Lektüre April 2023

Der April war ein reicher Monat. Eine lang ersehnte Rom-Reise, die Fahr nach Leipzig und fünf Tage Buchmesse mit vielen schönen Begegnungen, Verlagsveranstaltungen, Lesungen. Dennoch wurde natürlich gelesen und zwar nicht zu knapp, auch Dank langer Zugfahrten. Neben dem kleinen, zauberhaften Essayband übers Schwimmen von Kristine Bilkau hat mir vor allem Helga Schubert mit ihrem Der heutige Tag Freude gemacht. Mit großartigste Entdeckung war aber Teresa Präauer mit ihrem so witzigen wie klugen Kochen im falschen Jahrhundert. Das ohne die Aktion von Carmen Böhm (@carmancia) mit dem Wallstein Verlag, bei der ich die Autorin treffen konnte, sicher an mir vorbeigegangen wäre. Hier kommt meine Lektüre im April 2023.

 

Bettina Balàka - Wechselhafte JahreBettina Balàka (Hrgs.) – Wechselhafte Jahre

Menopause – das klingt nicht sehr spannend, im besten Fall danach, dass es nach dieser „Pause“ im Leben einer Frau gewissen Alters auch wieder weiter geht. Es ist zumindest ein Thema, das bisher eher selten in der Literatur und in Texten abseits von Ratgebern vorkommt. In den Familien wird eher nicht darüber geredet, in der Gesellschaft erst allmählich. Und da dann oft im Sinne der Zielgruppe der 50 plus für die Werbebranche. Aber was passiert in diesen Wechselhaften Jahren“?

Wie die Schriftstellerin Ulrike Draesner feststellt: „Es fehlen gesellschaftlich etablierte Formen, über das Altern als Frau anders als im Modus des Defizits und seiner Behebung (›so bleibst du attraktiv für deinen Mann‹) oder medizinischer Fürsorge zu sprechen.“ Die 1966 geborene österreichische Schriftstellerin Bettina Balàka hat dazu nun ein Buch veröffentlicht und 16 namhafte Autorinnen um Texte übers Älterwerden gebeten. Beginnend mir der jüngsten, Katja Oskamp, Jahrgang 1970, und mit Renate Welsh, Jahrgang 1937, endend, ordnet sie die unterschiedlichen Beiträge nach dem Alter ihrer Verfasserinnen. Das macht durchaus Sinn, denn man spürt eine Veränderung im Umgang mit dem Thema, sei es generationen- oder altersbedingt.

So überwiegen bei den Jüngeren die Klage über das nicht mehr Gesehenwerden, über die schwindende Attraktivität, den sich verändernden Körper. Ich war tatsächlich verblüfft, wie sehr das sich Abarbeiten an weiblichen Körpernormen im Mittelpunkt vieler Texte stand. Es darf vielleicht nicht allzu verwundern, denn Frauen definieren sich fast ein ganzes Leben lang viel mehr über ihr Aussehen als die meisten Männer (oder lassen sich definieren).

Dennoch hätte ich erwartet, dass diese Trauer über vermeintlich schwindende Attraktivität und Sexiness mehr hinterfragt wird. Immerhin ist es doch ein Ziel des Feminismus, Frauen nicht als Sexualobjekt und über ihr Äußeres zu definieren. Warum dann doch dieses überwiegende Lamento? Einzig Marlene Streeruwitz (sie gehört allerdings mit Jahrgang 1950 auch zu den etwas älteren Verfasserinnen) betont, dass mit dieser neuen Wahrnehmung (oder eben Nicht-Wahrnehmung) auch eine neue Freiheit einhergeht. Neben den äußerlichen Veränderungen werden die sich wandelnden Rollen als Ehefrau, fürsorgliche Mutter, pflegende Tochter und (meist) minderbezahlte Arbeitskraft beleuchtet.

Die meisten der Texte sind autobiografisch und sehr persönlich. Realistisch, schonungslos, aber oft auch sehr humorvoll setzen sich die Autorinnen mit den wechselhaften Jahren auseinander. Humor scheint tatsächlich auch eine der bewährtesten Bewältigungsstrategien dieser Zeit zu sein. Das Buch ist höchst empfehlenswert für Leser:innen jeden Alters. Mich zumindest haben die Beiträge sehr zum Nachdenken, zum Beifall und auch zum Widerspruch angeregt. In einem Interview sprach Herausgeberin Bettina Balàka über den Plan, ein ähnliches Buch auch über alternde Männer zusammenzustellen. Ich würde das sehr begrüßen.

 

Kristine bilkau - WasserzeitenKristine Bilkau – Wasserzeiten

„Wasser ist H2O, zwei Teile Wasserstoff, ein Teil Sauerstoff. Aber da ist noch etwas Drittes, das erst macht es zu Wasser, und niemand weiß, was dieses Etwas ist.“ So der englische Schriftsteller D.H.Lawrence in seinem Gedicht „the third thing“. Und was dieses Dritte ausmacht, was die Faszination von Wasser und der Bewegung des Schwimmens in ihm sein könnte, darüber macht sich die Autorin und passionierte Schwimmerin Kristine Bilkau in ihrem zauberhaften Essay Wasserzeiten Gedanken. Neben den ruhigen, völlig gleichförmigen Bewegungen, die wie eine Art Meditation zu Leichtigkeit führen können, sind das Zwischenmenschliche und die Beziehungen, die dabei entstehen können, für die Autorin zentral. Sei es das Vertrauen, das beim Schwimmen lernen entsteht, sei es Konkurrenz im überfüllten Becken, sei es die Solidarität und Gemeinschaft, die sich bei „Stammschwimmern“ entwickeln kann – Schwimmen ist mehr als die reine körperliche Betätigung.

Bilder, Erinnerungen, ein wenig Kulturgeschichte und Überlegungen zu sozialer und Gendergerechtigkeit fließen in Wasserzeiten zusammen. Magische Schwimmorte wie eine Felsenbucht auf Bornholm oder der schmale Strand unterhalb des Louisiana-Museums in Dänemark, die Bathing Ponds in Hampstead Heath oder die eiskalte Ostsee vor der herbstlichen schottischen Westküste – die Autorin stellt sie uns sehr persönlich vor, spricht aber auch von Teilhabe und Wertschätzung durch niedrigschwelligen Zugang zu öffentlichen Schwimmbädern. Mich, die erklärte So-selten-wie-möglich-Schwimmerin, hat Kristine Bilkau auch mit ihren Wasserzeiten wieder völlig abgeholt.

 

Grit Krüger - TunnelGRIT KRÜGER – TUNNEL

Die junge alleinerziehende Mascha Heerdmann lebt mit ihrer Tochter Tinka von Hartz IV. Auch wenn es ihre Sachbearbeiterin im Jobcenter noch vergleichsweise gut mit ihr meint, sind die Gänge dorthin erniedrigend und lästig. Doch Kürzungen der Leistungen kann sich Mascha nicht erlauben, das Geld reicht auch so kaum. Die Armut ist im Debütroman von Grit Krüger wie ein dunkler Tunnel, in den man hineingezogen wird und an dessen Ende man kein Licht sieht. Ja noch nicht einmal das Ende ist zu erkennen. Vielleicht ist die Arbeit im Pflegeheim eine vorübergehende Lösung. Geld fürs Nötigste und dazu noch Kost und Logis für sich und das Kind. Mascha geht widerwillig zur Bewerbung.

Dort angekommen merkt sie aber, dass ihr der Umgang mit den Alten leicht fällt, dass sie ein Händchen dafür hat, auch für die „schwierigen Fälle“. Trotzdem, es ist für Mascha ein enges, ein bedrückendes Leben. Als sie eines Tages Tomsonov im Keller überrascht, wie dieser einen Tunnel ins Erdreich zu graben beginnt, schließt sie sich diesem verrückten Vorhaben an.

Grit Krüger baut in ihre Erzählung, die abwechselnd die personalen Perspektiven von Mascha, Tinka, Enders und Tomsonov einnimmt, auch Liedpassagen, lyrische Abschnitte und Wortwechsel ein. Auch eine Art Chor übernimmt immer mal wieder, z.B. wenn es auf dem Amt heißt: „Was machen wir mit der jungen Heerdmann?“ Wie auch die Bewohner des Heimes sind Mascha und Enders sehr facettenreich beschrieben. Das schafft einen abwechslungsreichen, lebendigen und interessanten Text, der mir aber den Zugang zu den Personen und ihren doch etwas merkwürdigen Verhaltensweisen nicht immer leicht gemacht hat. Am besten gefallen hat mir die Perspektive von Tinka, die sehr authentisch beschrieben ist. Dabei sind Kinderperspektiven meist ein wenig heikel. Grit Krüger gelingt sie in ihrem Debütroman grandios.

 

Emilienne Malfatto - Möge der Tigris um dich weinenEmilienne Malfatto – Möge der Tigris um dich weinen

Möge der Tigris um dich weinen nennt die Fotografin, Journalistin und Autorin Emilienne Malfatto ihren mit knapp 90 locker bedruckten Seiten sehr kurzen, aber ungemein intensiven Roman über einen Ehrenmord im Irak. Es ist eine Art Chronik eines angekündigten Todes. Die namenlose Ich-Erzählerin fühlt ihn kommen mit den Bewegungen in ihrem Leib. Der Gang zum Arzt bestätigt es, sie ist schwanger. Und der Vater ihres Kindes, der geliebte Kindheitsfreund des ältesten Bruders Amir, der zukünftige Verlobte, dessem Drängen sie vor seinem Fortgehen zu den irakischen Milizen ein einziges Mal nachgegeben hat, ist im Kampf gegen den IS getötet worden. Sie weiß, dass das in einer Gesellschaft, in der die Ehre wertvoller ist als das Leben einer Frau, ihren Tod bedeutet. Unfassbar gelassen und ergeben fügt sie sich in ihr Schicksal.

Acht Menschen, deren Schicksal vorgezeichnet scheint, genauso unerbittlich wie in einer antiken Tragödie, gibt Malfatto ihre Stimme. Wie im mesopotamischen Gilgamesch-Epos, aus dem Emilienne Malfatto kurze Passagen zwischen die Kapitel von Möge der Tigris um dich weinen streut. Auch der Tigris selbst erhält solche kurzen, poetischen Passagen. Die Autorin, die als Fotografin und Journalistin häufig im Irak arbeitet, erhielt für ihren intensiven Kurzroman 2021 den Prix Goncourt du Premier Roman.

 

Marlen Hobrack - Schrödingers GrrrlMarlen Hobrack – Schrödingers Grrl

Es liest sich wie ein modernes Märchen, das viral gehen könnte: Eine junge Frau Anfang Zwanzig aus Dresden, Schulabbrecherin mit 15, danach Hartz IV, bildungsfern mit Messie-Mutter und massiven Depressions-Problemen, schreibt einen autofiktionalen Roman, mit dem sie durchschlagenden Erfolg hat. Den Leser:innen ist von Beginn an bewusst, das verrät der Klappentext, dass Mara Wolf, die unter dem Instagram-Kanal „Schrödingers Grrrl“ versucht, sich eine Influencer-Karriere aufzubauen, nur eine Fake-Autorin ist.

Die Idee zu diesem Coup stammt von PR-Mann Hanno, der Mara eines Abends in einer Bar begegnet. Sie scheint die ideale Autorin für einen Roman des Schriftstellers Benjamin Richter zu sein, der über genau solch eine junge Frau zwischen wenig erfolgreichem Leben, Dates und Liebeswirren geschrieben hat. Der sich aber in der heutigen Zeit vermutlich schlecht verkaufen würde, wenn er von einem „alten, weißen Mann“ stammt. Stichwort: Aneignung. Und so schmieden die Beiden zusammen mit Richters Lektor den Plan, Mara als Autorin auszugeben. Diese stimmt zu, da sie, stets schlecht bei Kasse, das Geld gut gebrauchen kann. Außerdem winkt ein wenig Ruhm mit Foto- und Fernsehaufnahmen, Interviews, Lesungen. Eigentlich ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis die Sache auffliegen wird.

Marlen Hobrack hat mit Schrödingers Grrrl einen facettenreichen Roman geschrieben: Satire auf den Buchmarkt und die literarische Welt, amüsantes und raffiniertes Spiel mit der Autofiktion und ein Blick in das Alltagsleben der ziemlich verpeilten und etwas schrillen Mara zwischen Jobcenter, Putzjobs, mäßig lustvollen Dates und einer befreundeten WG. Das ist frisch und zeitgemäß und spielt mit allerlei Klischees. Wirklich nah kommt man dieser Mara aber nicht. Das Problem an diesem wirklich amüsanten Roman ist ein wenig, dass man als Leser:in nicht wirklich weiß, wohin er will. Vielleicht kann man ihn so lesen, dass er genauso rastlos und unentschieden ist wie seine Protagonistin. Oder man genießt mit ihm einfach ein paar unterhaltsame Lesestunden.

 

Gina Schad - Nach enem TraumGina Schad – Nach einem Traum

„Ein hochaktueller Debütroman über Liebe in Zeiten von Digitalisierung, sozialen Medien und sich wandelnden Beziehungen.“ So wird der Roman von Gina Schad vom Verlag beworben. Dabei sind Setting und Personal relativ herkömmlich. Junge, irgendwie lebensuntüchtig wirkende Cello-Studentin verliebt sich in älteren, verheirateten Arzt mit Zwillingskindern. Die gegenseitige Anziehung ist stark und lässt sich nicht unterdrücken, obwohl Simon von Anfang an klar macht, dass er seine Frau und die Kinder niemals verlassen würde, sie liebt, ein glückliches Leben führt.

Nun ja, das kennt man. Ebenso das Verhalten von Marie, die sich zu Anfang einredet, dass ihr das nichts ausmacht, dass sie die Beziehung zu Simon unbedingt will, egal unter welchen Bedingungen. Der das aber zunehmend zu schaffen macht, die sich in eine emotionale Abhängigkeit und fast Besessenheit hinein verliebt. Neu ist vielleicht die digitale Komponente (aber eigentlich auch nicht wirklich), die eine permanente Verfolgung des anderen Lebens über Social Media und das In-Kontakt-Bleiben über Chats ermöglichen. Nicht wirklich zum Vorteil der Verbindung und der Beteiligten. Leider ist das Buch genauso oberflächlich wie die kurze Inhaltsangabe verheißt. Sprachlich und inhaltlich wirklich nichts Neues, viele Chatverläufe vollkommen banal. Das Buch liest sich schnell und genauso schnell hat man Story und Protagonisten vergessen. Schade. Die Autorin arbeitet an einem zweiten Roman zum digitalen Thema, vielleicht bietet der dann mehr Tiefe.

 

Mathijs Deen - Der TaucherMATHIJS DEEN – DER TAUCHER

Kommissar Liewe Cupido ist kein normaler Krimi-Ermittler, eben weil er so normal ist. Keine dunkle Vergangenheit, kein Alkohol, keine Drogen oder psychischen Probleme, wie sie so oft für Fahnder in diesem Genre bemüht werden. Ein einsamer Wolf zwar, verschlossen, wortkarg und irgendwie ziemlich melancholisch, aber auch bodenständig, pragmatisch und freundlich. Mathjis Deen lässt seinen „Holländer“ Liewe Cupido, Beamter der Bundespolizei See in Cuxhaven in Der Taucher ein zweites Mal einen ungewöhnlichen Mordfall untersuchen. Auf der Suche nach einem verlorenen Schiffscontainer stößt das Bergeschiff Freyja zufällig auf ein Schiffswrack und darin auf den toten Wracktaucher Jan Matz, mit Handschellen festgekettet und in auffälliger Pose. Ging es um Geld? Die 1950 gesunkene „Hanne“ hatte Kupferplatten in Millionenwert geladen. Andererseits lassen verschiedene Spuren auf ein Verbrechen aus Hass schließen. Ist vielleicht die Familie des Jungen, den der Sohn von Jan Matz krankenhausreif geschlagen hat, involviert?

Der Taucher ist genauso entschleunigt geschrieben wie das Debüt von Mathjis Deen, Der Holländer. Die Nordsee mit ihren Inseln und Sandbänken, das Watt, die Gezeiten und Strömungen spielen auch hier die Hauptrolle. Natürlich wird auch der Mord am Wracktaucher Matz aufgeklärt, aber das ist fast ein wenig nebensächlich. Viel wichtiger sind die ruhige, stimmungsvolle Atmosphäre und der genaue psychologische Blick auf die Figuren, in die man gerne auch noch ein drittes Mal „eintauchen“möchte.

 

Anthony McCarten - Going ZeroAnthony McCarten – Going Zero

Dass der gebürtige Neuseeländer Anthony McCarten auch ein sehr erfolgreicher, mehrfach oscarprämierter Drehbuchautor ist, merkt man seinem neuen, atemlosen Thriller Going Zero an. Intelligent, spannend und überraschend jagt der 61-Jährige seine Leser:innen durch die Seiten. Ausgangspunkt ist der Beta-Test einer komplexen Überwachungssoftware namens Fusion, die der Internetunternehmer und Milliardär Cy Baxter mit seiner Social Media-Firma WorldShare an die US-amerikanische Regierung verkaufen möchte. Ein 90 Milliarden Dollar-Geschäft, dass es den Behörden ermöglichen soll, jeden Terroristen (und als Kollateralergebnis natürlich auch jede andere Person) innerhalb kürzester Zeit zu identifizieren und zu lokalisieren, möglichst noch bevor er oder sie Schaden anrichten konnten.

Für den Test der Spyware wurden zehn Menschen ausgewählt – fünf „Normalbürger“, fünf Spezialisten auf dem Gebiet der Sicherheitstechnik – die für dreißig Tage versuchen müssen, völlig abzutauchen und denen bei Erfolg eine Belohnung von drei Millionen Dollar winkt. Auf ein bestimmtes Signal hin haben die für den Beta-Test ausgewählten Teilnehmer zwei Stunden Zeit, um unterzutauchen. Danach werden das ganze Team und die ganze Technik auf sie angesetzt. Einige der „Zeros“ werden schon nach sehr kurzer Zeit geschnappt. Andere sind erfolgreicher. Besonders überrascht dabei eine der „Normalos“, die Bibliothekarin Kaitlyn Day aus Boston. Sehr bald erfährt man, dass sie andere Gründe als die drei Millionen Dollar Preisgeld zur Teilnahme bewegt haben und dass sie extrem gut vorbereitet ist.

Going Zero ist spannend und überrascht stets mit neuen Wendungen. Dass es den Leser:innen angesichts der ganzen Überwachungsmöglichkeiten, die zum großen Teil schon heute Realität sind, oftmals kalt den Rücken hinunterläuft, ist sicher ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt des Romans. Dass diese Systeme nur zum Wohle der Bürger:innen oder für so vergleichsweise harmlose Dinge wie personalisierte Werbung eingesetzt werden, daran glaubt man nach der Lektüre noch weniger. Eine dicke Empfehlung für diesen unterhaltsamen Thriller.

 

Teresa Präauer - Kochen im falschen JahrhundertTeresa Präauer – Kochen im falschen Jahrhundert

Wie in einem Bühnenstück lässt die Österreicherin Teresa Präauer fünf bzw. sieben Protagonisten in ihrem fabelhaften Roman Kochen im falschen Jahrhundert zu einem Abendessen in der frisch renovierten und frisch bezogenen Altbauwohnung der Gastgeberin zusammentreffen. Eingeladen sind neben dem Lebenspartner der Gastgeberin ein Ehepaar, das vor kurzem zu Eltern geworden ist, und ein Schweizer Freund, dessen Freundin nicht mitkommen konnte, da sie sich wegen ihrer Joblosigkeit in einer Krise befindet. Alle sind geschätzt um die 40, gebildet, kultiviert und gutsituiert und bleiben das ganze Buch hindurch namenlos und in ihren festen Rollen. Das schafft eine gewisse Allgemeingültigkeit.

Social Media, vor allem Instagram spielen eine große Rolle, Selbstinszenierung und Objekte, als Distinktionszeichen. Die Autorin schreibt mit einem sehr schönen, klugen Witz und viel Ironie. Teresa Präauer geht es natürlich nicht nur um die sanft ironische, unterhaltsame Geschichte einer Abendeinladung, als die man Kochen im falschen Jahrhundert ohne Probleme auch lesen kann. Ihr Essen ist auch politisch. Und es wimmelt von kleinen Anspielungen. Alles ist verspielt, vielschichtig, klug und sehr witzig.

 

Helga Schubert - Der heutige TagHelga Schubert – Der heutige Tag

Derden – der, den ich liebe – nennt die Ich-Erzählerin, die unzweifelhaft Helga Schubert selbst ist, ihren pflegebedürftigen Mann. Mehr als 50 Jahre sind sie zusammen. Der heutige Tag  ist, so der Untertitel, „ein Stundenbuch der Liebe“, ein literarisches Tagebuch, in dem Helga Schubert im abendlichen Schreiben, wenn der Pflegealltag zu Ende ist, nach eigenem Bekunden ihre Rettung findet, ihre Zuflucht. Episodenhaft, in einzelnen, nicht chronologischen Momentaufnahmen und Betrachtungen erzählt Helga Schubert detailgetreu und reduziert von ihrem Alltag, von allen Tiefen, von Überlastung und Verzweiflung, vom sich im Stich gelassen fühlen, wenn sich wieder keine Betreuungsperson finden lässt, obwohl ein wichtiger Termin ansteht. Von Kindern, die sich nicht kümmern und von Behörden, die nicht helfen.

Aber sie erzählt auch, und das noch viel eindringlicher, von den vielen Glücksmomenten, die sich im Leben mit dem geliebten Partner auch jetzt noch finden lassen. Wenn die Amsel zwitschert, die Sonne scheint und dem Mann der Sahnejoghurt so gut schmeckt. Ganz im Jetzt leben, aber auch mit liebevollen Erinnerungen, einen Menschen sein Leben ausatmen lassen, die Kraft dafür aus kleinen Momenten der Nähe und Schönheit zu finden – das vermittelt Helga Schubert auf so klare, knappe wie zärtlich-poetische Weise. Das sorgt neben dem immer wieder aufblitzenden Humor dafür, dass dieses Buch über das Verlöschen eines Menschen und den harten, anstrengenden Pflegealltag niemals deprimierend wirkt, sondern wahrhaft tröstlich.

 

 

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