Christopher Kloeble – Durch das Raue zu den Sternen

War Beethoven eine Frau und die Tochter von König Friedrich Wilhelm II.? Und damit die weltbeste Tondichterin aller Zeiten? Zumindest die 13-jährige Arkadia, die sich selbst lieber wie ihre Mutter nach der Tonart Moll nennt, ist davon fest überzeugt. Eingeflüstert hat ihr diese allgemein geleugnete „Wahrheit“ ebenso ihre Mutter, die eine nicht ganz so erfolgreiche Tonkünstlerin in der bayerischen Provinz ist. An ihrem Neo-Bechstein, einem der nur 150 Exemplare, die von diesem elektromechanischen Flügel gebaut wurden, komponiert und singt sie für und mit ihrer Tochter. Gerne wäre sie auch die Organistin der fleißig besuchten Kirche. Aber Frauen haben hier auf dem Dorf Anfang der 1990er Jahre schlechte Karten bei offiziellen Stellen und bei öffentlicher Anerkennung. So wie einst auch Beethoven. Die Musik steht im Mittelpunkt des neuen Romans Durch das Raue zu den Sternen von Christopher Kloeble. Sie ist die große Leidenschaft von Moll und das, was sie mit ihrer Mutter verbindet, nachdem diese nun „kurz weggegangen“ ist.

Wir ahnen früh, was hinter diesem Verschwinden steckt, aber Moll beharrt stur darauf, dass die Mutter bald zurückkommen wird. Moll muss dafür nur etwas Besonders leisten, etwas Musikalisches natürlich, und sie setzt sich in den Kopf, dass das nur durch die Teilnahme im renommierten Knabenchor der Gegend geschehen kann. Das Problem, dass sie kein Knabe ist, wischt sie resolut vom Tisch. Und so willensstark und selbstbewusst sie ist – manche, besonders ihre Lehrer:innen würden auch sagen: aufsässig – schafft sie es tatsächlich, dort als einziges Mädchen mitsingen zu dürfen.

Ad aspera

Wir befinden uns Anfang der 1990er Jahre und die Unterrichtsmethoden, der Druck auf und der Umgang mit den Sängerknaben (und das Mädchen) sind äußerst fragwürdig. Aber für Moll zählt nur eines: durch hervorragende Leistungen Aufmerksamkeit zu erregen und ihre Mutter dadurch zurückzuholen. Dabei sind die Teilnahmegebühren eigentlich viel zu hoch. Der Vater ist durch den Verlust seiner Frau in einer tiefen Trauer gefangen, kann kaum noch in seiner Schreinerei arbeiten, die Rechnungen häufen sich und immer wieder „rutscht ihm die Hand aus“. Zum Glück hat Moll in Bernhardina, die im Seniorenheim lebt, eine gute, wenn auch nicht immer einfache Freundin. Und ungeahnte Fördernde.

Wie gesagt, ahnt man recht schnell, was hinter dem Verschwinden der Mutter steckt. Sie war im Ort stets eine Außenseiterin, trug hohe Absätze, „um Gott näher zu sein“, hielt das Hausschwein Immanuel, komponierte und hatte schon 14 Verkehrsunfälle. Arkadia ist noch zu jung, um ihre Mutter ganz zu verstehen, aber mit welch sturem Beharren sie an ihrem Bild von ihr festhält, ist erstaunlich. Erst ganz am Ende wird die Geschichte ihres Verschwindens ganz aufgeklärt.

Illustration zu Beethven
Illustration zu Beethovens Werken by Edward Francis Burney, CC0, via Wikimedia Commons

Beethovens Sinfonien

Da befinden wir uns bereits im 5. Satz der Sinfonie, als die Christopher Kloeble seinen Roman Durch das Raue zu den Sternen aufbaut. Natürlich hat eine „normale“ Sinfonie keinen fünften Satz. Aber auch Ludwig (?) van Beethoven hat diese Regel mit der Pastorale, der 6. Sinfonie, gebrochen. Dem 4. Satz lässt er einen Hirtengesang folgen. Der soll „frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“ vermitteln. Ich habe unlängst diese Sinfonie im Konzert gehört und hier wird tatsächlich die enorme Spannung der Musik gelöst. Kloeble gibt uns Lesenden für jedes seiner Kapitel, jeden „Satz“ vor, wie wir ihn „interpretieren“ sollen: „schnell, aber nicht zu schnell“, „etwas majestätisch“ – Presto ma non troppo, Un poco maestoso. Den 5. Satz allerdings dürfen wir lesen „wonach dir ist“.

Auch der Titel Durch das Raue zu den Sternen bezieht sich nicht nur auf den Drill, durch den die Teilnehmer des Chors zu den Sternen der Musik gelangen, sondern auch auf Beethoven. Per aspera ad astra (lat. „durch das Raue zu den Sternen“) wandert er in seiner 5.  und seiner 9. Sinfonie von der Tonart Moll nach Dur, vom Düsteren ins Helle.

Ein Roman in Sätzen

Das Zentralthema Musik, besonders die Beethovens, der Aufbau des Romans und die Einblicke in die Arbeit des Knabenchors, die von Kloebles eigenen Erfahrungen beim Tölzer Knabenchor profitieren, – das alles hat mir ausgesprochen gut gefallen. Weniger überzeugend war für mich zeitweise die Stimme von Moll, die trotz ihrer Fantasie, ihres Muts und ihrer Trauer um die Mutter für mich nicht wirklich zu einer Sympathieträgerin oder überzeugenden Figur geworden ist. Vielleicht lag das aber auch an der Hörbuchstimme (ich habe mir Teile des Buchs vorlesen lassen), die ich nicht sehr gelungen fand. Außerdem waren mir Teile der Geschichte ein wenig zu vorhersehbar, auch wenn am Ende doch noch eine Überraschung wartete. Die positiven Aspekte überwiegen aber deutlich und der Roman klingt auch noch länger positiv nach. Also durchus eine Empfehlung.

 

Beitragsbild: Beethoven seated at piano by Reed Eichstadt. Copyright claimed by Hugo Gottmann 1904, Library of congress CC0

 

Christopher Kloeble - Durch das Raue zu den Sternen.x

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Christopher Kloeble – Durch das Raue zu den Sternen
Klett-Cotta Juli 2025, 240 Seiten, gebunden, € 24,00

 

 

 

 

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