Schon wieder ist ein Monat des neuen Jahres vergangen. Die Neuerscheinungen des Frühjahrs drängen auf die Lesestapel, letzte Must-Reads des vergangenen Jahres liegen noch bereit, etliche bisher nicht gelesene Bücher der vergangenen Jahre bitten um Aufmerksamkeit. Alles wie immer. Bevor ich mich aber meiner Lektüre im Januar dieses gerade gestateten Jahres 2025 widmen möchte, noch ein paar gute Vorsätze.
Ja, ich weiß. Gute Vorsätze haben die herausstechende Eigenschaft, meist nicht eingehalten zu werden. Und in der Regel fasse ich auch keine. Ich habe aber das Gefühl, als müsste sich hier auf dem Blog etwas ändern. Ein neues Theme etwa, vielleicht wieder mehr thematisch orientierte Beiträge, vor allem aber wieder mehr Interaktion mit den vielen tollen Blogs, denen ich folge und mit den Leser:innen meines Blogs. Der Blog ist immer noch das Herzstücks meiner Beschäftigung mit Literatur, meines Leselebens. Und doch sind viele Aktivitäten zu Instagram ausgewandert. Schneller, visueller und vor allem mit deutlich mehr Feedback, aber auch in weiten Teilen oberflächlicher und oft so effektheischend ist diese Plattform, die ich sehr lieben gelernt habe. Wie viele Buchmenschen habe ich über Instagram kennengelernt, wie viele tolle Erlebnisse hat mir der Kontakt und der Austausch dort gebracht.
Ich möchte aber gern wieder hier auf dem Blog präsenter sein, mehr kommentieren, noch mehr Inhalte liefern. Mal schauen, wie ich in Zukunft dafür Zeit finden kann. Meinen Facebook-Kanal habe ich auch ziemlich vernachlässigt, auch dort wäre ich gern wieder häufiger. Mal sehen.
Was bleibt, sind meine unabhängigen, sorgfältigen Buchbesprechungen, die euch hoffentlich ein wenig Orientierung geben im oft so unübersichtlichen Markt der Literaturneuerscheinungen. Und natürlich meine Liebe und Leidenschaft für gute Bücher. In diesem Sinn freue ich mich, wenn ihr mich auch dieses Lesejahr 2025 hier begleiten mögt. Ich wünsche euch alles Liebe und Gute!
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Moshe Zimmermann – Niemals Frieden? Israel am Scheideweg
Niemals Frieden? wurde nach der Katastrophe des 7. Oktober 2023, als bei dem brutalen Terrorangriff der Hamas im Süden Israels etwa 1.200 Menschen getötet und 250 Geiseln entführt, gefoltert und vergewaltigt wurden, von denen heute viele nicht mehr leben, geschrieben. Auch wenn nun glücklicherweise wieder etwas Bewegung in die Verhandlungen zwischen Israel und der Terrororganisation gekommen ist und es wieder zu Geisel-/Gefangenenaustauschen kommt, ist der Krieg noch lange nicht beendet und geistern neuerdings merkwürdige Ideen zur Zukunft des Gaza-Streifens durch die Medien. Der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist noch lange nicht beigelegt. Die Wiederbelebung eines jüdischen Urtraumas, gegen das der Staat Israel einst gegründet wurde, hat die Menschen tief erschüttert. Die Menschen in Gaza leiden zutiefst. Der liberale Historiker Moshe Zimmermann ist eine Stimme, die sich immer wieder für eine Zwei-Staaten-Lösung starkgemacht hat und auf eine nachhaltige Lösung drängt.
In seinem klugen und hellsichtigen Buch beleuchtet er die Geschichte des Konflikts, die Faktoren, die ihn immer wieder anschüren und mögliche Lösungsansätze. Und das auf eine sowohl universelle als auch ganz persönliche Weise. Gewidmet hat er es seinen Enkeln. Und verhehlt auch nicht den Pessimismus, den er angesichts der aktuellen Lage oft empfindet. Sieht er doch das Lebenswerk seiner Generation liberaler Israelis, die für Frieden in Nahost gekämpft haben, akut gefährdet.
„Denk ich an meine Enkel in der Nacht…“
stellt er als Motto voran. Es ist Heinrich Heine, den er als Mottogeber wählt. Sein Buch ist für ein deutsches Publikum auf Deutsch geschrieben – Zimmermann war Leiter des Zentrums für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und ist auch stark europäisch und humanistisch geprägt. Er benennt klar die Hamas als die Schuldigen der aktuellen Katastrophe, beklagt aber auch ein „Versagen des Zionismus“, jenes Emanzipationsprojekts Theodor Herzls, der die Palästinafrage ignoriert habe, klagt sowohl die militante Siedlerbewegung und die Anhänger eines „Groß-Israels“ an, den Konflikt stets geschürt zu haben, als auch die rechte Regierung Netanjahus, das israelische Volk in Geiselhaft einer „Kakistrokratie“ – einer Herrschaft der Schlechtesten – zu nehmen. Das Buch ist auch eine Anklageschrift gegen die israelische Politik der letzten Jahrzehnte. Die Abkehr von der Siedlungspolitik, aber auch vom Islamismus, Neuordnung der Gaza-Politik und Hinwendung zu einer Zwei-Staaten-Lösung mit internationaler Unterstützung – das sind die Lösungsansätze, die er sieht. Seine Frage Niemals Frieden? beantwortet er nur vorsichtig optimistisch. Aber eine andere Wahl haben weder Israel noch Palästina.
Cigdem Akyol – Geliebte Mutter
Meryem und ihre Mutter Aynur haben ein schwieriges Verhältnis. Aynur stammt aus einer gutsituierten, gebildeten alevitischen Familie in Istanbul, wird nach dem Tod ihres Vaters aber mit einem ungebildeten, sunnitischen Mann aus einem ostanatolischen Dorf zwangsverheiratet und folgt ihm nach Deutschland. Eine unglückliche, gewaltvolle Ehe im trostlosen Herne folgt, bald kommen zwei Kinder, Meryem und Ada. Aynur wird hart, auch zu ihren Kindern. Mit Zeitsprüngen und wechselnden Perspektiven arbeitend, gelingt der Sachbuchautorin und Journalistin Çiğdem Akyol mit Geliebte Mutter ein berührender und sehr relevanter Debütroman mit komplexen, ambivalenten Figuren, der gut geschrieben und aufgebaut ist, so dass man ihn äußerst gerne liest. Sie nähert sich darin den Konflikten zwischen den Generationen in Migrantenfamilien und zeichnet darin ein so schonungsloses wie zärtliches Bild der Eltern.
Daniel Gräfe – Wir waren Kometen
Als Lukas Luba das erste Mal begegnet, ist diese schon reichlich desillusioniert. Als im Dezember 1989 in Rumänien die Diktatur des Nicolae Ceaușescu endet, packt die sehr junge Frau ihre Koffer und verlässt ihre ungliebte Heimat Hals über Kopf gen Westen. In Berlin lässt Daniel Gräfe seine beiden Protagonist:innen das erste Mal aufeinandertreffen.
Die beiden werden ein Paar, aber als Luba das gemeinsame Leben in Italien plant und Lukas zeitgleich ein Angebot der Werbeagentur bekommt, in die Niederlassung in Stuttgart zu wechseln, müssen sie sich entscheiden. Es kommt zur Trennung.
Aber Lukas kann Luba nicht vergessen und fährt ihr irgendwann hinterher. Es folgt ein Roadtrip nach Rumänien mit die stimmungsvollen Beschreibungen links und rechts des Wegrandes und Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen.
Monika Zeiner – Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre
Ein erstes Lesehighlights war für mich Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre von Monika Zeiner. Ihr „Jahrhundertroman“ – die Geschichte der fränkischen Unternehmerfamilie Finck reicht vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart – spielt subtil auf den Jubilar des Jahres Thomas Mann und seine Buddenbrooks, aber auch auf den Zauberberg an, erzählt von preußischer Pflicht und deutschem Mitläufertum, von Schuld und Verdrängung. Und das mit einem so wunderbaren Witz, dass das Lesen zum Vergnügen wird.
J. Courtney Sullivan – Die Frauen von Maine
Nach einer persönlichen Katastrophe kehrt Jane in ihr Elternhaus in der kleinen Küstenstadt Awadapquit zurück, um mit ihrer Schwester das Haus ihrer kürzlich verstorbenen Mutter zu verkaufen. Jane, die eher introvertiert und sehr diszipliniert scheint, hat ein großes Problem. Ein Alkoholproblem. Schon ihre Mutter war Alkoholikerin, die Schwester Holly trinkt und auch wenn Jane denkt, sie hätte die Sache im Griff, ist ihr unlängst ein schwerer Fauxpas geschehen, der sie die geliebte Arbeit in der Schlesinger Bibliothek in Harvard und vermutlich auch die Ehe gekostet hat.
Begegnungen im Ort, Erinnerungen und ihre Arbeit an der Geschichte der Frauen in Amerika führen sie zu vergangenen Geschichten, zu einer jungen Indigenen ins 17. Jahrhundert, zur Kaptänswitwe Helen im 19. Jahrhundert und in die 1970er Jahre. Im Zentrum steht oft das alte Haus auf den Klippen. In den Geschichten geht es um Imperialismus und Kolonialismus, um die Unterdrückung indigener Völker und den Raub ihrer Kulturgüter, um Feminismus und Frauenleben, um Alkoholismus und seine Folgen auf Familien, um Verlust und weibliche Resilienz, um Freundschaft und Solidarität. Für meinen Geschmack ein wenig zuviel Spiritismus und die Geschichten weden icht wirklich organisch verbunden. Trotzdem schön zu lesen, aber es gibt meiner Meinung nach bessere Bücher von Sullivan, vor allem Sommer in Maine und All die Jahre sind und bleiben absolute Lieblingsbücher von mir.
Peter Kurzeck – Frankfurt Paris Frankfurt
Als Peter Kurzeck im November 2013 verstarb, war gerade mal der fünfte von geplanten zwölf Teilen seiner großen autobiografischen Romanreihe Das alte Jahrhundert erschienen. Vorabend heißt der dicke Wälzer und Kurzeck stand damit 2011 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Dieser über 1000seitige Roman erzählt in einer großen Rückblende vom mittelhessischen Staufenberg der 1950er und 60er Jahre, in dem die Familie Kurzeck nach ihrer Vertreibung aus dem Sudetenland wohnte. Ausgangspunkt für alle Bände sind aber die Jahre 1983 und 1984, kurz vor bzw. nach der Trennung von Freundin Sibylle, der Mutter seiner Tochter Carina. Von dort schweift die Erinnerung aber immer wieder auch nach Südfrankreich, wo Kurzeck lange Zeit in Uzès lebte, und im jüngst erschienenen Band nach Paris, wohin sie (u.a.) im Herbst 1977 reisten. Hintergrund ist hier unweigerlich der „deutsche Herbst“, da Kurzeck selbst immer wieder ins Fadenkreuz der Terroristenfahndung geriet und Freunde von ihm direkt involviert waren.
Frankfurt Paris Frankfurt ist wie die letzten drei erschienen Bände aus dem Nachlass von Rudi Deuble herausgegeben worden und sollte nach Kurzecks Plänen Band 10 bilden. Durch akribische Vorarbeiten des Autors war dies möglich. Zeitlich ist er als erster der Reihe entstanden und bildet nun den Abschluss des Projekts. Peter Kurzecks Stil ist ein ganz besonderer, eigenwilliger, stark dem mündlichen Vortrag angenähert. Über seine mündlich erzählten Hörbücher habe ich Kurzeck auch zunächst kennen und lieben gelernt (bei Spotify stehen zum Beispiel Ein Sommer, der bleibt oder Da fährt mein Zug zur Verfügung). Mit kurzen sehr einfachen, zum Teil auch nur unvollständigen Sätzen, oft ohne Verb oder Subjekt oder mit einer bloßen Aneinanderreihung von Substantiven entsteht ein ganz eigener, typischer „Kurzeck“-Sound.
Zu erwähnen ist vielleicht, dass nicht nur Kurzecks Werk Das alte Jahrhundert betitelt ist, sondern dass der Autor auch einer des alten Jahrhunderts ist. Er benutzt völlig unbeschwert (und ohne diskriminierende Absicht) die Z- und N-Wörter, die heute nicht mehr verwendet werden (sollten). Daran dürfen sich Leser:innen nicht stoßen, wenn sie Freude an der Lektüre haben wollen.
Volker Kutscher – Rath
Die historische Krimiserie um Gereon Rath ist mit dem zehnten und letzten Band nun Geschichte. Eine absolute Erfolgsgeschichte. Die Idee ihres Verfassers Volker Kutscher, anhand von Krimihandlungen die Entwicklung Deutschlands von der Weimarer Republik (1929) bis zur Reichspogromnacht (1938) zu illustrieren war genial, die Umsetzung absolut gelungen und zur Zeit ist das Ganze so aktuell wie nie zuvor. Die langsame Zersetzung einer (wenn auch schwachen) Demokratie zu einer menschenverachtenden, faschistischen Diktatur sollte Mahnung und Erinnerung sein. Dass die Serie einfach auch gut geschrieben, äußerst stimmungsvoll und unterhaltsam ist, kommt hinzu. Mit der aus ihr entwickelten Fernsehserie „Babylon Berlin“ hat sie (zum Glück) wenig gemeinsam. Intelligent und gut recherchiert ist sie und ein wenig traurig ist das Leserinnenherz nun schon, dass die Zeit mit ihr nun vorbei ist.
Der Autor hat verraten, dass noch ein kleines von Kat Menschik illustriertes Bändchen erscheinen wird und zudem eine Kurzgeschichtensammlung aus dem Rath-Kosmos. Ich bin gespannt. Aber nun gilt es von Berlin Abschied zu nehmen (fällt angesichts der nun folgenden Jahren in der Reichshauptstadt nicht so wirklich schwer) und von Gereon und Charlotte Rath, von Fritze Thormann und Wilhelm Böhm und all den anderen Charakteren, die Kutscher seit 2007 geschrieben hat. Das Ende von Rath ist so offen, dass es auf jeden Fall eine Fortsetzung geben könnte. Die hat Volker Kutscher aber ausdrücklich ausgeschlossen. So bleibt den Leser:innen nur, sich den Fortgang selbst auszudenken. Und nochmal mit dem Nassen Fisch von vorne zu beginnen). Tipp: Die älteren Rath-Krimis sind alle auf Spotify verfügbar.
Hanne Ørstavik – bleib bei mir
Die zarten, tastenden, autobiografisch gefärbten Romane von Hanne Ørstavik habe ich seit dem Gastland-Auftritt Norwegens zur Frankfurter Buchmesse 2019 lieben gelernt, so z.B. Ti amo oder Roman. Milano. In ihrem neuesten schmalen Buch erzählt die Erzählerin über die Zeit nach dem Tod ihres Mannes, den wir in den vorigen Romanen miterlebten. Sie hat eine neue Beziehng zum Handwerker M, der deutlich jünger ist und aus völlig anderem Milieu als sie stammt. Die Beziehung ist problematisch.
Ørstavik erzählt sie in der Ich-Form und als Roman-im-Roman mit einem Alter-Ego, der Schriftstellerin Judith. Sie scheint die zeitweilige Distanzierung zu brauchen und erzählt so auch von ihrem Schreibprozess. Wieder ist die Angst, die von der Kindheit und der schwierigen Beziehung zu den Eltern herrührt, den Gewalterfahrungen und dem steten Gefühl, nicht zu genügen, nicht gesehen zu werden präsent. Auch und vor allem im Verhältnis zu M., das intensiv, aber auch gewaltvoll und unsicher ist. Die Offenheit mit der Ørstavik davon erzählt ist beeindruckend und auch ein wenig verstörend. Die Erzählerin unterwirft sich der Beziehung zu M. und macht sich unnötig klein – wie sie es aus ihrer Kindheit gegenüber dem Vater gewohnt ist. Auch von Problemen mit Alkohol ist die Rede. Ich konnte bei diesem Buch nicht ganz so vorbehaltlos eintauchen wie in die vergangenen. Eine Leseempfehlung ist es trotzdem.
Habe ich wieder gerne gelesen deine Monatsübersicht – sehr interessante, vielfältige Auswahl. Ich kann auf deinem Blog im Übrigen nicht „liken“ – der Part deiner Seite bleibt für mich unentwegt im „wird gerade geladen“-Modus. Wollte ich dir nur mal schreiben, vielleicht geht es anderen auch so.
Liebe Grüße, Sabine
Danke, liebe Sabine. Das freut mich sehr. Ich lese deine Woche und die anderen Beiträge auch immer gern. Ich bin dran, meine Website neu aufzusetzen, mein Theme ist – so sehr es mir gefällt – leider veraltet. Der Hinweis, dass du und wohl auch andere nicht mehr liken könnt, bestärkt mich darin. Die Likes haben tatsächlich seit einiger Zeit sehr abgenommen, das stimmt. Ich muss mir einfach mal Zeit freischaufeln, um das zu bearbeiten. (Wenn das so einfach wäre ;)).
Danke dir auf jeden Fall fürs Lesen, Liken und diesen wirklich hilfreichen Kommentar.
Liebe Grüße,
Petra