Johanna I. von Kastilien, 1479 in Toledo als drittes Kind der „Katholischen Könige“ Isabella und Ferdinand II. geboren, als 17jährige aus machtpolitischen Gründen mit dem einzigen Sohn des späteren römisch-deutschen Kaisers Maximilian, dem Erzherzog von Österreich und Herzog von Burgund Philipp dem Schönen verheiratet und mit 28 Jahren bereits Mutter von sechs Kindern, erhielt schon recht früh ihren Beinamen „die Wahnsinnige“. Bis zu ihrem Tod 1555 war sie nur sehr kurze Zeit gemäß ihrem Titel „Königin von Kastilien und Aragon und den angegliederten Gebieten“, der ihr nach dem Tod ihrer Mutter 1504 zustand, eine der mächtigsten Regentinnen der damaligen Zeit. Vielmehr wurde sie zunächst von ihrer Mutter, dann von Ehemann, Vater und später Sohn verdrängt, festgesetzt und der Regierungsunfähigkeit bezichtigt. Ihre berührende Geschichte erzählt Alexa Hennig von Lange in Die Wahnsinnige.
Machtlotto
Dass Kinder, besonders Töchter in früheren Zeiten rücksichtslos als dynastische Spielsteinchen im großen Machtlotto eingesetzt wurden, ist natürlich bekannt. Durch taktische Heiraten, die richtigen Thronerben und wechselnde Allianzen wurden Reiche gegründet, vergrößert, ermächtigt. Durch die Verbindung der Infantin von Kastilien und Léon mit dem künftigen König von Aragon, Ferdinand, gehörte ganz Spanien zu ihrem Machtbereich. Über die strenge Herrschaft der „Katholischen Könige“, die die „Reconquista“, die Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Mauren vollendeten und durch die Unterstützung von Christoph Columbus den Grundstein zur Kolonisierung der „Neuen Welt“ legten, die die Inquisition wüten ließen und mit großer Brutalität gegen jeden „Andersgläubigen“ vorgingen, ist einiges bekannt.
Aber auch ihren Kindern gegenüber verhielten sie sich äußerst kalt, machtbewusst und skrupellos. Nachdem sowohl ihr Bruder als auch die ältere Schwester Isabella und deren zweijähriger Sohn gestorben waren, war Johanna plötzlich Infantin. Durch einen Mangel an inniger Religiosität – sie lehnte beispielsweise die Beichte ab – und einer Missachtung des strengen Hofzeremoniells war sie nicht nur ihrer Mutter, sondern auch der Geistlichkeit ein Ärgernis. Schon vor ihrem Ableben zweifelte Isabella die Regierungsfähigkeit ihrer Tochter an, beklagte ihre mangelnde geistige Stabilität. Eine Strategie, derer sich später auch ihr Vater, ihr Mann Philipp der Schöne und ihr Sohn Carlos bedienen würden.
Wahnsinn oder Rebellion?
In Quellen und wissenschaftlichen Texten wird Johanna als sehr ernsthaft, verschlossen, sensibel und intelligent beschrieben. Und auch Alexa Hennig von Lange charakterisiert sie in Die Wahnsinnige als kluge und aufgeschlossene, vor allem aber auch leidenschaftliche junge Frau. Eine Frau, die sich nicht mit der Ehe als Staatsräson abfinden will, nicht die unzähligen Affären ihres Mannes tolerieren mag, seine Liebe ersehnt, ihren Kindern nah sein möchte. Und eine Frau, die gegen die brutale Herrschaft ihrer Eltern rebelliert, gegen die Ketzerverbrennungen, die Inquisition, die Vernichtung der indigenen Bevölkerung in den eroberten Gebieten in Übersee. Und die deshalb von den Herrschenden, besonders der Geistlichkeit, argwöhnisch beobachtet wird.
Nach dem Tod ihrer Mutter Isabella steht sie der Machtgier der männlichen Mitglieder ihrer Familie im Weg, ihrem Vater Ferdinand, der in ihrer Abwesenheit Regent bleibt, ihrem Mann, der selbst als König die Macht ausüben will und später ihrem ältesten Sohn Carlos. Alle werden ihren Ruf als „Wahnsinnige“ betreiben. Am Ende wird Johanna ab 1509 sechsundvierzig Jahre lang, bis zu ihrem Tod 1555 im Kloster von Tordesillas festgesetzt bleiben.
Verhinderte Regentschaft
Alexa Hennig von Lange erzählt von Johanna und diesen Vorgängen, indem sie sich entscheidende Jahre herauspickt, und zwar 1504 – Johanna wird nach der Geburt ihres vierten Kindes Ferdinand in Spanien zurückgehalten während ihr Mann Philipp schon längere Zeit in Brüssel weilt – bis 1506 – Philipp und Johanna haben gerade die Regentschaft in Spanien übernommen, aber Philipp stirbt kurz drauf völlig überraschend. In Rückblenden erfährt man über die Kindheit Johannas und ihre Begegnung mit ihrem Mann, die Ereignisse nach 1506 werden nur kurz in einem vorangestellten Brief Johannas skizziert.
Dieses ausschnitthafte Erzählen macht die Geschichte dicht und spannend, Alexa Hennig von Lange bleibt nah an ihrer Protagonistin dran. Trotzdem lässt sie die Wahrheit über den Geisteszustand von Johanna – Erschöpfung, Überforderung, Hysterie, Impulsivität, Depression oder vererbter Wahn? bis heute sind die Experten uneins – angenehm in der Schwebe. Leider erliegt sie aber der Versuchung vieler nicht wirklich wissenschaftlich arbeitender Autoren von historischen Romanen, dass sie Gedanken- und Seelenleben ihrer Protagonistin von heute aus entwickelt. Nichts davon scheint mir für eine Frau aus dem 16. Jahrhundert plausibel. Das raubt dem Roman natürlich ein ganzes Stück geschichtliche Glaubwürdigkeit, öffnet dafür aber die Debatte über das Fortbestehen männlicher Unterdrückungsmechanismen und die Entwicklung weiblicher Identität.
Wem eine gut erzählte Geschichte mit engagierten Bezügen auf unser heutiges Leben wichtiger ist als historische Genauigkeit, wird an dem Buch viel Freude haben. Auf jeden Fall verdankt man ihm einen Blick auf eine interessante Frauengestalt der Geschichte, über die man noch einiges in Erfahrung bringen kann.
Hauke hat das Buch auf dem Leseschatz auch besprochen
Beitragsbild: Convento de Santa Clara en Tordesillas by Jose Luis Cernadas Iglesias (CC BY 2.0) via Flickr
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Alexa Hennig von Lange – Die Wahnsinnige
Dumont August 2020, gebunden, 208 Seiten, € 20,00