Hannes Köhler – Zehn Bilder einer Liebe

Einen zeitgemäßen, authentischen Liebesroman, ohne aufgeblasene Gefühle, langweiliges Gefühlswirrwarr oder Überproblematisierungen und ohne Kitsch und misslungene Sexszenen – gibt es das überhaupt? Kaum, dachte ich und meide deshalb dieses Genre mittlerweile weitgehend. Hannes Köhler hat mit Zehn Bilder einer Liebe tatsächlich die Quadratur des Kreises geschafft und einen Roman über eine Liebe geschrieben, den ich nicht nur äußerst gern gelesen habe, sondern der mir auch im Nachgang noch sehr nah ist.

Zehn Bilder, zehn Szenen und Momentaufnahmen der Liebe von Luisa und David, die im Jahr 2023 und gleich mit einem „Fehlschlag“ beginnen. Dieser findet in einer Kinderwunschpraxis statt, und was da fehlgeschlagen ist, ist Davids Samenspende. Luisa hat sich – eher widerwillig – sie hat bereits aus einer früheren Beziehung Tochter Ronya – einer Fertilitätsbehandlung und Insemination unterzogen. Ein teures und nervenzehrendes Verfahren. Aber David wünscht sich, obwohl er die siebenjährige Ronya mittlerweile liebt wie eine eigene Tochter und die Beziehung zu ihr eng und liebevoll ist, ein weiteres Kind. Sein Traum von einer Familie ist der einer „Bande“ und resultiert vielleicht aus seinem Einzelkind-Dasein. Er sehnt sich nach einer festen, sicheren, gerne auch chaotisch-trubeligen Gemeinschaft. Eine Sehnsucht, die die eigentlich glückliche und harmonische Patchworkfamilie vor eine Zerreißprobe stellt.

Unerfüllter Kinderwunsch

Der zunehmende Druck des unerfüllten Kinderwunsches addiert sich zu den Herausforderungen des Alltags, dem Leben als Familie, der Berufstätigkeit beider. Luisa ist in ihrem Job als Küchenchefin stark eingebunden, David hat nach der Aufgabe seines Jura-Studiums mit Freunden eine Bootswerkstatt übernommen, restauriert nun Schiffe und hat offensichtlich seinen Traumberuf gefunden. Es läuft gut bei den beiden, wäre da nicht Davids unbändiger Sehnsucht nach einem weiteren Kind.

Von dieser Gegenwartebene schweifen die „Bilder“ immer wieder in die Vergangenheit, zunächst zu Luisa und Davids Kennenlernen 2012 auf der griechischen Insel Milos. Die Begegnung in einer Strandbar blieb damals folgenlos, zu weit waren die beiden voneinander entfernt. David war 19 und verbrachte einen letzten Urlaub mit seinen Eltern, Luisa war 30 und bereits verheiratet mit Holger.

Sieben Jahre später treffen sich Luisa und David zufällig in Berlin wieder. Sie hat sich zwischenzeitlich von Holger getrennt, hat keine große Lust auf eine neue feste Beziehung. Zu enttäuscht ist sie von Holgers mangelndem Einsatz als Vater. Dabei hatte er sie dazu überredet, dieses Kind, Ronya, zu bekommen. David muss erst allmählich ihre Bindungsangst überwinden, schafft das, auch durch seine große Nähe zu Ronya.

Zehn Szenen einer Beziehung

Hannes Köhler wählt für seine zehn Bilder einer Liebe neben dem Kennenlernen und der Wiederbegegnung den Moment des Zusammenziehens, den Unfalltod von Davids Eltern und die Corona-Pandemie, in der Luisas Mutter Marta verstirbt. Dazwischen wird immer wieder in die Gegenwartebene des Jahres 2023 geblendet. Sowohl Luisa als auch David erhalten für jedes Bild eine eigene personale Perspektive. Diese Perspektiven verschieben sich manchmal ein wenig gegeneinander, wiederholen sich aber nicht. Umklammert werden sie von Szenen eines erneuten gemeinsamen Aufenthalts auf Milos. Das klingt nach einer komplizierten Konstruktion, liest sich aber völlig organisch und schlüssig. Gerade diese Formung des Textes ist eine der vielen Stärken des Romans.

Eine weitere Stärke sind die authentischen, durchaus ambivalenten Charaktere: die spontane, etwas chaotische Luisa ist mit ihrer alleinerziehenden, geschiedenen Mutter Marta, einer überzeugten DDR-Bürgerin, ebendort aufgewachsen. Auch nach Martas Tod, hat sie die Stimme ihrer pragmatischen Mutter im Ohr. Die beiden hatten ein Verhältnis mit so viel Nähe wie Distanz. David hingegen ist sehr behütet in Westdeutschland aufgewachsen.
Einfühlsam und ungeschönt beschreibt Hannes Köhler, wie die beiden zueinander finden, zusammenwachsen, ihre Autonomie verteidigen. Ihm gelingen glaubhafte Szenen eines Lebens als Familie, wobei ihm alternative Modelle so nah sind wie Davids Traum von einer „Familien-Bande“. Die Herausforderungen, die der Alltag an eine Beziehung stellt, und die Kraft, die es braucht, um diese zu bewahren, schildert er so einfühlsam wie unsentimental. Mit Zehn Bildern einer Liebe hat Hannes Köhler auch mich Liebesroman-Verächterin völlig überzeugt.

 

Beitragsbild von Gertrud K. (CC BY-NC-SA 2.0) via Flickr

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Hannes Köhler - Zehn Bilder einer Liebe.

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Hannes Köhler – Zehn Bilder einer Liebe
Frankfurter Verlagsanstalt März 2025, Hardcover, 224 Seiten, € 24,00

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