Volker Weidermann – Wenn ich eine Wolke wäre

Der Literaturkritiker Volker Weidermann versteht es meisterhaft, gut recherchierte, einfühlsame Texte mit biografischem, historischen Hintergrund zu schreiben. Das kann einen bestimmten Zeitabschnitt oder eine bestimmte Personengruppe betreffen wie bei Ostende oder Träumer, oder auch eine Persönlichkeit, wie unlängst Thomas Mann in dem zauberhaften Mann vom Meer. Nun hat Volker Weidermann der bis heute meistgelesenen Dichterin Deutschlands Mascha Kaléko eine wunderbare biografische Annäherung gewidmet, Wenn ich eine Wolke wäre. Mascha Kaléko und die Reise ihres Lebens. Weiterlesen „Volker Weidermann – Wenn ich eine Wolke wäre“

Friedrich Ani – Schlupfwinkel

Friedrich Ani ist seit langem ein Großmeister des literarisch anspruchsvollen Kriminalromans. Die Serien um Tabor Süden, den eigenwilligen, schweigsamen Ermittler von Vermisstenfällen, um den ehemaligen Mönch Polonius Fischer, um Jakob Franck oder Jonas Vogel zeichnet immer eine gewisse Schwermut aus. Viel mehr als um den eigentlichen Kriminalfall geht es dem Autor stets um die Einsamkeit der Protagonisten, um ihr sich und der Welt Verlorengehen. Neben den Krimis hat Friedrich Ani aber auch andere Texte geschrieben, beispielsweise Kinderbücher, und nun legt er einen ersten autofiktionalen Text vor – Schlupfwinkel. Fantasien über eine Fremde Heimat. Und auch ihm ist eine tiefe Melancholie eigen. Weiterlesen „Friedrich Ani – Schlupfwinkel“

Delphine Minoui – Badjens

Schiraz, Iran, im Herbst 2022. Nach dem Tod der 22-jährigen, kurdischstämmigen Mahsa Amini, die wegen eines falsch getragenen Kopftuchs von der Sittenpolizei ins Koma geprügelt wurde, flammten im ganzen Land Unruhen auf, versammelten sich die Menschen zu riesigen Demonstrationen. Jin, Jiyan, Azadi – Frau, Leben, Freiheit – heißt die Parole seitdem. Obwohl das Mullah-Regime in aller Härte reagierte, schwelt der Aufstand bis heute. Die deutsch-iranische Autorin Jina Khayyer hat unlängst einen Roman zu dem Thema veröffentlicht, den ich auch sehr empfehlen kann: Im Herzen der Katze. Auch die Franko-Kanadierin Delphine Minoui, die als Auslandskorrespondentin für Le Figaro arbeitet, hat dazu einen Text verfasst, Badjens. Anders als Khayyer wählt sie die Innenperspektive einer jungen Iranerin. Weiterlesen „Delphine Minoui – Badjens“

Eva Schmidt – Neben Fremden

Quasi Neben Fremden lebt die pensionierte Krankenpflegerin Rosa im neuen Roman von Eva Schmidt, allein mit ihrem alten Hund Don. Dieser ist nach dem plötzlichen Tod ihres Lebensgefährten Fred das Wichtigste überhaupt in ihrem Leben. Freunde hat sie nach eigenen Angaben keine. Gelegentlich trifft sie sich mit ihrer ehemaligen Kollegin Margreth. Wirklich mögen tut sie die aber augenscheinlich nicht. Mit ihrem auch schon in die Jahre gekommenen Sohn Tom hat sie nahezu keinen Kontakt. Ab und zu kamen in der Vergangenheit mal kurze Briefe oder Postkarten von ihm an. Nun lebt er in Norwegen und ist dabei, eine eigene Familie zu gründen. Rosas eigene Mutter ist mittlerweile im Heim. Das Verhältnis zu ihr war, vorsichtig ausgedrückt, immer ein kompliziertes. Der Vater ist schon lange tot. Weiterlesen „Eva Schmidt – Neben Fremden“

Robert Prosser – Das geplünderte Nest

Ein Tiroler Bergdorf und die Millionenstadt Beirut, ein einarmiger Berliner Maler und ein junger libanesischer Graffiti-Künstler, ein in den Winterschlaf versinkender österreichischer Ferienort und die pulsierende Kunstszene in einem von Krisen und Gewalt geschüttelten Land, die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs und die Wirtschafts- und Finanzkrise im Libanon – der Tiroler Schriftsteller Robert Prosser verwebt dies alles kunstvoll, fesselnd und sprachmächtig zu seinem Roman Das geplünderte Nest. Weiterlesen „Robert Prosser – Das geplünderte Nest“

Nava Ebrahimi – Und Federn überall

Mit Und Federn überall stand die deutsch-iranische Schriftstellerin Nava Ebrahimi auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Für mich hätte sie es mit ihrem toll komponierten, vielschichtigen Roman unbedingt auch auf die Shortlist schaffen müssen. Kürzlich wurde ihr der Péter-Horváth-Literaturpreis zugesprochen, der Autorinnen und Autoren auszeichnet, die sich mit Themen des Wirtschafts- und Arbeitslebens befassen. Weiterlesen „Nava Ebrahimi – Und Federn überall“

Dagmar Leupold – Muttermale

Während es in den 1970er und 80er Jahren eine wahre Flut an autobiografischen oder autofiktionalen Vater-Büchern gab, die sich vor allem mit den Kriegsvätern, ihrer Schuld, ihren Traumata und dem daraus resultierenden Umgang mit ihren Kindern (oft Söhnen) beschäftigten, ist in den letzten Jahren das Mutter-Buch in den Vordergrund getreten. Es gibt sie natürlich immer noch, die Bücher über die Väter (oder Großväter), aber ihr Ton ist anders geworden, wenn nicht verzeihender, so doch mehr ums Verstehen bemüht. Die „Schuld“ dieser Väter ist sicher auch nicht so groß wie die vieler in den Nationalsozialismus verstrickter der vorherigen Generation. Nun rückt vermehrt die Auseinandersetzung mit der Mutter ins Zentrum verschiedener Romane. Meine Mutter von Bettina Flitner und Zwischen uns liegt August von Fikri Anil Altintas, Onigiri von Yuko Kuhn und Wiederholung von Vigdis Hjorth gehörten zu meinen aktuellen Lektüren. Muttermale von Dagmar Leupold, nominiert für den Bayerischen Buchpreis 2025, schließt sich da an. Weiterlesen „Dagmar Leupold – Muttermale“

Bettina Flitner – Meine Mutter

Die Fotografin Bettina Flitner veröffentlichte 2022 den autofiktionalen Roman Meine Schwester über ihre Schwester Susanne, die 2017 Suizid beging, nun folgt Meine Mutter. Aus einer akuten Trauer heraus beschäftigte Flitner sich intensiv mit ihrer Familiengeschichte.

„Ich hatte ein Buch über meine Schwester geschrieben. Und jetzt taucht hinter ihr meine Mutter auf.“

Denn auch ihre Mutter hatte sich, fast genau 33 Jahre zuvor, 1984 das Leben genommen. Und war damit nicht die Erste in der Familie. Bereits der Urgroßvater Richard erschoss 1931 seine todkranke Frau Elfriede und sich selbst. Ihm folgten noch weitere Familienmitglieder. Epigenetik? Oder nur eine besonders hart vom Schicksal verfolgte Familie? Ganz sicher wurde die Familie durch diese Suizide geprägt. Weiterlesen „Bettina Flitner – Meine Mutter“

Jina Khayyer – Im Herzen der Katze

Als im September 2022 die 22-jährige kurdische Iranerin Jina Mahsa Amini starb, nachdem sie von der Sittenpolizei wegen einer angeblich zu nachlässig getragenen Kopfbedeckung ins Koma geprügelt wurde, brachen die bislang größten und sehr breit gestreuten Proteste gegen das Mullah-Regime aus. Unter dem Motto „Jin, Jiyan, Azadi“ (auf Persisch „Zan, Zendegi, Āzādi“, dt. Frau, Leben, Freiheit) gingen die unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten auf die Straße, um gegen die Repressionen der Regierung zu protestieren. Diese reagierte wiederum mit massiver stattlicher Gewalt, konnte die Unruhen aber nur schwer und bis heute nicht ganz unterdrücken. Die Ich-Erzählerin im Debütroman Im Herzen der Katze der Journalistin und Malerin Jina Khayyer erfuhr von den Ereignissen zunächst über ihren Instagram-Feed. Aber auch noch im Iran lebende Familienmitglieder berichteten ihr nahezu live. Weiterlesen „Jina Khayyer – Im Herzen der Katze“

Volker Kutscher Kat Menschik – Westend

Volker Kutschers grandiose Krimiserie um den Berliner Kommissar Gereon Rath, angesiedelt im Berlin der Jahre 1929 bis 1938, ist im vergangenen Jahr zu Ende gegangen. Zum Abschied „schenkt“ uns der Autor ein ganz besonderes kleines Büchlein. Schon zweimal hat er mit der Illustratorin Kat Menschik ein schmales, wunderbar bebildertes Ergänzungsbändchen zur Serie geschaffen. Moabit war eine Art Prequel, das die Geschichte von Charlotte Ritter, spätere Frau Rath erzählte. In Mitte wurden ergänzende Begebenheiten rund um die Olympiade 1936 geschildert, besonders die Liebesgeschichte von Adoptivsohn Fritze zur Jüdin Hannah stand dort im Mittelpunkt. Und in Westend nun erzählt uns Volker Kutscher, was mit den Hauptprotagonist:innen der Rath-Romane nach 1938 geschehen ist und Kat Menschik illustriert gewohnt stimmungsvoll. Weiterlesen „Volker Kutscher Kat Menschik – Westend“