Kaleb Erdmann – Die Ausweichschule

Wie schreibt man über eine Katastrophe, ein Unglück, ein schreckliches Ereignis, das unsägliches Leid hervorgerufen hat, ohne voyeuristisch zu sein, sich dieses Ereignisses nur zu bedienen? Und wer darf darüber schreiben? Nur Betroffene? Und wie betroffen muss man sein, um es zu dürfen, es zu können? Fragen, die sich der Autor Kaleb Erdmann in seinem zweiten Roman Die Ausweichschule stellt. Er, der selbst am 26. April 2002 als Schüler des Gutenberg Gymnasiums in Erfurt Zeuge des Anschlags eines Ex-Schülers war, der elf Lehrern, einer Referendarin, einer Sekretärin, zwei Schülern und einem Polizeibeamten das Leben nahm und die Stadtgesellschaft Erfurts und ganz Deutschland tief und nachhaltig erschütterte.

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Mathijs Deen – Die Lotsin

2022 erschien Mathijs Deens erster Krimi „Der Holländer“ und war gleich ein großer Erfolg. Dabei wollte Deen eigentlich gar keine Krimis schreiben. Ein wenig ist das den Nachfolgebänden „Der Taucher“ und „Der Retter“ anzumerken. Denn auch wenn sie jeweils spannende Kriminalfälle schildern, ist ihnen die Charakterzeichnung und der Schauplatz – das Wattenmeer der Nordsee – wichtiger. Auch in Die Lotsin nähert sich Mathjis Deen ganz langsam seinen Figuren und lässt dem Meer viel Raum. Diesmal ist neben Schauplätzen in Kiel, Helgoland, Cuxhaven, Grönland und Texel das Schiff Anthropocene Schauplatz des Geschehens. Weiterlesen „Mathijs Deen – Die Lotsin“

Káska Bryla – mein vater, der gulag, die krähe und ich – Kurz vorgestellt

Es ist der September 2020. Die Corona-Pandemie wütet und verunsichert die Welt. Von heute betrachtet wirkt diese Zeit so weit entfernt und wirklich viel Niederschlag in der zeitgenössischen Literatur hat sie (bisher noch) nicht gefunden. Mit dem neuen Roman von Káska Bryla mein vater der gulag die krähe und ich gehen wir nochmal zurück in diese merkwürdige Zeit. Es ist ein autofiktionaler Roman, der auf dem Cover sogar auf eine Genrebezeichnung verzichtet. Die Ich-Erzählerin Káska ist schwer an Corona erkrankt und leidet an Long Covid, persistierenden Atembeschwerden und lähmende Müdigkeit und Schwäche, die damals noch gar nicht wirklich bekannt und erforscht waren. In ihrem ausgebauten LKW-Anhänger lebt sie relativ isoliert auf einem Wagenplatz in Leipzig. Weiterlesen „Káska Bryla – mein vater, der gulag, die krähe und ich – Kurz vorgestellt“

Jan Costin Wagner – Eden

Jan Costin Wagners Romane werden meist als Kriminalromane gelabelt. Dabei waren sie von Beginn an viel mehr als das. Immer sind sie auch Familienromane, die durch psychologische Feinfühligkeit und eine große Melancholie gekennzeichnet sind und in denen es um Verluste, oft um den Tod und den Schmerz darüber geht. Wie weiterleben, wenn etwas Schreckliches geschieht? Das ist in allen Romanen die Frage. Sei es der Verlust der geliebten Frau bei Kommissar Kimmo Joentaa, der in sechs Bänden ermittelte, oder bei Ben Neven, der zwar glücklich verheiratet und Vater einer Tochter ist, aber voll Erschrecken erkennt, dass er pädophil ist. Im neuen Roman Eden beleuchtet Jan Costin Wagner einen terroristischen Anschlag, bei dem die zwölfjährige Sofie ihr Leben verliert, und bewegt sich mit ihm noch weiter fort vom Krimigenre. Weiterlesen „Jan Costin Wagner – Eden“

Lektüre August 2025

Gefühlt habe ich im August sehr viel gelesen. Die Zusammenfassung meiner Lektüre für den August 2025 hier zeigt aber, dass es eher durchschnittlich war. Das liegt vielleicht daran, dass sonst viel los war, vor allem auch die Gartenarbeit, die ich in den vergangenen Monaten etwas vernachlässigt habe, nachgeholt werden musste. Ein Fahrradreise nach Berlin und verschiedene Verlagsveranstaltungen, gekrönt vom Erlangener Poet:innenfest und ein schöner Tag mit den Kindern in Darmstadt. Auch werfen verschiedene zukünftige Projekte und Literaturpreise bereits ihre Schatten.

Lesetechnisch war es ein durchwachsener Monat. Die Bücher von Martina Clavadetscher und Anna Prizkau konnten mich nicht wirklich überzeugen, besonders mit letzterem habe ich gehadert. Ein eindeutiges Monatshighlight gab es auch nicht, aber Kaleb Erdmann würde ich mit seiner Ausweichschule einen Platz auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises wünschen und Jan Costin Wagner hat mit Eden einen sehr berührenden Roman und Mathijs Deen seinen vierten Liewe Cupido-Roman geschrieben – beides tolle Bücher. Weiterlesen „Lektüre August 2025“

Henning Sußebach – Anna oder Was von einem Leben bleibt

Immer wieder musste ich bei der Lektüre von Anna: oder Was von einem Leben bleibt – Die Geschichte meiner Urgroßmutter von Henning Sußebach an den Roman Schwebende Lasten von Annett Gröschner denken. Vieles ist unterschiedlich – das eine autobiografische Recherche, eher ein Sachbuch, das andere ein Roman; Anna wurde 1867 in einem nordrhein-westfälischen Dorf bei Soest geboren, Gröschners Hanna Krause in Ostdeutschland kurz nach der Jahrhundertwende; die wurde Dorfschullehrerin im Sauerland, die andere Kranführerin in Magdeburg. Und doch ist etwas ganz Entscheidendes gleich: Es sind Geschichten von Frauen, die sowohl in ihrer Einzigartigkeit als auch in ihrer Normalität viel zu wenig Beachtung finden und oft übersehen werden. „Was bleibt von einem Leben?“ fragt daher auch der 1972 geborene Journalist Sußebach in seinem so aufschlussreichen wie berührendem Buch.

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Sarah Lorenz – Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken

Die große Begeisterung, die – zumindest auf Instagram – über dieses Buch ausgebrochen ist, kann ich leider nicht verstehen. Oder ich kann sie eben nur mit Blick auf die starke Präsenz der Autorin auf Bookstagram, dort unter dem Namen @buchischnubbel unterwegs mit knapp 20.000 Followern, verstehen. Wahrscheinlich bin ich aber auch einfach nur mal wieder nicht die passende Zielgruppe für das Buch von Sarah Lorenz namens Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken. Der Lackmustest hierzu ist recht einfach: „Ich bin so erschöpft vom Fühlen“ heißt es einmal im Buch. Und wer diesen Satz okay findet, der kann es mit diesem autobiografisch inspirierten und mit überquellenden (für mich eher übermäßigen) Gefühlen angefüllten Roman sicher mal versuchen. Ich konnte mit der 39-jährigen Ich-Erzählerin Elisa, die auf ihre ziemlich traurige Kindheit und Jugend zurückblickt, in ihren Gefühlen badet und die Dichterin Mascha Kaléko verehrt, so gar nicht warm werden. Weiterlesen „Sarah Lorenz – Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“

Barbara Kingsolver – Die Unbehausten

Unsheltered – so der Originaltitel des bereits 2018 erschienenen, soeben auf Deutsch herausgekommenen Romans von Barbara Kingsolver, der mit Die Unbehausten nur leidlich gut getroffen wird. „Die Ungeschützten“ wäre vielleicht passender, hätte aber einen Beiklang, der ein wenig an einen verpassten Impftermin erinnert. Dabei geht es im Buch um ein allumfassendes Gefühl des ungeschützt Seins, des bröckelnden gesellschaftlichen Halts, der sozialen Unsicherheiten. Verkörpert wird dies durch ein baufälliges viktorianisches Haus im US-amerikanischen Vineland/New Jersey. Zwei Familien sind über es durch die Jahrhunderte verbunden (auch wenn sich am Ende herausstellt, dass es sich gar nicht um ein und dasselbe Haus handelt, der Platz ist derselbe). Weiterlesen „Barbara Kingsolver – Die Unbehausten“

Christopher Kloeble – Durch das Raue zu den Sternen

War Beethoven eine Frau und die Tochter von König Friedrich Wilhelm II.? Und damit die weltbeste Tondichterin aller Zeiten? Zumindest die 13-jährige Arkadia, die sich selbst lieber wie ihre Mutter nach der Tonart Moll nennt, ist davon fest überzeugt. Eingeflüstert hat ihr diese allgemein geleugnete „Wahrheit“ ebenso ihre Mutter, die eine nicht ganz so erfolgreiche Tonkünstlerin in der bayerischen Provinz ist. An ihrem Neo-Bechstein, einem der nur 150 Exemplare, die von diesem elektromechanischen Flügel gebaut wurden, komponiert und singt sie für und mit ihrer Tochter. Gerne wäre sie auch die Organistin der fleißig besuchten Kirche. Aber Frauen haben hier auf dem Dorf Anfang der 1990er Jahre schlechte Karten bei offiziellen Stellen und bei öffentlicher Anerkennung. So wie einst auch Beethoven. Die Musik steht im Mittelpunkt des neuen Romans Durch das Raue zu den Sternen von Christopher Kloeble. Sie ist die große Leidenschaft von Moll und das, was sie mit ihrer Mutter verbindet, nachdem diese nun „kurz weggegangen“ ist. Weiterlesen „Christopher Kloeble – Durch das Raue zu den Sternen“