In der Buchreihe „Reclam´s Klassikerinnen ist in diesem Jahr ein Buch (wieder)erschienen, dass sehr passend zu meiner letzten Lektüre, Uwe Wittstocks Marseille 1940 ist. Die Autorin von Hotel Amerika, die 1892 geborene, deutschsprachige Ungarin Maria Leitner, musste selbst als Jüdin Deutschland und 1940 dann auch das besetzte Paris verlassen. Ihr gelang zwar die Flucht aus dem Internierungslager Gurs in Südfrankreich, am 14. März 1942 starb sie aber in Marseille in der Psychiatrie an Hunger. Ihr war die Ausreise trotz Unterstützung von Varian Fry nicht gelungen. Die USA gewährten ihr als erklärter „Linken“ (ihre Brüder waren 1919 Mitglieder der kurzlebigen ungarischen Räterepublik) kein Visum, obwohl sie auf der Liste des Emergency Rescue Committees stand.
In den 1920er Jahren war Maria Leitner als Übersetzerin, Herausgeberin und Autorin beim Ullsteinverlag bekannt. 1925 reiste sie im Auftrag des Verlags für drei Jahre in die USA, um dort als investigative Journalistin (eine Art Vorläuferin von Günther Wallraff) Sozialreportagen zu verfassen. Dafür ging sie verschiedenste Arbeitsverhältnisse ein, u.a. auch im Hotelgewerbe. Diese Erfahrungen kamen Maria Leitner sicher für ihren 1930 erschienenen Roman Hotel Amerika zugute. Dieser war wegen der sozialistischen Vergangenheit der Autorin, aber auch wegen seines „aufrührerischen“, sozialkritischen Inhalts eines der ersten Bücher, die 1933 von den Nationalsozialisten verbrannt wurde. Auch nach ihrer Flucht nach Prag und Paris kehrte Maria Leitner mehrfach illegal ins Deutsche Reich zurück, um von dort in verschiedenen Publikationen zu berichten. 1937 erschien ihr Roman „Elisabeth, ein Hitlermädchen“.
Geschichte eines Wäschemädchens in New York
Hotel Amerika erzählt, umrahmt von einer Art Krimihandlung, die Geschichte des irischen Mädchens Shirley im New York der 1920er Jahre. Shirleys Familie hat ihr Heimatland wie so viele verlassen, um in den USA dem Traum „vom Tellerwäscher zum Millionär“ zu folgen. Ihre Mutter Celestina arbeitet wie sie im Luxushotel. Als Scheuerfrau steht sie auf der untersten Stufe des streng hierarchisch aufgebauten Personalsystems. Shirley als Wäsche- und ihre aus Schweden stammende Freundin Ingrid als Stubenmädchen stehen kaum höher. Ihre Unterkunft und Verpflegung bewegen sich auf dem untersten Niveau. In allen Hierarchien bis hinauf zum Hoteldirektor speist man in separaten Speisesälen, bewohnt separate Wohnbereiche. Hier zeigen sich krasse Unterschiede. Kontakt untereinander ist nicht gewünscht. Das vermindert die Gefahr eventueller Solidaritätsbekundungen.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der einfachen Angestellten, besonders der Frauen, sind furchtbar. Aber während sich Celestina mit ihrem Los abgefunden hat und resigniert, hat die junge Shirley noch Träume und einen entschiedenen Aufstiegswillen. Der gutaussehende und vermögend erscheinende Gast Mr. Fish scheint ihr den Ausbruch aus ihrem elenden Leben zu ermöglichen. Leider stellt sich heraus, dass dieser windige Typ Shirley nur benutzen will, um an die reiche Marjorie Strong heranzukommen, die im Hotel ihre Hochzeit feiert. Ihm geht es um Erpressung.
Millionäre spielen in Hotel Amerika eine eher periphere Rolle. Leitners Urteil über sie fällt erwartungsgemäß nicht besonders positiv aus. Es sind die Menschen am unteren Rand, die Scheuerfrauen, Wäsche- und Stubenmädchen, die Pagen und Küchenjungen, Nachtwächter und Aufzugführer, die unter den sozialen Missständen in Amerika leiden. Das war zu der Zeit in Europa wenig anders. Der Roman fand in Deutschland einen großen Leserkreis, wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Bis ihn die Nazis 1933 verbrannten und seine Autorin nach 1940 in den Tod trieben.
Wiederentdeckung
Das Buch wurde wie die anderen Werke Leitners lange Zeit vergessen. Literarisch und sprachlich ist es sicher auch kein Meisterwerk, die Krimihandlung eher schwach. Und doch ist die Leidenschaft, über die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen zu berichten so packend, dass das Buch dennoch einen starken Eindruck hinterlässt. In den letzten Jahren gab es Neuauflagen in verschiedenen Verlagen. Schön, dass Hotel Amerika nun in einer ausgesprochen schön gestalteten Ausgabe in der Reihe Reclam´s Klassikerinnen mit einem sehr informativen Nachwort von Katharina Prager neu erscheint.
Beitragsbild by Horydczak, Theodor, Raleigh Hotel, ca. 1920 via Picryl
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Maria Leitner – Hotel Amerika
Reclams Klassikerinnen
Nachwort von Katharina Prager
Reclam Verlag, gebunden mit Goldfolie, 255 Seiten, € 25,00