Anna Langfus – Gepäck aus Sand

Wie sehr es mich freut, wenn Romane von Autorinnen neu oder wiederentdeckt werden, die zu ihrer Entstehungszeit nicht ausreichend gewürdigt, verkannt oder erst gar nicht veröffentlicht wurden, habe ich schon oft geschrieben. Gerade in den letzten Jahren hat sich da sehr viel getan und so manche Perle wurde da entdeckt. Mit dem Roman Gepäck aus Sand der polnisch-französische Schriftstellerin Anna Langfus, der nun in neuer Übersetzung von Patricia Klobusiczky und edler Ausstattung in der Anderen Bibliothek erschienen ist, kann das deutschsprachige Lesepublikum nun erneut eine solche Perle entdecken. 1962 wurde der Roman in Frankreich mit dem Prix Goncourt geehrt. In Deutschland fand die Übersetzung wenig Beachtung. Es war wohl zu früh, man wollte nicht lesen, was Langfus zu erzählen hatte.

Anna-Regina Szternfinkiel

Die am 2. Januar 1920 in Lublin, Polen als Anna-Regina Szternfinkiel als Tochter einer assimilierten jüdischen Familie geborene Autorin verbrachte die Jahre nach 1939 im Ghetto von Lublin. Ihr erster Mann und die Eltern wurden dort ermordet, Anna gelang die Flucht. Nach 1945 wollte sie nach Lublin zurückkehren, war dort als Jüdin aber nicht willkommen und zog nach Frankreich. Als eine der ersten weiblichen Holocaust-Überlebenden begann sie, über die Shoah zu schreiben. Anna Langfus starb bereits mit 46 Jahren und hinterließ drei Romane, zwei davon wurden ins Deutsche übersetzt (der erste, Salz und Schwefel steht als pdf im Internet frei zur Verfügung).

Autofiktional erzählt Anna Langfus in Gepäck aus Sand von der Jüdin Maria aus Warschau, die nach dem Krieg im sommerlichen Paris mit den Schatten der Vergangenheit und ihrem eigenen Überleben kämpft. Immer wieder erscheinen ihr die Verstorbenen, die Eltern und ihr Ehemann Jacques, irrt sie ziel- und haltlos und einsam durch die Straßen, bewohnt ihr enges Dachzimmer.

„Ihre Stimmen verfolgen mich bis ans Ende der Straße und verstummen dann schlagartig. Ich habe die rote Nacht der Brände und Morde hinter mir gelassen und treibe nun durch die Scheinfeuerchen eines friedlichen Sommerabends, inmitten der gleichgültigen, von kleinen Alltagssorgen verkniffenen Gesichter,“

Ein sehr viel älterer Mann, Michel Caron macht ihr Avancen und fährt mit ihr an die Côte d`Azur. Zunächst bleibt die Beziehung aufgrund Marias Widerstand platonisch, schließlich gibt sie seinem Drängen nach. Beide sind unglückliche, suchende Menschen, die aneinander Halt suchen. Sie werden ihn nicht finden. Schon allein, weil ihre Ausgangspositionen so unterschiedlich sind.

Zeugnis einer Traumatisierten

Gepäck aus Sand beschreibt die tiefe Depression und die Verzweiflung einer Überlebenden der Shoah. Dass diesen Menschen nach dem Krieg keinerlei psychologische Unterstützung zur Verfügung stand, im Gegenteil oft offener Hass entgegenschlug und sie zudem häufig auch in prekären Verhältnissen leben mussten, bestürzt immer wieder sehr. Die Umgebung verdrängt die Vergangeneheit, nur manchmal begegnen die Überlebenden sich, erkennen sich untereinander. Schweigen.

„Hören Sie auf, den Kopf zu schütteln, Herr Doktor, sagen Sie mir lieber, warum keine Spitäler gebaut werden, um solche Krankheiten zu behandeln? Krebskranke werden schließlich auch behandelt. Wenn schon keine richtige Heilung möglich ist, könnte man dort Hoffnung schenken, so tun als ob, den Schmerz mit Beruhigungsmitteln oder schönen Wortenlindern.“

Anna Langfus hat aus ihren Erlebnissen und Erfahrungen einen mitunter etwas sperrigen Roman gemacht. Literarisch sehr überzeugend, schwebend, oftmals kantig und poetisch. Wunderbar, dass es diesen Text nun wieder in einer so hervorragenden Neu-Übertragung auf Deutsch gibt.

 

Beitragsbild: Foto: Tim Reckmann / ccnull.de CC-BY 2.0

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Anna Langfus - Gepäck aus Sand.

Anna Langfus – Gepäck aus Sand
Übersetzer:in: Patricia Klobusiczky
Die Andere Bibliothek Januar 2025, gebunden im Schuber, 288 Seiten, € 48,00  Bandnummer 481
Gestalter:in: Designbüro Lübbeke Naumann Thoben

 

 

 

 

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