Der 1992 geborene Fikri Anıl Altıntaş engagiert sich in Workshops und als Redner gegen toxische Männlichkeit und festgefügte Männlichkeitsbilder. 2023 hatte er mit seinem Debütroman Im Morgen wächst ein Birnbaum, in dem er über seinen Vater schreibt, auch literarisch Erfolg. Nun setzt Fikri Anıl Altıntaş sich mit seinem neuen autofiktionalen Buch Zwischen uns liegt August mit seiner verstorbenen Mutter auseinander.
August ist sowohl der Geburts- als auch der Sterbemonat der Mutter. Und mit der Geburtstagsfeier beginnt der Text. Es ist – allen Beteiligten ist das schmerzlich bewusst – sehr wahrscheinlich der letzte Geburtstag, den Mürüvvet erleben wird. Sie ist unheilbar an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt. Das macht den Roman zu einem Abschiedsbuch und einem Text über Verlust und Trauer, der voller Zärtlichkeit und Melancholie ist. Zärtlichkeit gegenüber einer Mutter, zu der die Beziehung immer eng und liebevoll war, aber auch geprägt durch eine gewisse Portion Fremdheit und Unverständnis. Dem Sohn wird erst allmählich klar, dass auch er seine Mutter fast ausschließlich in ihrer Rolle gesehen hat, dass sein Blick auf sie zu einem guten Teil durch seine patriarchal geprägte Erziehung bestimmt war. Wer war Mürüvvet außerhalb ihrer Mutterrolle? Wie war sie als Mädchen, als junge Frau?
Ein letzter Geburtstag
Auf drei Zeitebenen erzählt Fikri Anıl Altıntaş in Zwischen uns liegt August von seiner Mutter Mürüvvet und seiner Beziehung zu ihr. Da ist einmal die direkte Gegenwartsebene, in der sich die Familie um die Mutter versammelt, um noch einmal ihren Geburtstag zu feiern. „An der Lahn“ sind diese Kapitel benannt und umfassen nur diesen einen Tag, versehen mit Uhrzeiten, von 11:47 Uhr bis 18:43 Uhr. In einer zweiten Zeitebene begeben wir uns zurück in die Zeit der Diagnosestellung und der Krebstherapie, in eine Zeit der verzweifelten Hoffnung, in der die Familie zusammenrückt. Die dritte Zeitebene führt in die Jugend der Mutter, in ihre Zeit in Aydin, einer Stadt nahe Izmir in der Westtürkei.
Mürüvets Vater arbeitet in einer Betonfabrik in Deutschland, seitdem sie elf Jahre alt ist. Nur in den Ferien kommt er in die Türkei. 1973 ist das Land durch politische Instabilität und hohe Arbeitslosigkeit geprägt. Deshalb ist sein Ziel, so bald wie möglich Frau und Tochter zu sich nach Deutschland zu holen. Aber beide kommen dem nur unwillig nach. Für Mürüvvet ist Deutschland ein kaltes Land, sie hat Angst vor Rassismus, von dem sie gehört hat. Ihr fehlt das Meer, die Wärme. Sie träumt davon, zu reisen, eines Tages Flugbegleiterin zu werden. Wirklich ankommen wird sie in Deutschland nie. Auch nicht, nachdem sie geheiratet hat, eine Familie gegründet, zwei gesunde, geliebte Kinder auf die Welt gebracht hat.
Nicht nur die Mutterrolle
Über Mürüvvets Gefühle, die geplatzten Träume, ihre unerfüllten Sehnsüchte sich niemals Gedanken gemacht zu haben, sie immer nur als Mutter gesehen zu haben – das verursacht beim Erzähler nun im Angesicht ihres Todes Schuldgefühle. So verfasst er eine „Liste der unbequemen Wahrheiten“, befragt sich und seine Rolle als Sohn. Er tut dies in diesem sehr persönlichen, emotionalen Buch. Er spricht seine Mutter, seine „Anne“, darin direkt an. Das lässt auch uns Leser:innen sehr nahe kommen. Es wird viel geweint in diesem Buch, aber es wird nie unangenehm pathetisch. Der Alltag erhält viel Raum im Text. Besonders schön, dass sich dieser Alltag dort verortet, wo auch ich mich gut auskenne: Gießen, Wetzlar, Dutenhofen – nicht viele Romane sind hier angesiedelt.
Mit Zwischen uns liegt August hat Fikri Anıl Altıntaş erneut einen berührenden migrantischen Familienroman geschrieben.
Beitragsbild: Einkaufszentrum Globus Dutenhofen by Manfred&Barbara Aulbach, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
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Fikri Anıl Altıntaş – Zwischen uns liegt August
C.H.Beck August 2025, 269 Seiten, Hardcover, € 24,00