Margaret Atwood, Douglas Preston (Hrsg.) – Vierzehn Tage

Die Kanadische Autorin Margaret Atwood und der US-amerikanische Thriller-Autor Douglas Preston haben ein ganz besonderes Buch über eine ganz besondere Zeit herausgegeben – Vierzehn Tage ist ein Gemeinschaftsroman von 36 Autor:innen aus den USA und Kanada über zwei Frühjahrswochen in New York im Jahr 2020. Sehr fern erscheint uns heute diese doch eigentlich noch so nahe liegende Zeit, hinweggefegt durch sich ständig überschlagende Ereignisse: Russlands Angriffskrieg, der 7. Oktober 2023, das Leid in Gaza, der Antisemitismus, der Rechtsruck. Gefühlt begann diese unruhige, beängstigende Zeit im Februar/März 2020 mit der Corona-Pandemie.

Es war ein Szenario, wie man es höchstens in dystopischen Thrillern erwartet hatte. Ein Virus, das bis heute über sieben Millionen Menschen das Leben gekostet, unsere Vorstellungen über Verantwortung und das Zusammenleben mächtig herausgefordert und große Veränderungen auch im sozialen Gefüge hinterlassen hat. Trotzdem haben die meisten von uns diese Zeit – sowohl ihre schlimmen als auch ihre positiven Aspekte – erfolgreich verdrängt. Warum also jetzt darüber lesen? Und kann das überhaupt gelingen – ein Gemeinschaftsroman mit 36 völlig unterschiedlichen und sehr diversen Autor:innen?

36 amerikanische Autor:innen

Um es vorweg zu nehmen: Es funktioniert. Und ja, es ist bereichernd und unterhaltsam was sich unter anderen Dave Eggers, Diana Gabaldon, John Grisham, Tess Gerritsen, Celeste Ng, Scott Turow  und Meg Wolitzer, um nur die bekanntesten zu nennen, für dieses Projekt ausgedacht haben. Sie alle tragen eine oder mehrere kurze Geschichten bei. Wer was verfasst hat, erfährt man erst im Anhang, wo die Autor:innen nochmal kurz vorgestellt werden. Damit aus all den sehr unterschiedlichen Texten ein Roman wird, hat sich Douglas Preston eine Rahmenhandlung ausgedacht, die die einzelnen Storys zusammenhält.

Vorbild für diese Rahmenhandlung ist ganz offensichtlich das Decameron von Giovanni Boccaccio. In diesem „Zehntage-Werk“ aus dem 14. Jahrhundert werden 100 Novellen zusammengetragen, die sich eine Gruppe junger Menschen täglich erzählt, während sie vor der verheerenden Pestepidemie 1348 aufs Land geflohen sind.

Tag eins ist der 31. März 2020. Anfangs hatte man in New York geglaubt, die Seuche aus China würde den Weg in die USA nicht schaffen oder wenn, würde es schon nicht so schlimm wie drüben in Europa werden. Das stellte sich natürlich als Irrtum herus. Ende März war der Big Apple bereits einer der Brennpunkte im weltweiten Infektionsgeschehen. Die Krankheit breitete sich rasant aus. Wer es sich irgendwie leisten konnte, verließ die Stadt. Zurück blieben die, die mussten und verbarrikadierten sich zuhause. Wie beispielsweise die Bewohner von Fernsby Arms, einem ziemlich heruntergekommenen Mietshaus in der Lower Eastside.

Die Hausmeisterin

Erzählerin ist Yessie, Bewohnerin der Wohnung 1A und ihres Zeichens neue Hausmeisterin des Blocks. Gouverneur Andrew Cuomo hatte bereits am 20. März 2020 einen Lockdown verhängt. Um dem Eingesperrtsein und der Einsamkeit ein wenig zu entkommen, weichen einige Mieter:innen von Fernsby Arms auf das Dach des Gebäudes aus. Mit ausreichend Covid-Abstand und teilweise mit Masken treffen sich Abend für Abend immer mehr der Bewohner dort oben und man beginnt, sich Geschichten zu erzählen. Ähnlich rituell wie im Decameron beginnt man stets um 7p.m. nach dem Klatschen und Trommeln für die Rettungskräfte und das Pflegepersonal und beendet die Erzählrunde mit dem Läuten von St.Patrick`s Cathedral um 8 p.m.

Die Geschichten und die Charaktere der Mieter:innen lenken Yessie von ihrem großen Kummer ab, nichts über ihren in einem Pflegeheim festsitzenden Vater zu erfahren. Sie erreicht dort niemanden und erhält auch keine Nachricht. Die sehr unterschiedlichen Geschichten sind manchmal witzig, oft ein wenig makaber, meist düster und auch oft gewaltvoll. Sehr oft kreisen sie um den Tod. Manche sind regelrechte Lebensbeichten. Mit den Tagen werden sie zunehmend unheimlicher und gespenstischer. Bis hin zur Schluss-Pointe.

Vielstimmig

Den 36 Autor:innen gelingt durch die Vielstimmigkeit der Geschichten in Vierzehn Tage, die von  Margaret Atwood und Douglas Preston herausgegeben werden, und ihre eigene Diversität (viele von ihnen haben eine Migrationsgeschichte) ein breites Gesellschaftspanorama der Vereinigten Staaten. Und sie halten wie nebenbei eine Zeit fest, die so besonders war, so aufwühlend, so beängstigend, die aber heute schon so weit entfernt scheint. Wie einst das Decameron für die Pestzeit – sicher ohne die literarische Meisterschaft desselben zu erreichen; die Geschichten sind von sehr unterschiedlicher Güte – kann auch Vierzehn Tage irgendwann als historische Quelle einer ganz besonderen Zeit dienen. Und unterhält bis dahin glänzend.

 

Beitragsbild: Graham Hill from new york/barcelona/bangkok etc.., usa, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

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Margaret Atwood, Douglas Preston - Vierzehn Tage.
Margaret Atwood, Douglas Preston (Hrsg.) – Vierzehn Tage
deutsch von Pieke Biermann, Christine Blum, Christiane Burkhardt, Svenja Geithner, Susanne Goga-Klinkenber, Susanne Höbel, Brigitte Jakobeit, Stephan Kleiner, Claudia Max, Hella Reese, Mechthild Sandberg-Ciletti
dtv Februar 2024, gebunden, 480 Seiten, € 25,00

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