Lolita beim Literaricum Lech 2024

Einer der umstrittensten Romane des 20. Jahrhunderts steht im Mittelpunkt des vierten Literaricum Lech 2024 – Lolita von Vladimir Nabokov

Am 18. Juli 2024 beginnt das vierte Literaricum in Lech am Arlberg – dieses Jahr mit Lolita im Mittelpunkt.
Ein feines, kleines Literaturfestival inmitten herrlicher Berglandschaft, das seit 2021 jedes Jahr einen Klassiker der Weltliteratur in den Mittelpunkt stellt. Der Simplicius Simplicissimus, Bartleby, der Schreiber und Stolz und Vorurteil waren bereits Thema, jeweils umrahmt von einem tollen Podiumsprogramm mit bekannten Autor:innen und ihren aktuellen Büchern, mit Menschen aus der Literaturkritik und spannenden Themen.
Kuratiert wird das Programm von der wunderbaren Nicola Steiner und ich durfte die letzten beiden Jahre bereits dabeisein. Die Mischung aus Literatur, Kultur und herrlicher Bergwelt, der nahe Kontakt mit allen Beteiligten und das Wiedersehen mit mittlerweile liebgewonnenen Lesebegeisterten machen für mich das Literaricum zu einem Jahreshighlight, an das ich immer gerne zurückdenke. Deshalb hier ein kleiner Rückblick auf die Jahre 2022 und 2023.

 

Lolita

Lolita – wer kennt sie nicht? (Falscher) Inbegriff für eine „Kindfrau“, für „kindliche Verführungskunst“. Aber natürlich auch für einen Literaturskandal. Der 1955 erschienene Roman des Russen Vladimir Nabokov spaltete und spaltet sein Publikum in solche, die ihn ein absolutes Meisterwerk nannten und solche, die ihn als gefährlichen Schund und Pornografie am liebsten verboten hätten.
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Aber worum geht es nochmal?
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Der 37-jährige Ich-Erzähler Humbert Humbert heiratet die Mutter der 12-jährigen Dolores Haze, genannt Lolita, um an die Tochter heranzukommen. Nach dem Tod der Mutter (durch einen Unfall nach nur 50 Ehetagen) ist er Lolitas rechtmäßiger Vormund und nimmt sie mit auf eine zweijährige Fahrt quer durch die USA, vergewaltigt und missbraucht sie, bis sie sich aus seinen Fängen befreien kann. Der Text ist als eine Beichte des wegen Mordes Angeklagten Humbert Humbert konzipiert.

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Stanley Kubricks Verfilmung aus den  1960er-Jahren trug vor allem dazu bei, die verführerische Kindfrau in den Mittelpunkt und das Gedächtnis des Filmpublikums zu rücken. Zum Missfallen Vladimir Nabokovs. Der Film machte die Protagonistin Lolita zur Popikone, zum Männer bewusst und dämonisch verführenden, frühreifen Gör und trat eine Riesenwelle los, mit Lolita-Komplex, Lolita Outfits, Lolicom und allerlei suspekten männlichen Gelüsten. Und verbrannte den Mädchennamen Lolita weitgehend.
Ich habe jetzt den Film tatsächlich auch nochmal gesehen und bin überrascht, wie schlecht er ist. Ganz abgesehen von dem völlig schiefen Lolitabild, das er zeichnet. Die Charaktere und die Beziehung zwischen Humbert Humbert und Lolita haben fast nichts mehr mit der Romanvorlage gemein.
Vladimir Nabokov schrieb zwar auch das Drehbuch, Kubrick verwendete dann aber nur dessen dramaturgische Grundlinie und ein paar seiner Szenen. Über den Weg, den Lolita in der Rezeption nahm, war Nabokov wenig glücklich, nahm aber den großen finanziellen Erfolg gerne mit.

Das Buch derart als „literarische Verherrlichung von Pädophilie“ misszuverstehen, erscheint mir nach der Lektüre, die ich lange wegen dieses Bildes verweigerte, eigentlich unmöglich. Es wird deutlich die Vergewaltigung und der brutale Missbrauch eines Kindes geschildert.

Ja, es ist harter Stoff, über 500 Seiten mit einem pädophilen Psychopathen zu verbringen nicht jederfraus/manns Sache (meine eigentlich auch nicht) und der Roman hat im zweiten Teil durchaus Längen. Aber: zumindest im ersten Teil schafft es Nabokov meisterhaft, einen äußerst schwierigen Charakter zu erschaffen, dessen manipulative, kranke Art zu entwickeln und ganz einfach sprachlich großartige, höchst anspielungsreiche Prosa zu verfassen.

Lolita - Klassiker beim Literaricum Lech 2024

Auch der Film „Die Wahrheit über Lolita“ (2021) von Olivia Mokiejewski, der Anfang des Jahres auf Arte lief, hat diese Sicht auf den Roman neu beleuchtet. Aber auch schon im (bzgl. der Veröffentlichungsgeschichte etwas zu) ausführlichen Nachwort der deutschen Taschenbuchausgabe von Dieter E. Zimmer finden sich Zeugnisse, die gegen den Vorwurf der Prnografie, der einst zum Verbot des Buches in einigen Ländern führte, und vor allem der Unterstellung, Pädophile zu unterstützen, sprechen.
So schrieb Nabokov 1956 an den Schriftstellerkollegen Edmund Wilson: „Wenn du Lolita liest, dann lass Dir bitte nicht entgehen, dass sie eine hochmoralische Angelegenheit ist und kein Porträt amerikanischer Kulaken.“ Wobei Moralvermittlung neben der „ästhetischen Lust“ guter Literatur für Nabokov sicher eher zweitrangig war.
Über H.H. schrieb Nabokov einmal: „Humbert Humbert ist ein eitler und grausamer Schuft, dem es gelingt, einen ‚ergreifenden‘ Eindruck zu erwecken.“ Die Unzuverlässigkrit seines Erzählers ist allein schon durch seine zahlreichen Psychiatrieaufenthalte naheliegend.
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Lolita ist deshalb ein idealer Klassiker, um darüber beim Literaricum Lech 2024 zu diskutieren, ihn von verschiedenen Seiten zu beleuchten und Hintergründe zu erforschen. Ein perfektes Buch also für das Literaricum Lech, das vom 18. bis 21. Juli 2024 in Lech am Arlberg stattfinden wird und an dem ich wieder teilnehmen darf. Das Programm ist sehr vielseitig und kann auch auf der Homepage von Lech Zürs eingesehen werden.

Literaricum_2024 Programm

Hier noch die Pressemitteilung zur Veranstaltung:

Am kommenden Donnerstag, 18. Juli, eröffnet Nora Bossong das 4. Literaricum Lech +++ Festivalklassiker ist »Lolita« von Vladimir Nabokov +++ Lesungen und Diskussionen u.a. mit Terézia Mora, Raoul Schrott, Elisabeth Bronfen, Aris Fioretos, Sophia Fritz und Philipp Hübl +++ Feierliche Preisverleihung an Clemens J. Setz, den zweiten »Poeta Laureatus«

 Als 1955 »Lolita« von Vladimir Nabokov erschien, wurde der Roman zuerst verboten und machte den Autor später weltberühmt. Und auch fast 70 Jahre nach Erscheinen bietet das Buch noch immer Anlass für viele Diskussionen. Welchen Einfluss haben die verschiedenen Verfilmungen auf die Interpretation des Werkes? Wie hat sich der Blick gerade in Zeiten von MeToo verändert? Wie werden toxische Liebe und weibliche Misogynie in Literatur und Gesellschaft verhandelt? Und wie wirken sich Dogmen und Tabus auf die Literatur aus?

Auf Initiative und Einladung von Nicola Steiner, Michael Köhlmeier und Raoul Schrott diskutieren darüber Terézia Mora, Elisabeth Bronfen, Nora Bossong, Aris Fioretos, Sophia Fritz und Philipp Hübl.

Begleitet wird das Programm durch eine Lesung aus dem Werk von Thomas Sarbacher und die ARTE-Dokumentation »Die Wahrheit über Lolita«, die in dem neu eröffneten Kulturzentrum »Lechwelten« gezeigt wird. Weitere Veranstaltungsorte sind die Kriegeralpe und das Hotel Sonnenburg.

Den Abschluss des Literaricum Lech bildet am Sonntag die feierliche Preisverleihung an den zweiten »Poeta Laureatus«, den Schriftsteller und Übersetzer Clemens J. Setz. Die Laudatio hält Alexander Wasner (SWR).

Nora Bossong_(c)_Brost-Stiftung_Fotograf Christian Deutscher

Ich werde alle Veranstaltungen begleiten, euch hier in der nächsten Woche einen Überblick geben – und vielleicht sieht man sich ja in Lech am Arlberg. Sprecht mich gerne an, wenn ihr mich entdeckt.

 

 

 

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