Lektüre August 2025

Gefühlt habe ich im August sehr viel gelesen. Die Zusammenfassung meiner Lektüre für den August 2025 hier zeigt aber, dass es eher durchschnittlich war. Das liegt vielleicht daran, dass sonst viel los war, vor allem auch die Gartenarbeit, die ich in den vergangenen Monaten etwas vernachlässigt habe, nachgeholt werden musste. Ein Fahrradreise nach Berlin und verschiedene Verlagsveranstaltungen, gekrönt vom Erlangener Poet:innenfest und ein schöner Tag mit den Kindern in Darmstadt. Auch werfen verschiedene zukünftige Projekte und Literaturpreise bereits ihre Schatten.

Lesetechnisch war es ein durchwachsener Monat. Die Bücher von Martina Clavadetscher und Anna Prizkau konnten mich nicht wirklich überzeugen, besonders mit letzterem habe ich gehadert. Ein eindeutiges Monatshighlight gab es auch nicht, aber Kaleb Erdmann würde ich mit seiner Ausweichschule einen Platz auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises wünschen und Jan Costin Wagner hat mit Eden einen sehr berührenden Roman und Mathijs Deen seinen vierten Liewe Cupido-Roman geschrieben – beides tolle Bücher.

 

Martina Clavadetscher - Die Schrecken der AnderenMartina Clavadetscher – Der Schrecken der anderen

Vieles am neuen Roman der Schweizer Autorin Martina Clavadetscher ist spannend: Er beginnt wie eine klassische Kriminalgeschichte, wird dann aber zunehmend düster und märchenhaft, um schließlich dezidiert politisch zu werden und die rechten Tendenzen und Umtriebe in der Schweiz zu fokussieren und obendrein nationale Mythen und sogar alte Drachensagen einzubinden. Während mir ersteres sehr gut gefällt und der Krimiplot dazu dienen soll, unbequeme Wahrheiten unterhaltsam zu verpacken, finde ich letzteres ein wenig drüber und den Roman insgesamt zu gewollt, überkontruiert und überkomplex. Was mit einer eingefrorenen Leiche nahe des Pilatusmassivs beginnt, führt zu einem rechten Umsturzplan, für den Gelder aus einem in der Schweiz ansässigen Geheimkonto der Nationalsozialiten verwendet werden sollen. 2022 ging der Verdacht, dass ein solches Konto noch existiere, tatsächlich durch die Presse.

Thema und Idee sind großartig, die Autorin knüpft damit an den großen Schweizer Friedrich Dürrenmatt an (besonders an den Besuch der alten Dame), der Kriminalfälle auch als Vehikel für Gesellschaftskritik verwendete. Die Charaktere Clavadetschers sind mir allerdings zu konstruiert, zu schräg, und die Kurven, die die Handlung macht, zu gewollt, teils zu grell. Wirklich glücklich bin ich mit dem Roman nicht geworden.

 

kaleb-erdmann-die-ausweichschuleKaleb Erdmann – Die Ausweichschule

Kaleb Erdmann war 11 Jahre alt, als am im Erfurter Gutenberg Gymnasiums ein Ex-Schülers  15 Menschen erschoss und sich dann selbst das Leben nahm. Ein Ereignis, das die Stadtgesellschaft Erfurts und ganz Deutschland tief und nachhaltig erschütterte.
Lange Zeit verdrängt, kommt alles wieder hervor, als ein Dramatiker mit ihm in Kontakt tritt, der ein Bühnenstück zu den damaligen Ereignissen schreiben will. Es kommen nicht nur Erinnerungen hoch, sondern auch der Wunsch, diese literarisch zu verarbeiten.
Aber wie soll er mit dem Stoff umgehen, wie ihn bearbeiten, damit kein Voyeurismus entsteht? Kaleb Erdmann und damit sein Protagonist wählt die Form des Meta-Romans, in die er seine Skrupel, die eigene Ratlosigkeit mit einfließen lässt. Und auch einiges an Humor und Selbstironie. Er geht behutsam vor, nicht chronologisch, eher episodenhaft, die Ereignisse wie sich selbst und seine Umgebung befragend. Ich finde, das ist ihm ausgesprochen gut gelungen.

 

Mathijs Deen - Die LotsinMathijs Deen – Die Lotsin

Mit Die Lotsin erscheint der vierte Band der Krimi-Serie um den Ermittler Liewe Cupido. Und wieder nähert sich Mathjis Deen ganz langsam seinen Figuren und lässt dem Meer viel Raum.
August 2017, in Grönland arbeiten Forschende aus aller Welt an Untersuchungen im Eis, um Informationen über vergangene Klimaperioden zu erhalten. Die Glaziologin Iona Grimbert-Tauber arbeitet hier an Erkenntnissen für den UN-Bericht über den Zustand des Klimas, den IPCC-Report. Auf Social Media und in rechten Kreisen hat sie das bereits zum Ziel von Hasskampagnen gemacht. War das der Grund, weswegen sie in einem Whiteout aus der Station auf Grönland wider besseren Wissens nach draußen geht und fast erfriert? Der zuständige Arzt der Forschungsstation geht keine Risiko ein und schickt sie mit einem Schiff von Island nach Hause. Von dort verschwindet sie. Was geschah an Bord? Unfall, Selbstmord oder gar Mord? Ein weiterer der wunderbar atmosphärischen, ruhigen Krimis von Mathjis Deen.

 

Paul Garbulski - PunchPaul Garbulski – Punch

Rummel, Jahrmarkt, Kerb – während sich die Besucher dem Lärm, dem Rausch, der Buntheit hingeben, um Spaß zu haben und den Alltag für einen Moment hinter sich zu lassen, arbeiten hier Menschen hart, leben oft monatelang auf engstem Raum, immer unterwegs, werden von der Gesellschaft vielfach sogar ein wenig schräg angesehen. Paul Garbulski hat diesen Menschen mit Punch einen liebevollen Roman gewidmet.

Da sind vor allem die Jungs aus dem Boxzelt, die sich Tag für Tag prügeln müssen und dafür ihre Gesundheit und körperliche Unversehrtheit aufs Spiel setzen.
Aber auch ganze Familien leben auf und von den Jahrmärkten, ihre Wohnwagen meist hinter den Fahrgeschäften verborgen. Menschen mit Träumen, gescheiterten Hoffnungen, verkrachte Existenzen oder glückliche Familien. Paul Garbulski lässt sie uns näherkommen. Mit feinem psychologischem Gespür erzählt er von dieser oft übersehenen Randzone der Gesellschaft.

 

kaska-bryla-mein-vater-die-kraehe-und-ichKaska Bryla – Mein Vater, der Gulag, die Krähe und ich

September 2020, die Welt steckt mitten in der Pandemie und weiß noch nicht sehr viel über sie. Die Ich-Erzählerin, die sehr nah an der Autorin ist, ist früh und schwer an Corona erkrankt und leidet seit Monaten unter Spätfolgen. Sie lebt isoliert auf einem Wagenplatz und erzählt uns von ihrem Alltag, der Sehnsucht nach der fernen Geliebten, Ärzten und Behörden. Halt geben ihr in dieser Zeit zwei dinge: einmal die Beschäftigung mit den Tonaufzeichnungen ihres verstorbenen Vaters, der von seiner Kindheit und Jugend in Polen erzählt, der Arbeit im polnischen Widerstand und seinen Gulagerfahrungen. Daraus soll ein buch entstehen. Und zweitens Karl, das verletzte Krähenbaby, das Káska großzieht und das bald ihre engste Bezugs“person“ wird. Ich mochte die Verwebung von Historischem aus einer dunklen Zeit, der Unsicherheit, Angst und Einsamkeit der Protagonistin in der Pandemie und dem Heranwachsen Karls sehr gern.

 

jan-costin-wagner-edenJAN COSTIN WAGNER – EDEN

Im neuen Roman Eden beleuchtet Jan Costin Wagner einen terroristischen Anschlag, bei dem die zwölfjährige Sofie ihr Leben verliert. Angelehnt ist das Geschehen an einen Anschlag bei einem Konzert von Ariana Grande im Mai 2017 in Manchester, bei dem 22 Menschen starben.

Im Roman ist Ariana la Vega das große Idol von Sofie. Und Vater Markus überrascht sie mit Karten für ein Konzert in Stuttgart, zu dem auch Sofies Cousine Lotte und Tante Isabel mitkommen. Am Ende des Konzerts zündet der islamistische Attentäter Ayoub Issa eine Bombe, die ihn und etliche junge Konzertbesucher:inen in den Tod reißt. Sofie stirbt, ihre Tante und Cousine überleben. Wie gehen die Eltern mit diesem Verlust um? Wie erlebt es der Schulfreund Tobias? Und woher kommt dieser „Hass. Eine tiefe Verachtung. Woraus resultiert sie? Der innige Wunsch, Gewalt auszuüben. (…) Warum? Woher kommt das?“

Noch weniger als die früheren Romane konstruiert Jan Costin Wagner Eden als Kriminalroman. Hier braucht er keinerlei Polizeiermittler mehr. Das Verbrechen ist nur der Auslöser dafür, dass eine Familie droht auseinanderzubrechen. Feinfühlig, leise, packend.

 

Jaqueline Kornmüller - 6 aus 49Jacqueline Kornmüller – 6 aus 49

Jaqueline Kornmüller erzählt von ihrer 1911 in Niederbayern in einer großen Familie und großer Armut aufgewachsenen Großmutter Lina, die sich mit viel Fleiß und Arbeit und einer ganzen Portion Glück zur Hotelière und Dank 6 aus 49 zur vermögenden Frau gemacht hat. Lina ist ein Glückskind – nur nicht in der Liebe. Aber eine Freundin wird zur Lebenspartnerin – Maria. Für die Enkelin und Ich-Erzählerin ist Lina der wichtigste Mensch, aber 6 aus 49 bleibt nicht nur bei dieser Großmutter-Enkelin-Geschichte, Jaqueline Kornmüller webt Historisch-Kritisches aus der Heimatstadt Garmisch-Partenkirchen ein. Der Ton ist leicht und locker, etwas eigen und leicht skurril, leicht poetisch. Was mir bei Das Haus verlassen sehr gefallen hat, ist mir hier – vielleicht über die längere Strecke – manchmal ein wenig zu bemüht. Auch liebt die Autorin sprachliche Wiederholungen, was auf die Dauer etwas enervierend ist. Schade, denn 6 aus 49 ist eigentlich ein grundsympathisches Buch.

 

Daniela Dröscher - Der falsche JapanerDaniela Dröscher – Der falsche Japaner

Daniela Dröscher stand 2022 mit ihrem großartigen Roman Die Lügen meiner Mutter auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Der Erfolg bescherte uns Leser:innen nun ihren Debütroman von 2009 unter neuem Titel in einer Neuauflage. Und der ist völlig anders als ihr autofiktionale Erfolgsroman. In einer wilden, verspielten Geschichte katapultiert uns die Autorin in ein schottisches Küstenstädtchen und ins London des 18. Jahrhunderts. Ein junger Mann behauptet dort, von der sagenumwobenen Insel Formosa zu stammen und durch Jesuiten von dort verschleppt worden zu sein. Seine Geschichte erregt große Sensationslust – sei es, weil damals Exotisches gerade sehr „in“ gewesen ist, sei es, weil die Jesuiten im anglikanischen Königreich nicht sehr beliebt waren. Er gewinnt großzügige Gönner, darunter der angesehene Literat Samuel Johnson.

Man kann die Namen und Eckdaten googeln, Samuel Johnson, der im Buch sehr ironisch charakterisiert wird, lebte natürlich genauso wie der Hochstapler George Psalmanazar. Das ersterer allerdings 30 Jahre jünger als letzterer war, darum schert sich die vor Sprachwitz und Fabulierfreude sprühende Autorin nicht. Wie sich das in der historischen Wirklichkeit mit den Beiden verhielt und mit den vielen anderen erwähnten Persönlichkeiten, das kann man ruhig bei Wikipedia nachlesen. Daniela Dröscher lässt hingegen ihre Fantasie spielen und mischt ein wenig Fakten und viel Fiktion zu einem unterhaltsamen, turbulenten Roman, der viel Spaß macht und in dem so manches Rad geschlagen wird. Zu Beginn holpert es manchmal ein bisschen, aber dann nimmt er richtig Fahrt auf. Dass der Autorin am Ende vielleicht die Zügel ein wenig durchgehen passt dann irgendwie auch.

 

Anna Prizkau - Frauen im SanatoriumAnna Prizkau – Frauen im Sanatorium

Ich-Erzählerin ist die junge Anna, eine der Frauen im Sanatorium, die ebenso wie Marija, Elif, Veronika und Katharina, als ziemlich unzuverlässige Erzählerin von sich, ihrem Leben, ihr nahestehenden Menschen und dem Alltag in der psychiatrischen Reha-Klinik berichtet. Wenig erfahren wir über die wahren Hintergründe ihrer Aufenthalte, ihre Erkrankungen oder „die Sache“, die beispielsweise Anna hierher geführt hat. Man hat das Gefühl, es wird gelogen was das Zeug hält. Nebenbei wird sehr viel geraucht, gesoffen, täglich Hühnereintopf gegessen, Medikamente genommen oder auch nicht und es werden therapeutische Gespräche mit dem Senatoriumsleiter Dr. Fauner geführt. Und es wird geschrieben. Die Patient:innen sollen in ein Notizbuch persönliche Eintragungen machen. So wie Elif, die diese Aufzeichnungen nach ihrer Entlassung an Anna weitergegeben hat. Aber auch diese Aufzeichnungen sind wohl recht unzuverlässig. Und dann gibt es noch den attraktiven David, ebenfalls Patient im Sanatorium.

Die Patient:innen haben Migrationserfahrungen, schwierige Eltern, Beziehungen und Alltagsprobleme. Und sind mir durch die Bank weg unsympathisch. Was natürlich keine literarische Kategorie ist. Wenn aber ein Sprachstil hinzu kommt, der mich mit seiner Bevorzugung von kurzen Hauptsätzen nicht anspricht und ich auch am Ende nicht wirklich weiß, was ich aus diesem Buch mitnehmen soll, dann muss ich leider feststellen, dass dieses Buch für mich mehr oder weniger verlorene Lebenszeit war.

 

leon-engler-botanik-des-wahnsinnsLeon Engler – Botanik des Wahnsinns

Ein weiterer Debütroman, bei dem psychische Erkrankungen und die Psychiatrie die Hauptrolle spielen. Ein junger Mann blickt auf seine Familiengeschichte, die geprägt ist durch den „Wahnsinn“: die Großmutter bipolar, der Großvater und der Vater depressiv, die Mutter alkoholabhängig. Der Ich-Erzähler flieht vor diesem „Familienfluch“ und landet schließlich doch in der Psychiatrie – als Psychologe. In einem ganz besonderen, lakonischen Sound geschrieben, hat mich dieses Buch im Gegensatz zu dem thematisch ähnlichen von Prizkau überzeugt. Eine genauere Besprechung folgt in Kürze.

 

katrina-tuvera-die-kollaborateureKatrina Tuvera – Die Kollaborateure

Der erste philippinische Roman, den ich anlässlich des Gastlandauftritts des asiatischen Inselstaats auf der Frankfurter Buchmesse gelesen habe. Nicht ganz einfach für den/die Durchschnittsleser:in, da wohl die wenigsten in philippinischer Geschichte und Politik bewandert sind. Hilfreich ist da das Nachwort von Annette Hug und ein wenig googeln. Wie sehr auch Länder abseits des uns vertrauten Kampfgeschehens unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten haben, wird in Katarina Tuveras Roman sehr deutlich. Wie sehr das Land auch durch Koruption und Machtklüngel geprägt war, wird anhand einer Familie in Manila erzählt. Drei Protagonist:innen und verschiedene Zeitebenen stehen dabei im Mittelpunkt. Für mich ein gelungener Auftakt für die philippinische Literatur in diesem Herbst.

 

 

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