Deutscher Buchpreis 2021 – Die Longlist
Wer mir schon eine Weile folgt, weiß, dass ich den Deutschen Buchpreis schon sehr lange verfolge, viele Titel der jeweiligen Long- und Shortlists gelesen und teilweise auch besprochen habe. Ich freue mich über das Interesse an Literatur, in diesem Fall deutschsprachiger, das durch diesen Preis jedes Jahr angefacht wird, gerade auch was die Medienaufmerksamkeit betrifft. Und wenn natürlich auch nie der eine “beste” Roman erwählt werden kann, da es diesen bei der Divergenz der Lesevorlieben und -erwartungen gar nicht geben kann, habe ich persönlich doch in den letzten Jahren durch den Preis einige Bücher entdeckt, die mir sonst vielleicht verborgen geblieben wären. Umso mehr freue ich mich, dass ich in diesem Jahr als eine von zwanzig offiziellen Buchpreisblogger:innen dabei sein darf und ein zugelostes Patenbuch in den Mittelpunkt meiner Aufmerksamkeit rücken wird. Beiträge dazu werden hier in den nächsten Wochen bis zur Preisverleihung am 18. Oktober, bei der ich auch dabei sein werde, erscheinen.
Rückblicke
Natürlich werde ich mich aber wie gewohnt mit der Longlist, die heute erschienen ist, und der am 21. September erscheinenden Shortlist beschäftigen.
Wer mag, kann hier zurückblicken auf 2017, Longlist 2018 und Shortlist 2018 und Deutscher Buchpreis 2019 – Die Longlist Deutscher Buchpreis 2019 – Die Shortlist
oder gleich auf Deutscher Buchpreis 2005-2020 – Ein Rückblick
Videos zu den zu den Nominierten könnt ihr auf dem YouTube-Kanal des Deutschen Buchpreises nachschauen. (https://www.youtube.com/c/DeutscherBuchpreis_dbp)
Näheres über den Preis könnt ihr hier nachlesen.
Jury
Für die Longlist Deutscher Buchpreis 2021 konnten Verlage Titel einreichen, die zwischen Oktober 2020 und September 2021 als deutschsprachige Originalausgabe erschienen sind. 125 Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind der Einladung gefolgt und haben insgesamt 197 Titel vorgeschlagen. Die siebenköpfige Jury besteht dieses Jahr aus:
Sie hat daraus eben jene 20 Romane ausgewählt, die nun die Longlist Des Deutschen Buchpreis 2021 bilden. Eine weitere “Eindampfung” der Liste auf sechs Titel zur Shortlist wird bis zum 21. September erfolgen. Am 18. Oktober wird dann der Sieger im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse im Frankfurter Römer gekürt. Dieser erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro, die anderen Shortlist-Platzierten jeweils 2.500 Euro. Zudem kurbelt der Preis erfahrungsgemäß die Verkaufszahlen kräftig an.
Buchpreisblogger
Auch dieses Jahr begleiten Buchblogger:innen den Preis. Zwanzig “Paten” besprechen in der Folge jeweils einen der Longlist-Titel. Ich habe die Ehre, dieses Jahr davon zu sein.
Die anderen teilnehmenden Blogger könnt ihr hier mit ihren entsprechenden Kanälen nachschlagen.
Auch dieses Jahr wird von ausgewählten Buchhandlungen ein Reader mit Leseproben aus den Longlist-Romanen angeboten. Auf Deutscher Buchpreis.de/leseproben oder Jetzt ein Buch können teilnehmende Buchhandlungen gefunden werde.
Veranstaltungen
Bereits zum fünften Mal lädt das Literaturhaus Hamburg am 3. September zum „Großen Longlist-Abend“ in der Freien Akademie der Künste ein. Ab 17 Uhr lesen mehrere Autor*innen aus ihren nominierten Romanen und stellen sich den Fragen von Annemarie Stoltenberg, Rainer Moritz und Julia Westlake.
Die Karten sind auf der Seite des Literaturhauses Hamburg erhältlich: Saalticket 18 Euro, erm. 14 Euro, Streamingticket 7 Euro.
Am 1. Oktober folgt dann der Shortlist-Abend in Frankfurt, hoffentlich dann auch vor Publikum (Saaltickets sind noch nicht im Verkauf)
Streamingtickets sind bereits verfügbar auf der Seite des Literaturhauses Frankfurt. Ab 18 Uhr präsentieren sich die Finalist*innen des Deutschen Buchpreises 2021 im Literaturhaus Frankfurt.
Die Nominierten
Aber hier nun endlich Näheres zu den zwanzig Nominierten (Bilder und Texte entstammen den Verlagsseiten), hier ist die Longlist Deutscher Buchpreis 2021:
____________________________________________________
*Werbung*
Gert Loschütz – Besichtigung eines Unglücks
Im Dezember 1939 kommt es vor dem Bahnhof von Genthin zum schwersten Zugunglück, das sich jemals auf deutschem Boden ereignet hat. Zwei Züge prallen aufeinander, zahlreiche Menschen sterben. In einem davon sitzt Carla, die schwer verletzt überlebt. Verlobt ist sie mit Richard, einem Juden aus Neuss, aber nicht er ist ihr Begleiter, sondern der Italiener Giuseppe Buonomo, der durch den Aufprall ums Leben kommt. Das Ladenmädchen Lisa vom Kaufhaus Magnus erhält den Auftrag, der Verletzten, die bei dem Unglück alles verloren hat, Kleidung zu bringen. Aber da gibt Carla sich bereits als Frau Buonomo aus. Was versucht sie zu verbergen?
Von diesem mysteriösen Vorfall erfährt viele Jahre später Lisas Sohn Thomas Vandersee, dem die Mutter zugleich ihre eigene Liebes- und Unglücksgeschichte erzählt. Kann er Carlas Geheimnis ergründen? Hängt es womöglich mit seiner eigenen Familie zusammen?
Vor dem Hintergrund einer historischen Katastrophe erzählt der Romancier Gert Loschütz eine große, unter die Haut gehende Geschichte von Liebe und Verrat.
Henning Ahrens – Mitgift
Seit sieben Generationen in Folge bewirtschaften die Leebs ihren Hof in der niedersächsischen Provinz. Schließlich gilt es, das Familienerbe zu wahren – allen historischen Umbrüchen zum Trotz. Doch über die Opfer, die jeder Einzelne erbringen muss, wird geschwiegen. Henning Ahrens erzählt den Roman einer Familie und entwirft ein Panorama der ländlich-bäuerlichen Welt des 20. Jahrhunderts.
Gerda Derking kennt sich aus mit dem Sterben. Seit Jahren richtet sie die Toten des Dorfes her, doch in jenem August 1962 würde sie die Tür am liebsten gleich wieder schließen. Denn vor ihr steht Wilhelm Leeb – ausgerechnet er, der Gerda vor so vielen Jahren sitzen ließ, um sich die Tochter von Bauer Kruse mit der hohen Mitgift zu sichern. Wilhelm, der als überzeugter Nazi in den Krieg zog und erst nach Jahren der Kriegsgefangenschaft aus Polen zurückkehrte. Der gegen Frau und Kinder hart wurde, obwohl sie jahrelang geschuftet hatten, um Hof und Leben zu verteidigen. Doch nun zeichnet sich auf seinem Gesicht ein Schmerz ab, der über das Erträgliche hinausgeht. Und Gerda Derking ahnt: Dieser Tragödie sind die Leebs ohne sie nicht gewachsen. In seiner epischen Familienchronik rückt Henning Ahrens den Verwundungen des vergangenen Jahrhunderts auf den Leib und erzählt ebenso mitreißend wie empathisch vom Verhängnis einer Familie.
Dana Grigorcea – Die nicht sterben
Eine junge Bukarester Malerin kehrt nach ihrem Kunststudium in Paris in den Ferienort ihrer Kindheit an der Grenze zu Transsilvanien zurück. In der Kleinstadt B. hat sie bei ihrer großbürgerlichen Großtante unter Kronleuchtern und auf Perserteppichen die Sommerferien verbracht. Eine Insel, auf der die kommunistische Diktatur etwas war, das man verlachen konnte. „Uns kann niemand brechen“, pflegte ihre Großtante zu sagen. Inzwischen ist der Kommunismus Vergangenheit und B. hat seine besten Zeiten hinter sich. Für die Künstlerin ist es eine Rückkehr in eine fremd gewordene Welt, mit der sie nur noch wenige enge Freundschaften und die Fäden ihrer Familiengeschichte verbinden. Als auf dem Grab Vlad des Pfählers, als Dracula bekannt, eine geschändete Leiche gefunden wird, begreift sie, dass die Vergangenheit den Ort noch nicht losgelassen hat – und der Leitspruch ihrer Großtante zugleich der Draculas ist. Die Geschichte des grausamen Fürsten will sie erzählen. Am Anfang befürchtet sie, dass sie die Reihenfolge der Geschehnisse verwechseln könnte. Dann wird ihr klar: Jede Reihenfolge ergibt einen Sinn. Weil es in der Geschichte nicht um Ursache oder Wirkung geht, sondern nur um eines: Schicksal. Inzwischen aber ist es für jede Flucht zu spät.
Yulia Marfutova – Der Himmel vor hundert Jahren
Ein russisches Dorf um das Jahr 1918. Die Revolution hat bereits stattgefunden, der Bürgerkrieg ist in vollem Gange, aber die Bewohner haben von den historischen Ereignissen noch nichts erfahren. Das untergehende Zarenreich ist groß, die Informationen fließen langsam.
Doch selbst an einem Ort wie diesem steht die Zeit nicht still: Der Dorfälteste Ilja, zum Beispiel, trifft seine Wettervorhersagen neuerdings mit Hilfe eines gläsernen Röhrchens, das er hütet wie seinen Augapfel. Der alte Pjotr dagegen belauscht lieber den nahegelegenen Fluss und dessen Geister. Aber noch scheinen die Fronten beweglich.
Nun ist ausgerechnet Iljas Frau, Inna Nikolajewna, so abergläubisch wie Pjotr. Als ihr ein Messer herunterfällt, taucht ein Fremder im Dorf auf. Der viel zu junge Mann trägt keine Stiefel, aber eine fadenscheinige Offiziersuniform, und wenn er muss, erzählt er jedem eine andere Geschichte. Man beäugt ihn, bedrängt ihn, bald nicht mehr nur mit Fragen – und doch kommt nicht einmal die junge Annuschka dahinter, weshalb er ins Dorf gekommen ist. Und vor allem: warum er bleibt.
Ob sie vom Wetter erzählt, von der Weisheit der Menschen oder der der Fische – Yulia Marfutova macht Stimmen hörbar, die man so bald nicht wieder vergisst. In «Der Himmel vor hundert Jahren» treffen sich Ideen und Ideologen, Dorf und Welt, Gestern und Heute, Humor und Verstand. Eine zeitlose Geschichte, ein herausragendes Debüt.
Zu meiner Rezension: Yulia Marfutova – Der Himmel vor hundert Jahren
Dilek Güngör – Vater und ich
Als Ipek für ein verlängertes Wochenende ihren Vater besucht, weiß sie, dass er auf dem Bahnhofsplatz im Auto auf sie warten und sie nicht am Zug empfangen wird. Im Elternhaus angekommen sitzt sie in ihrem früheren Kinderzimmer, hört ihn im Garten, im Haus, beim Teekochen. Die Nähe, die Kind und Vater verbunden hat, ist ihnen mit jedem Jahr ein wenig mehr abhandengekommen, und mit der Nähe die gemeinsame Sprache. Ipek ist Journalistin, sie hat das Fragenstellen gelernt, aber gegenüber dem Schweigen zwischen ihr und dem Vater ist sie ohnmächtig.
Dilek Güngör beschreibt die Annäherung einer Tochter an ihren Vater, der als sogenannter Gastarbeiter in den 70er Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Sie erzählt von dem Versuch, die Sprachlosigkeit mit Gesten und Handgriffen in der Küche, mit stummem Beieinandersitzen zu überwinden. Ein humorvoller wie rührender Roman über eine Vater-Tochter-Beziehung, mit der sich viele werden identifizieren können.
Shida Bazyar – Drei Kameradinnen
In ihrem neuen Roman erzählt Shida Bazyar voller Wucht und Furor von den Spannungen und Ungeheuerlichkeiten der Gegenwart – und von drei jungen Frauen, die zusammenstehen, egal was kommt. Seit ihrer gemeinsamen Jugend in der Siedlung verbindet Hani, Kasih und Saya eine tiefe Freundschaft. Nach Jahren treffen die drei sich wieder, um ein paar Tage lang an die alten Zeiten anzuknüpfen. Doch egal ob über den Dächern der Stadt, auf der Bank vor dem Späti oder bei einer Hausbesetzerparty, immer wird deutlich, dass sie nicht abschütteln können, was jetzt so oft ihren Alltag bestimmt: die Blicke, die Sprüche, Hass und rechter Terror. Ihre Freundschaft aber gibt ihnen Halt. Bis eine dramatische Nacht alles ins Wanken bringt.
Shida Bazyar zeigt in aller Konsequenz, was es heißt, aufgrund der eigenen Herkunft immer und überall infrage gestellt zu werden, aber auch, wie sich Gewalt, Hetze und Ignoranz mit Solidarität begegnen lässt. »Drei Kameradinnen« ist ein aufwühlender, kompromissloser und berührender Roman über das außergewöhnliche Bündnis dreier junger Frauen – und das einzige, das ein selbstbestimmtes Leben möglich macht in einer Gesellschaft, die keine Andersartigkeit duldet: bedingungslose Freundschaft.
Zu meiner Rezension: Shida Bazyar – Drei Kameradinnen
Mithu Sanyal – Identitti
Was für ein Skandal: Prof. Dr. Saraswati ist WEISS! Schlimmer geht es nicht. Denn die Professorin für Postcolonial Studies in Düsseldorf war eben noch die Übergöttin aller Debatten über Identität – und beschrieb sich als Person of Colour. Als würden Sally Rooney, Beyoncé und Frantz Fanon zusammen Sex Education gucken, beginnt damit eine Jagd nach „echter“ Zugehörigkeit. Während das Netz Saraswati hetzt und Demos ihre Entlassung fordern, stellt ihre Studentin Nivedita ihr intimste Fragen. Mithu Sanyal schreibt mit beglückender Selbstironie und befreiendem Wissen. Den Schleudergang dieses Romans verlässt niemand, wie er*sie ihn betrat.
Monika Helfer – Vati
Monika Helfer schreibt fort, was sie mit ihrem Bestseller „Die Bagage“ begonnen hat: ihre eigene Familiengeschichte.
Ein Mann mit Beinprothese, ein Abwesender, ein Witwer, ein Pensionär, ein Literaturliebhaber. Monika Helfer umkreist das Leben ihres Vaters und erzählt von ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Von dem vielen Platz und der Bibliothek im Kriegsopfer-Erholungsheim in den Bergen, von der Armut und den beengten Lebensverhältnissen. Von dem, was sie weiß über ihren Vater, was sie über ihn in Erfahrung bringen kann. Mit großer Wahrhaftigkeit entsteht ein Roman über das Aufwachsen in schwierigen Verhältnissen, eine Suche nach der eigenen Herkunft. Ein Erinnerungsbuch, das sanft von Existenziellem berichtet und schmerzhaft im Erinnern bleibt. „Ja, alles ist gut geworden. Auf eine bösartige Weise ist alles gut geworden.“
Zu meiner Rezension: Monika Helfer – Vati
Ein rasanter Roman, der ein Jahrhundert umfasst und den Leser in die Zukunft schleudert
Der deutsche Logiker Gerhard Gentzen zählte zu den genialsten seines Fachs. Doch wer erinnert sich an ihn? Dietmar Dath macht sich in diesem erstaunlichen, mitreißenden Roman mit Laura und Jan auf die Suche nach jemandem, an den sie sich nicht mehr erinnern. Der Leser betritt einen Denkraum, in dem nicht nur Gerhard Gentzen aufritt, sondern auch noch ganz andere Figuren: Dietmar, der seit zehn Jahren an einem Roman über einen berühmten Logiker schreibt, aber auch Frank Schirrmacher, der sich den Kopf über das Internet zerbricht, Jeff Bezos, Ruth Garrett Millikan, eine schiefe Tante und ein geheimnisvolles Wesen, das das Leben auf der Erde erheblich in Gefahr bringen wird. Das ganze Personal dieses großen Romans stellt sich in den Dienst der Suche nach der Grundlage unseres Lebens in der Gegenwart: der schier unendlich scheinende Rechenleistuneng der Computer. Sie ermöglicht die Flugbuchungen, die Verteilung von Impfstoffen oder Hilfsgütern, die Steuerung der Atomwaffenarsenale oder die detaillierte Abbildungen eines Lebens durch Likes und Kommentare in den sozialen Medien, die es nicht gäbe, wenn Programme nicht die Funktionsweise von Programmen überprüfen könnten. Dass sie das können, hat wiederum mit Gerhard Gentzen zu tun. Kunstfertig und temporeich, humorvoll und immer wieder überraschend schreiben diese vielen Erzählstränge selbst ein Programm – If Then GoTo –, das uns die Chancen und Möglichkeiten der Rechentechnik der Gegenwart erleben lässt und unerwartete Ergebnisse ausspuckt: Science Fiction eben, was sonst.
Franzobel – Die Eroberung Amerikas
Ferdinand Desoto hatte Pizarro nach Peru begleitet, dem Inkakönig Schach und Spanisch beigebracht, dessen Schwester geschwängert und mit dem Sklavenhandel ein Vermögen gemacht. Er war bereits berühmt, als er 1538 eine große Expedition nach Florida startete, die eine einzige Spur der Verwüstung durch den Süden Amerikas zog. Knapp 500 Jahre später klagt ein New Yorker Anwalt im Namen aller indigenen Stämme auf Rückgabe der gesamten USA an die Ureinwohner.
Franzobels neuer Roman ist ein Feuerwerk des Einfallsreichtums und ein Gleichnis für die von Gier und Egoismus gesteuerte Gesellschaft, die von eitlen und unfähigen Führern in den Untergang gelenkt wird.
Georges-Arthur Goldschmidt – Der versperrte Weg
Verbunden durch das gemeinsame Schicksal von Bedrohung, Flucht und Heimatlosigkeit hat der Bruder Erich doch einen ganz anderen Weg als der Autor wählen müssen. Während Georges-Arthur zwischen den Sprachen und mit den Worten lebt, hat der Bruder unter Waffen gelebt. Unter Waffen schweigen die Musen! Er schloss sich der Résistance an, kämpfte mit bei der Befreiung von Paris und des Elsass und war schließlich Major in der französischen Kolonialarmee in Algerien. Dort beteiligte er sich sogar an dem Offiziersputsch gegen de Gaulle, der Algerien in die Unabhängigkeit entließ, und blieb dennoch bis zur Pensionierung Offizier. Danach arbeitete er noch viele Jahre als unauffälliger Mitarbeiter der Crédit Agricole.
Über Jahrzehnte im Inneren zurückgehalten, war ein Geburtstagsbrief der Anlass, die verschütteten Erinnerungen an das Leben des Bruders aufsteigen zu lassen.
Norbert Gstrein – Der zweite Jakob
„Natürlich will niemand sechzig werden.“ Damit beginnt Jakobs Lebensgeständnis. Dem bekannten Schauspieler, über den ein Verlag eine Biografie plant, graust es vor dem Kommenden. Da stellt ihm seine Tochter die Frage, die alles sprengt: „Was ist das Schlimmste, das du je getan hast?“ Jakob erinnert sich an einen Filmdreh an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Die Morde an Frauen und das Elend dort bekam er bloß distanziert mit – aber zwei Mal war er plötzlich mittendrin. Er schämt sich, ringt mit den simplen Urteilen der Welt und sehnt sich in gleißenden Erinnerungen nach dem Glück. Warum ist er kein Original, sondern stets nur „der zweite Jakob“? Norbert Gstrein schreibt einen Roman, der mitreißende, große Kunst ist.
Felicitas Hoppe – Die Niebelungen. Ein deutscher Stummfilm
Der Stoff ist unschlagbar: ein Bad in Blut, eine schöne Frau, Gold und ein Mord, der grausam gerächt wird. So klingt das Lied der Nibelungen, die Sage von Siegfried, dem Strahlenden, seinem düsteren Gegenspieler Hagen und der schönen Kriemhild. Aber ist das die wahre Geschichte dieser europäischen Helden, die in Island oder Norwegen beginnt, am Rhein entlang spielt, die Donau runter erzählt wird und schließlich im Schwarzen Meer mündet? Niemand weiß, wie es wirklich war, meint Hoppe und erfindet die Wahrheit: hell und schnell, poetisch und politisch, wie nicht mal Tarantino es kann. Felicitas Hoppes Roman »Die Nibelungen«: Das erste gesamteuropäische Heldenepos der Gegenwart.
Christian Krachts lange erwarteter neuer Roman beginnt mit einer Erinnerung: vor 25 Jahren irrte in »Faserland« ein namenloser Ich-Erzähler (war es Christian Kracht?) durch ein von allen Geistern verlassenes Deutschland, von Sylt bis über die Schweizer Grenze nach Zürich. In »Eurotrash« geht derselbe Erzähler erneut auf eine Reise – diesmal nicht nur ins Innere des eigenen Ichs, sondern in die Abgründe der eigenen Familie, deren Geschichte sich auf tragische, komische und bisweilen spektakuläre Weise immer wieder mit der Geschichte dieses Landes kreuzt. »Eurotrash« ist ein berührendes Meisterwerk von existentieller Wucht und sarkastischem Humor.
Peter Karoshi – Zu den Elefanten
Der Kulturwissenschaftler Theo steckt in einem merkwürdigen Schwebezustand fest, als er sich vornimmt, die Beziehung zu seiner Frau Anna und seinem Sohn Moritz zu ändern.
Zusammen mit Moritz unternimmt er eine Reise, entlang der Route, die der spätere Kaiser Maximilian II. mit dem Elefanten Soliman vor Jahrhunderten vom Mittelmeer nach Wien genommen hat. Dieses Mal geht es in umgekehrter Richtung von Österreich über Südtirol bis nach Genua. Doch schnell steht das Gespann vor großen Problemen.
Scheinbar in sich selbst verloren und an der Gegenwart verzweifelnd, erzählt Theo in Tagebuchform von einer Reise in das Wissen, dass es die Vergangenheit, Erinnerungen und das Gedächtnis sind, die die Gegenwart prägen. Eine Reise, die eine dramatische Wendung nimmt und durch die der Erzähler erkennt, dass ein Leben ein Strom aus Erklärungs- und Beobachtungsversuchen ist. Und man sich zuerst verlieren muss, wenn man zueinander finden will.
Thomas Kunst – Zandschower Klinken
Bengt Claasen sitzt im Auto, sein ganzes Hab und Gut im Kofferraum. Vor sich, auf dem Armaturenbrett, liegt das Halsband seiner verstorbenen Hündin. Dort, wo es herunterfällt, will er anhalten und ein neues Leben beginnen. Er fährt so langsam und vorsichtig, wie es nur geht, und landet schließlich in Zandschow – einem Nest im äußersten Norden mit einem Feuerlöschteich im Zentrum. Schnell stellt er fest: Die Bewohner des Orts rund um »Getränke-Wolf« folgen einem strengen Wochenplan, donnerstags werden zum Beispiel zwanzig Plastikschwäne auf dem Teich ausgesetzt, und sie feiern an ihrer »Lagune« Festspiele unter künstlichen Palmen. Überhaupt: Mit den prekären Verhältnissen mitten in der Pampa finden sich die Menschen hier nicht mehr ab. Ihr Zandschow ist Sansibar, hier kann man arm sein, aber trotzdem paradiesisch leben, in viel Verrücktheit.
Sasha Marianna Salzmann – Im Menschen muss alles herrlich sein
Wie soll man »herrlich« sein in einem Land, in dem Korruption und Unterdrückung herrschen, in dem nur überlebt, wer sich einem restriktiven Regime unterwirft? Wie soll man diese Erfahrung überwinden, wenn darüber nicht gesprochen wird, auch nicht nach der Emigration und nicht einmal mit der eigenen Tochter? »Was sehen sie, wenn sie mit ihren Sowjetaugen durch die Gardinen in den Hof einer ostdeutschen Stadt schauen?«, fragt sich Nina, wenn sie an ihre Mutter Tatjana und deren Freundin Lena denkt, die Mitte der neunziger Jahre die Ukraine verließen, in Jena strandeten und dort noch einmal von vorne begannen. Lenas Tochter Edi hat längst aufgehört zu fragen, sie will mit ihrer Herkunft nichts zu tun haben. Bis Lenas fünfzigster Geburtstag die vier Frauen wieder zusammenbringt und sie erkennen müssen, dass sie alle eine Geschichte teilen.
Ferdinand Schmalz – Mein Lieblingstier heißt Winter
Der Wiener Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht soll einem makabren Wunsch nachkommen. Sein Kunde Doktor Schauer ist fest entschlossen, sich zum Sterben in eine Tiefkühltruhe zu legen. Er beauftragt Franz Schlicht, den gefrorenen Körper auf eine Lichtung zu verfrachten. Zum vereinbarten Zeitpunkt ist die Tiefkühltruhe jedoch leer, und Schlicht begibt sich auf eine höchst ungewöhnliche Suche nach der gefrorenen Leiche. Dabei begegnet er der Tatortreinigerin Schimmelteufel, einem Ingenieur, der sich selbst eingemauert hat, und einem Ministerialrat, der Nazi-Weihnachtsschmuck sammelt. Ferdinand Schmalz nimmt uns in »Mein Lieblingstier heißt Winter« mit auf eine abgründige Tour quer durch die österreichische Gesellschaft, skurril, intelligent und mit großem Sprachwitz.
Antje Rávik Strubel – Blaue Frau
Adina wuchs als letzter Teenager ihres Dorfs im tschechischen Riesengebirge auf und sehnte sich schon als Kind in die Ferne. Bei einem Sprachkurs in Berlin lernt sie die Fotografin Rickie kennen, die ihr ein Praktikum in einem neu entstehenden Kulturhaus in der Uckermark vermittelt. Unsichtbar gemacht von einem sexuellen Übergriff, den keiner ernst nimmt, strandet Adina nach einer Irrfahrt in Helsinki. Im Hotel, in dem sie schwarzarbeitet, begegnet sie dem estnischen Professor Leonides, Abgeordneter der EU, der sich in sie verliebt. Während er sich für die Menschenrechte stark macht, sucht Adina einen Ausweg aus dem inneren Exil.
Der Roman von Antje Rávik Strubel, »Blaue Frau«, erzählt aufwühlend von den ungleichen Voraussetzungen der Liebe, den Abgründen Europas und davon, wie wir das Ungeheuerliche zur Normalität machen.
Heinz Strunk – Es ist immer so schön mit dir
Eine katastrophale Liebe. Er war mal Musiker. Jetzt ist er Mitte vierzig und im Großen und Ganzen nicht unzufrieden. Seine Freundin hat ein geregeltes Einkommen, und das Ein-Mann-Tonstudio wirft auch ein bisschen was ab. Die Träume von der künstlerischen Karriere sind längst begraben. Sie schmerzen nicht mehr. Da lernt er Vanessa kennen, Schauspielerin, jung, strahlend schön. Zuerst versteht er gar nicht, warum sie sich für ihn interessiert. Er verliebt sich in sie. Er verlässt seine Freundin. Ist er jetzt mit Vanessa zusammen? Es wird immer größer: das Glück und das Chaos. Sie ist beides für ihn. Und er kommt nicht los von dieser Frau und ihren Abgründen. Liegt das am Ende gar nicht an Vanessa, sondern an ihm selbst?
Eine wieder mal spannende Liste – Vorhergesehenes und Überraschendes. Sehr freue ich mich für Shida Bazyar und Monika Helfer, aber auch das Yulia Marfutova mit ihrem Debüt dabei ist, finde ich super. Und schließlich freue ich mich über mein Patenbuch. Auch wenn ich vielleicht sogar lieber ein weniger populäres Buch „unter die Leute“ gebracht hätte, bin ich sehr gespannt auf Mithu Sanyals Identitti, das ich schon ewig lesen wollte und bisher nicht so recht dazu kam. Nun gibt es keine Ausreden mehr. Das eine oder andere Buch von der Longlist wird hier aber auch noch auftauchen.
Was haltet ihr von der Liste? Über wen freut ihr euch, wen vermisst ihr?
Liebe Petra , ich gratuliere Dir herzlich und wünsche Dir viel Freude und neue Aussichten bei dieser Aktion ! Herzlich
Angela
Danke, liebe Angela! Bin auch schon sehr gespannt! Liebe Grüße, Petra