Hin und wieder kommt es vor – (leider) nicht sehr oft -, dass ich Bücher ohne größere Erwartungen beginne, und dass mich diese dann völlig vom Hocker hauen. Das ging mir gerade so mit dem Deutscher Buchpreis-Gewinnertitel von Martina Hefter Hey guten Morgen, wie geht es dir? Mich haben der Klappentext und die Buchwerbung zunächst nicht sonderlich angesprochen.
Love-Scammer – also Männer, hauptsächlich aus Entwicklungs- oder Schwellenländern, die online Beziehungen zu (meist älteren) Frauen anknüpfen und diese dann irgendwann finanziell gnadenlos ausbeuten? Eine mittelalte Frau, die ihrerseits diesen jungen Männern Lügen auftischt, während nebenan ihr schwerkranker Mann im Pflegebett liegt? Eine „Dreiecksgeschichte ganz neuer Art“, „eine Frau zwischen zwei Männern“? Tatsächlich betonen fast alle der (fast) ausnahmslos begeisterten Rezensionen eines dieser Themen: Lovescamming, pflegende Angehörige oder Insomnie.
Lovescamming
Und man kann es ihnen nicht verdenken, denn dieses Lovescamming ist ein völlig neues Sujet für einen Roman in einer Branche, die sich nach Neuem sehnt und doch meist nur wieder Familiengeschichten geliefert bekommt. Mich hat diese Betonung der – meiner Meinung nach – Nebenschauplätze fast davon abgehalten, diesen wunderbaren, an Existenzielles anrührenden Roman zu lesen. Zum Glück erhielt der Roman den Deutschen Buchpreis – ja, ich orientiere mich tatsächlich gerne an Literaturpreisen – und dann hatte ich noch das große Vergnügen, die Autorin in München bei der Verleihung des Bayerischen Buchpreises – den sie fast auch, dann aber doch der in Frankfurt leer ausgegangene Autor erhalten hat – zu treffen. Und ja, ich lese auch gerne Bücher von Autor:innen, die ich sehr sympathisch finde. Auch wenn das mein Urteil nicht (höchstens ein kleines bisschen;) ) beeinflusst.
Martina Hefter hat mit Hey guten Morgen, wie geht es dir? ein „göttliches Buch“ geschrieben, um noch ein letztes Mal einen der Juroren des Bayerischen Buchpreis, Andreas Platthaus (der dann aber doch für das andere Buch stimmte) zu zitieren. Nicht nur, aber auch, weil er von Göttern und Nymphen unterm Sternenzelt bevölkert wird: Phoebus, Tristan, Daphne und Nais, und im Zentrum Benu, Jupiter und Juno. Letztere ist die von Schlaflosigkeit geplagte, ihren an MS erkrankten Mann Jupiter pflegende und mit einem nigerianischen Lovescammer Nacht für Nacht chattende Ich-Erzählerin, mit bürgerlichem Namen Isabella Flock, Ende Fünfzig und sich für Sternbilder und den Himmel begeisternde Performancekünstlerin und Tänzerin. Starke Übereinstimmungen mit der Biografie der Autorin fallen auf und bezüglich der angeschnittenen Themen stimmen ja auch die Rezensionen und der Klappentext. Für mich geht das Buch aber bedeutend weiter und tiefer. Es verhandelt schlicht die menschliche Existenz und unsere gnadenlose Geworfenheit in diese Welt.
Juno und Jupiter
Aber stopp: Man kann natürlich das Ganze auch ein wenig herunterbrechen und das Buch liest sich genauso großartig. Da ist die Performancekünstlerin Juno, die unter ihrem – zumindest für Künstler – fortgeschrittenen Alter leidet, obwohl sie sich noch so lebendig fühlt und so große Sehnsucht fühlt nach dem pulsenden Leben. Der aber die Zumutungen des Alltags – prekäres Einkommen eines Künstlerhaushalts, fortschreitende Krankheit ihres Mannes, der immer mehr Unterstützung braucht, der normale Wahnsinn des Lebens – immer mehr zusetzen. Und die immer weniger schlafen kann. Dann liegt sie auf den Boden und schaut auf die Stuckdecke ihres Zimmers, die mit viel Phantasie dem Weltall ähnelt. Oder sie scrollt durch Instagram, chattet mit unbekannten Männern, die sich stets als gutsituierte, graumelierte Weiße vorstellen. Und von denen Juno doch weiß, dass es Betrüger sind, die es auf das Geld einsamer westlicher Frauen abgesehen haben. Sie verwickelte sie in völlig absurde Konversationen, bis die Männer genug haben und den Kontakt beenden.
Auch Orson_Wilson223 ist ein solcher Lovescammer. Und doch ist es mit ihm von Beginn an anders. Er geht auf Junos Chats ein, auf ihre Ironie, ihren Witz und lässt sich von ihr enttarnen als Benu, 32, aus Nigeria. Bald schon wird das Verhältnis der Beiden fast freundschaftlich. Und doch schwingt da immer noch auch Täuschung mit. Ihre Beziehung zu Jupiter verschweigt Juno. Aber ist nicht immer ein gewisses Maß an (Selbst)Täuschung nötig, um zu überleben? Und sie ist sich durchaus dessen bewusst, was in ihrem Verhältnis zu Beni immer mitschwingt: der Kolonialismus, Jahrhunderte der Ausbeutung nicht-Weißer Menschen. Andererseits unterwerfen diese sich als Lovescammer der gleichen kapitalistischen Gier, so Juno. Schwierig. Lieber ist ihr die Wildbiene, die Jupiters Insektenhotel besucht, die sich der fleißigen Honigproduktion ihrer Verwandten verweigert und doch als Bestäuberin nützlich ist. En passant sozusagen.
Unterhaltsam und tiefgründig
Benu erzählt von seinem Leben und Juno von ihrer Kunst, ihren Schlafproblemen, von den Sternen und immer wieder von Melancholia, dem Film von Lars von Trier, der auch mir seit 2011, als er erschien, immer wieder im Kopf herumspukt. Ein aus seiner Bahn geschleuderter Planet rast auf die Erde zu. Und während mich solche Endzeitszenarien in der Regel kaltlassen, hat mich selten ein Film so berührt wie Melancholia. Juno hört immer wieder seinen Soundtrack. Und da ist sie wieder, diese Geworfenheit.
Das mag sich jetzt alles viel schwerer und trauriger anhören, als Martina Hefter Hey guten Morgen, wie geht es dir? geschrieben hat. Ihr Ton ist unprätentiös, ironisch, eher heiter, der Text höchst unterhaltsam. Aber wenn man möchte, ist dahinter so viel mehr zu entdecken. Unter Umständen die Tragik des Lebens. Auf jeden Fall ist Hey guten Morgen, wie geht es dir? nicht nur ein würdiger, hochverdienter Buchpreisgewinner, sondern auch eines meiner Lese-Highlights 2024.
Beitragsbild Wildbiene by Jürgen Mangelsdorf CC BY-NC-ND 2.0 via flickr
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Martina Hefter – Hey guten Morgen, wie geht es dir?
Klett-Cotta Juli 2024, 224 Seiten, gebunden, € 22,00