Jacqueline Kornmüller, Theaterregisseurin und Schauspielerin, hat mich mit ihrer von Kat Menschik reizvoll illustrierten Novelle Das Haus verlassen bezaubert. Ein wenig schräg, ein wenig skurril, ein wenig poetisch und zärtlich. Auch ihren Debütroman hat Kat Menschik mit einem schönen Cover geschmückt. Jacqueline Kornmüller erzählt darin von ihrer 1911 in Niederbayern in einer großen Familie und in großer Armut aufgewachsenen Großmutter Lina, die sich mit viel Fleiß und Arbeit und einer ganzen Portion Glück zur Hotelière und Dank 6 aus 49 zur vermögenden Frau gemacht hat.
Lotto – für mich ist das etwas aus vergangenen Zeiten, auch wenn bis heute fleißig gespielt wird. Für Lina ist das wöchentliche Ausfüllen des Lottoscheins ein Muss, irgendwann wird sie Systemlotto-Spielerin und eines Tages ist es soweit, 6 aus 49, der Hauptgewinn. Aber wen, wenn nicht Lina sollte es auch treffen? Lina ist ein Glückskind – nur nicht in der Liebe.
„Da sie mit sonst niemandem flirtete, verliebte sich das Glück in sie und blieb ihr treu.“
Zumindest empfindet es Lina selbst so, trotz der harten Kindheit und obwohl der Vater ihrer Tochter nur ein „Zufallsgast“ war und sehr schnell aus ihrem Leben verschwand. Aus dem Haus ihrer alleinerziehenden Mutter und der 15 Geschwister, in der Armut mehr als ein Zufallsgast war, befreite sie sich früh. Bereits mit dreizehn Jahren reinigte sie im Hotel die Kupferkessel, arbeitete sich hoch, bekam eine Anstellung in renommierten Hotel Clausinger in Garmisch-Partenkirchen, in dem die bekannten Ufa-Stars abstiegen, und kam durch Zufall und ein bisschen Glück mit nur 27 Jahren zu einem eigenen Hotel. Und zu einer Freundin, die zur Lebenspartnerin wird – Maria.
6 aus 49
Für die Ich-Erzählerin ist Großmutter Lina der wichtigste Mensch, dem sie zärtlich und liebevoll ein Leben lang zugetan ist, auch wenn sich die Wege naturgemäß irgendwann voneinander entfernen. Was mit der Mutter ist, erschließt sich nicht so ganz (soll es auch nicht, es ist ein Buch über die Großmutter), sie wird niemals Mutter, Mama oder beim Namen, sondern stets „Linas Tochter“ genannt und man erfährt, dass es zwischen ihr und Lina auch nicht ganz einfach war.
Aber 6 aus 49 bleibt nicht nur bei dieser Großmutter-Enkelin-Geschichte, Jacqueline Kornmüller webt Historisches aus Garmisch-Partenkirchen ein. Da ist die Zwangsvereinigung zweier Dörfer, die sich eigentlich nicht riechen konnten 1935; da sind die hereinströmende Touristen, die „Luftdeppen“, die dem Ruf Luftkurort folgen; und da ist nicht zuletzt die dunkle Vergangenheit der NS-Zeit.
Die Figur der Lina, ihre Freundschaft zu Maria, das Glück, das sie als erfolgreiche und passionierte Hotelière fand, das liebevolle Verhältnis von Großmutter und Enkelin, Linas tapfere, lebensfrohe Art, mit dem Leben und dem Schicksal umzugehen – das ist sehr sympathisch. Auch die kritische Einstellung gegenüber Geschichtsvergessenheit, Reichtum und bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen teilt man gern. Der Ton ist leicht und locker, etwas eigen und leicht skurril, leicht poetisch. Was mir bei Das Haus verlassen sehr gefallen hat, ist mir hier – vielleicht über die längere Strecke – manchmal aber ein wenig zu bemüht. Besonders der Abschnitt, in dem ein Partner der Erzählerin ins Geschehen eintritt und konsequent und in Redundanz mit Du, aber in der dritten Person angesprochen wird, stört. Überhaupt liebt die Autorin sprachliche Wiederholungen. Auch das hat mich gegen Ende leicht genervt. Schade, denn 6 aus 49 ist eigentlich ein grundsympathisches Buch.
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Jacqueline Kornmüller – 6 aus 49
Galiani-Berlin August 2025, gebunden, 224 Seiten, € 23,00