Verena Boos – Die Taucherin

Bereits in ihrem Debütroman Blutorangen (2015) waren Spanien, Valencia und die dunklen Jahre der franquistischen Diktatur ihre Themen. Nach einem Ausflug in den Schwarzwald mit dem Roman Kirchberg, kehrt Verena Boos in ihrem neuen Buch Die Taucherin wieder zu diesen zurück. Die geborene Rottweilerin lässt aber auch hier ihre Baden-Württembergische Heimat nicht ganz außen vor. So stammt die Hauptprotagonistin Amalia, durch deren Sicht wir die Geschichte erleben, von dort und befindet sich zu Beginn beim Klettern im Schwarzwald. Eine Rezension.

Um den Kopf frei zu bekommen – ihre Ehe ist gerade gescheitert, der Kontakt zu ihrer besten Freundin Marina ist abgebrochen und das Verhältnis zu ihrer Mutter mehr als angespannt, ein erhofftes Jobangebot im letzten Moment geplatzt – ist sie selbstgesichert und ohne Partner am Berg, als sie ein Handyanruf überrascht und fast in eine lebensgefährliche Situation bringt. Der anonyme Anrufer teilt ihr lediglich mit, dass er das Smartphone ihrer in Valencia lebenden Freundin Marina gefunden hat. Kontaktversuche zu ihr scheitern, Marina scheint verschwunden und Amalia weiß, dass da etwas nicht stimmt und fliegt nach Valencia.

Mit dem Vater in Valencia

Sie selbst hat dort die wohl schönste Zeit ihrer Kindheit verbracht, als der Vater sie dorthin zu einem Forschungsauftrag mitgenommen hatte und sie in Marinas Familie herzlich aufgenommen wurden. Amalia selbst hatte gehofft, eine feste Forschungsstelle in Valencia zu erhalten, Thema: Der heilige Gral in der dortigen Kathedrale. Alles schien perfekt und abgemacht bis dann die Absage kam. Nach etlichen befristeten Stellen, gescheiterter Promotion, persönlichen Krisen und der derzeitigen Weltlage hatte sie sich dort eigentlich ein wenig Ruhe und Sicherheit erhofft.

Marina, die Taucherin, die im Oceanografic in Valencia arbeitet, lebt seit einiger Zeit in El Cabanyal, dem einst sehr armen, etwas heruntergekommenen Viertel direkt am Meer, das die Stadtentwickler einst zwecks besserem Zugang zur Strandlage abreißen und mit Zugangsstraßen pflastern wollten. Eine Bürgerinitiative, in der auch Marina engagiert mitwirkte, hat das gerade noch mal verhindert. Immobilienentwickler wie Marinas Bruder Felipe verfolgen immer noch Abrisspläne. Und die Gentrifizierung ist schon im vollen Gange. Eine der alten Einwohnerinnen, Amparo, teilt mit Marina ihr Haus, und lässt Amalia in deren Wohnung. Hier findet diese aber kaum Spuren, die ihr weiterhelfen. Auch Amparo hat von Marina seit einiger Zeit nichts mehr gehört.

Amalia trifft sich mit dem „Finder“ des Handys, ahnt aber, dass dieser nicht die Wahrheit sagt. Eine wichtige Rolle spielt auch die Mutter von Marina, die sich überraschend abweisend, wenn nicht gar feindselig zeigt. Auch Amalias Mutter mauert, der Vater versinkt immer mehr in der Demenz. Wie verwebt sind die Familien von Marina und Amalia? Was verbindet sie? Nach und nach zeigt sich ein Netz von Lügen und Niedertracht, das Amalia tief erschüttert.

Joaquin-Sorolla - Strandspaiergang
Joaquín Sorolla, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Vorsicht Spoiler

Ich möchte jetzt ein klein wenig spoilern. Wer sich also vom Handlungsfortgang überraschen lassen möchte, sollte hier aufhören zu lesen. Der Roman von Verena Boos ist aber so spannend und temporeich geschrieben, dass selbst das frühe Ahnen, in welche Richtung sich alles entwickeln wird – das bei mir vielleicht deshalb so bald kam, weil ich ihr Debüt Blutorangen so beeindruckend fand  und ich mich nach der Lektüre in die spanische Geschichte vertieft habe – das Lesevergnügen nicht mindert.

Ich habe durch Blutorangen in zuvor nicht gekannter Deutlichkeit über die Gräuel der franquistischen Diktatur erfahren, über die Tausenden von in Straßengräben verscharrten, ermordeten Regimekritiker. Und war sehr betroffen von der  Weigerung des spanischen Establishments, diese Zeit unter Diktator Franco aufzuarbeiten, bis heute, trotz Protesten aus der Bevölkerung. Vorgeschoben wird stets das Amnestiegesetz von 1977 und dass man die Gesellschaft nicht spalten wolle. So können die Verbrechen ungesühnt bleiben und die Täter ihr Leben in Ruhe leben.

Als 2008 der mutige spanische Richter Baltasar Garzon trotzdem Ermittlungen wegen der Verbrechen der Franco-Diktatur einleitete, mit der überzeugenden Argumentation, dass es sich angesichts der gefundenen Massengräber um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handele, die eben nicht verjähren, wurde dieser selbst angeklagt und suspendiert. Das franquistische Regime bot nach dem Krieg Nazis Fluchtmöglichkeiten zu Hauf an. Und versündigte sich in einer unheiligen Allianz mit der katholischen Kirche an unzähligen Kindern und deren Müttern und Vätern.

Ein unheiliges Netzwerk

Ein Netzwerk von Gynäkologen, Priestern, Beamten und Richtern führten zehntausende, Quellen sprechen von bis zu 300.000 Zwangsadoptionen durch. Zunächst von Kindern von Regimekritiker:innen, Republikaner:innen, ins Exil gegangenen oder vor den Nazis nach Spanien geflüchteten Eltern, die an regimenahe Elternpaare vermittelt wurden. Später wurden Kinder regelrecht verkauft, indem den Eltern, meist mittel- und einflusslos, der Tod der Kinder bei der Geburt vorgetäuscht wurde. Matthias Jügler hat jüngst in seinem Roman Maifliegenzeit eine ähnliche Praxis in der DDR geschildert. Bis zu 300.000 dieser Niños robados soll es geben – unvorstellbar. Und dieses Verbrechen verarbeitet Verena Boos in Die Taucherin meisterhaft.

Bei all diesen traurigen, bedrückenden Themen könnte der Roman düster und melancholisch sein. Stattdessen wehen durch ihn ein wenig Mittelmeerbrise, das Flair von Valencia und das heitere Licht der mehrfach erwähnten Bilder des valencianischen Impressionisten Joaquin Sorella. Ein wirklich schönes, spannendes, erkenntnisreiches Buch. Der angedeuteten Liebesgeschichte zu einem Jugendfreund Amalias wird zum Glück nicht allzu viel Raum gegeben (das war in den vergangenen zwei Romanen für mich immer ein wenig ein Schwachpunkt). Hier stimmt einfach alles.

 

Beitragsbild: User Leonard G. on en.wikipedia, CC SA 1.0, via Wikimedia Commons

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Verena Boos – Die Taucherin
Kanon Verlag Juli 2024, 288 Seiten, Gebunden, € 24,00

 

 

 

 

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