Quasi Neben Fremden lebt die pensionierte Krankenpflegerin Rosa im neuen Roman von Eva Schmidt, allein mit ihrem alten Hund Don. Dieser ist nach dem plötzlichen Tod ihres Lebensgefährten Fred das Wichtigste überhaupt in ihrem Leben. Freunde hat sie nach eigenen Angaben keine. Gelegentlich trifft sie sich mit ihrer ehemaligen Kollegin Margreth. Wirklich mögen tut sie die aber augenscheinlich nicht. Mit ihrem auch schon in die Jahre gekommenen Sohn Tom hat sie nahezu keinen Kontakt. Ab und zu kamen in der Vergangenheit mal kurze Briefe oder Postkarten von ihm an. Nun lebt er in Norwegen und ist dabei, eine eigene Familie zu gründen. Rosas eigene Mutter ist mittlerweile im Heim. Das Verhältnis zu ihr war, vorsichtig ausgedrückt, immer ein kompliziertes. Der Vater ist schon lange tot.
„Dein Leben besteht aus den Tagen, aus denen es besteht. Aus nichts anderem.“
Mit einem recht desillusionierten Motto aus Cormac McCarthys „No country for old men“ beginnt Eva Schmidt ihren Roman. Und ähnlich desillusioniert schaut Rosa auf ihr Leben. Es klingt recht bitter, aber auch sonderbar gleichmütig und passiv, wie sie über sich selbst und ihre Situation denkt. Es gab die späten, auf ruhige Art glücklichen Jahre mit Fred. Aber eine eher traurige Kindheit mit einer herrischen, auf ihre Art unglücklichen Mutter, einem Vater, dem der Absprung aus dieser Ehe nicht gelang, der lediglich ein außereheliches Kind mit einer anderen Frau zeugte, um sich dann wieder in eine ganz persönliche Ehehölle zu fügen, liegt wie ein Schatten über Rosas Leben. Ihr Kindheitstrauma, als ihre Mutter den vom Vater mitgebrachten, heiß geliebten Hund während ihres Ferienaufenthalts erschießen ließ, verfolgt sie bis heute. Ein schwacher, irgendwie passiver Vater trat nie für sie ein.
Familienmitgift
Kaum erwachsen floh Rosa nach Berlin. Halt findet sie aber auch hier keinen. Ihr Vater „rettete“ sie irgendwann von dort. Sie war krank und schwanger von einem Unbekannten. Ihrem Sohn Tom konnte sie auch keine „gute“ Mutter sein. Eine Familienmitgift, die sich vererbt.
Nun lebt sie ihr kleines, oft einsames Leben. Ein Scherbenhaufen. Von Fred konnte sie sich nicht mehr verabschieden. Seine Ex-Familie verbietet ihr sogar die Teilnahme an seiner Beerdigung. Einzig der Campingbus, den Fred ihr geschenkt hat, und mit dem sie „irgendwann“ verreisen wollten, ist ihr geblieben. Die Besuche bei ihrer Mutter im Heim, gelegentliche Essen mit Margreth, die flüchtige Bekanntschaft mit der unter ihr lebenden alleinerziehenden Melody und ihrer pubertären Tochter Paz und die Spaziergänge mit dem immer schwächer werdenden Don prägen ihren Alltag, von dem wir viel erfahren.
Dann fährt sie eines Tages mit Don einfach los. Auf einem Parkplatz am Wasser übernachtet sie neben einem holländischen Wohnmobil. Die junge Hündin Unn freundet sich mit Don an, Rosa kommt mit der Holländerin ins Gespräch. Am nächsten Morgen ist der Wagen weg, aber Unn angebunden an Rosas Camper noch da. Sie nimmt die Hündin bei sich auf. In ihrem Leben scheint sich ganz leise etwas zu drehen.
Das Drama des Alltags
Ganz unspektakulär, mit klaren Sätzen, leise und mit subtiler Unterströmung erzählt Eva Schmidt in kleinen Episoden von Rosas Leben Neben Fremden. Wie in allen ihren Büchern ist es nicht das große Drama, von dem sie erzählt, sondern von einem Alltag mit seinen kleinen Tragödien. Wie bereits in Die Welt gegenüber oder Ein langes Jahr sind es Frauen, deren Verbindungen (zunächst) gekappt sind, die in ihrer Einsamkeit weitermachen, denen ihre Umgebung und die sich selbst fremd geworden sind. Rosa ist wie fast alle Protagonistinnen von Eva Schmidt nicht unbedingt eine reine Sympathieträgerin. Sie kann unempathisch und abweisend sein, passiv und zynisch. Eva Schmidt spielt in ihren Texten immer auch mit Selbst- und Fremdwahrnehmung. Und wieder ist ihr damit ein ganz ausgezeichneter Text gelungen.
Beitragsbild via pxhere
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Eva Schmidt – Neben Fremden
Jung und Jung August, 192 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag, € 24,–







