heute betrachtet wirkt diese Zeit so weit entfernt und wirklich viel Niederschlag in der zeitgenössischen Literatur hat sie (bisher noch) nicht gefunden. Mit dem neuen Roman von Káska Bryla mein vater der gulag die krähe und ich gehen wir nochmal zurück in diese merkwürdige Zeit. Es ist ein autofiktionaler Roman, der auf dem Cover sogar auf eine Genrebezeichnung verzichtet. Die Ich-Erzählerin Káska ist schwer an Corona erkrankt und leidet an Long Covid, persistierenden Atembeschwerden und lähmende Müdigkeit und Schwäche, die damals noch gar nicht wirklich bekannt und erforscht waren. In ihrem ausgebauten LKW-Anhänger lebt sie relativ isoliert auf einem Wagenplatz in Leipzig.
Zu den körperlichen Beschwerden und der sozialen Isolation, unter der sie leidet, da sie zunächst keinen negativen Covrona-Test vorlegen kann, kommt eine leichte Enttäuschung , über Ärzt:innen und Behörden, die wenig entgegenkommend sind, Mitbewohnerinnen, die sich distanzieren und eine Freundin/Geliebte, die sich im fernen Wien mit Mann und Kind rarmacht. Halt gibt ihr die Arbeit an einem Buch über ihren verstorbenen Vater, der ihr auf vielen Tonkassetten über seine Kindheit und Jugend in Polen, die Zeit im Krieg und polnischen Widerstand und seine Gulag-Erfahrungen erzählt hat. Es ist eine zärtliche, innige Verbindung zum Vater, die sie erinnert. Aber keine unbelastete. Denn sie hadert mit seinen polnisch-nationalistischen Einstellungen, er kämpft mit ihrer Queerness. So führt die Erzählerin in ihrer Isolation häufig Streitgespräche mit dem Verstorbenen. Dennoch hat man den Eindruck, dass die beiden nie den Draht zueinander verloren haben.
Die Arbeit und Recherchen zu den Zeugnissen des Vaters geben dem Alltag von Káska einen gewissen Inhalt. Timothy Snyders bekanntes Werk „Bloodlands“ wird mehrmals als Quelle erwähnt. Wirklichen Sinn und Erfüllung erhalten die Tage aber durch ein verletztes Krähenbaby, das auf dem Wagenplatz gefunden wird. Karl wird mit Hühnerherzen und viel Liebe aufgezogen, wird zutraulich, ein enger Bezugspunkt. Manchmal wird das „mein Engel“, „mein Schatz“ ein wenig viel. Aber die Bedeutung, die dieser Anker im Leben von Káska erhält, wird sehr eindrücklich fühlbar.
Ein großer Teil des Textes dreht sich um die Alltagsroutinen, das Befinden, die Mühsal, die Verunsicherung durch die Pandemie und die wenigen Begegnungen mit anderen Menschen. Diese merkwürdige Zeit, wo nichts mehr so war wie zuvor, wird wieder sehr spürbar. Die Erfahrungen des Vaters, die eigenen mit ihrer Queerness, das wird parallelgeführt, aber niemals gleichgesetzt. Es wird verglichen, aber niemals aneinander gemessen. Káska Bryla ist mit mein vater der gulag die krähe und ich ein berührender Roman gelungen.
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Káska Bryla – mein vater der gulag die krähe und ich
Residenzverlag August 2025, gebunden, 256 Seiten, € 26,00