Anja Kampmann – Die Wut ist ein heller Stern

Hafenstadt Hamburg in den 1930er Jahren. Spätestens seit dem 30. Januar 1933 treten die braunen Horden auch in der als „rot“ bekannten Stadt immer ungenierter auf. Das bekommen alle Einwohner immer deutlicher zu spüren, besonders aber natürlich die jüdischen Mitbürger und die randständigen, die marginalisierten Bevölkerungsgruppen. Für letztere interessiert sich die Autorin Anja Kampmann in ihrem großartigen, prallen Roman Die Wut ist ein heller Stern besonders. Es sind die etwas zwielichtigen Etablissements, die ärmlichen Stuben der Arbeiterviertel, die Glitzerwelt der heruntergekommenen Revuetheater, die Bordelle und kommunistischen Sportclubs, die dunklen Hinterhöfe, in denen die Handlung verortet ist. Der Roman legt dabei den Fokus auf die Frauen. Viel zu wenig thematisiert werden nach wie vor die Repressalien und die Verfolgung, die beispielsweise die Prostituierten, Tänzerinnen und Akrobatinnen der Reeperbahn erleiden mussten. Weiterlesen „Anja Kampmann – Die Wut ist ein heller Stern“

Simon Stranger – Museum der Mörder und Lebensretter

2019, Norwegen war Gastland der Frankfurter Buchmesse und es erschienen ungewohnt viele norwegische Bücher in deutscher Übersetzung, las ich Vergesst unsere Namen nicht von Simon Stranger. Ich hatte den Autor auf der Messe kurz treffen dürfen und war sehr fasziniert von der persönlichen Geschichte, die er da vorstellte. In Form einer Enzyklopädie präsentierte er die Familiengeschichte seiner Frau Rikke während und kurz nach der deutschen Besatzungszeit 1940-45. Die Familie hat jüdische Wurzeln und musste nach Schweden fliehen, um zu überleben. Nach der Rückkehr lebten sie – zuerst unwissend – in der Folterzentrale eines der übelsten Kollaborateure Norwegens. In seinem neuen Roman Museum der Mörder und Lebensretter erzählt Simon Stranger davon unabhängig ein weiteres Kapitel der düsteren Vergangenheit Norwegens der Besatzungsjahre. Und auch dafür fand er wieder eine familiäre Grundlage. Weiterlesen „Simon Stranger – Museum der Mörder und Lebensretter“

Thomas Mann – Deutsche Hörer!

2025 ist ein Thomas- Mann-Jahr: Dem 150. Geburtstag am 6. Juni schließt sich im August sein 70 Todestag an. Anlass für viele Neuausgaben seiner Werke. Mit einer besonderen habe ich „mein“ Thomas-Mann-Jahr eingeläutet, nachdem ich seit Jahren nichts von ihm gelesen habe. Allzu schwer habe ich mich nach begeisternder Lektüre der Buddenbrocks und einiger Erzählungen mit dem Zauberberg getan. Zugegeben, ich stand auch der Person Thomas Man nicht ganz offen gegenüber. Arrogant, elitär, snobistisch und kühl, ja sogar reaktionär und unpolitisch – das war mein vorherrschendes Bild. Wie sehr ich mich besonders in den beiden letzten Punkten bei Thomas Mann geirrt habe, zeigt die Neuauflage von 59 Reden, die der Autor zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 über abenteuerliche Wege aus seinem Exil in Kalifornien an Deutsche Hörer! gerichtet hat. Weiterlesen „Thomas Mann – Deutsche Hörer!“

Elisabeth Reichart – Komm über den See

Komm über den See von Elisabeth Reichart erschien bereits 1988, wurde 2001 neu aufgelegt und macht nun zum dritten Mal einen Anlauf, Leser:innen zu gewinnen – als Neuerscheinung im Salzburger Otto Müller Verlag. Erzählt wird die Geschichte von Ruth Berger, deren Mutter nach dem „Anschluss“ von Österreich Widerstand leistete und daran zerbrach. Weiterlesen „Elisabeth Reichart – Komm über den See“

Arno Frank – Ginsterburg

Ginsterburg – eine ganz durchschnittliche (fiktive) Kleinstadt in Deutschland, mit einer romantischen Altstadt, einem Provinzschlösschen am Wasser, einer englischen Parkanlage und den typischen mittelständischen Fabriken. Eine deutsche Stadt, wie sie landauf, landab existierten und von denen viele während des Bombenkriegs in den Jahren 1940 bis 1945 zerstört wurden. Ginsterburg in den Jahren 1935, 1940 und 1945 und seine Bewohner:innen stehen im neuen, gleichnamigen Roman von Arno Frank im Mittelpunkt. Den Alltag im Nationalsozialismus, die Veränderung einer Gesellschaft unter einer menschenverachtenden Diktatur, die Schritte, die zum vollständigen, auch moralischen Zusammenbruch einer Nation der „Dichter und Denker“ führte, beleuchtet der Wiesbadener Autor in seinem genau recherchierten Roman. In der Villa Clementine erzählte er im Februar über den Entstehungsprozess. Weiterlesen „Arno Frank – Ginsterburg“

Monika Zeiner – Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre

Das Jahr 2024 habe ich mit einem Roman begonnen, der mich total begeistert hat und der dennoch bei den Nominierungen zu den „großen“ deutschen Buchpreisen völlig leer ausging. Absolut unverständlich, da Unsereins von Inger-Maria Mahlke wirklich von überragender Qualität war – klug, witzig, anspielungsreich, formal perfekt. Und auch 2025 habe ich mit einem Roman gestartet, der bisher noch nirgends nominiert war, obwohl er von ebenso großer Kunstfertigkeit ist – Monika Zeiner mit Villa Sternbald.

Auch sonst haben die beiden Romane etwas gemeinsam: sie erweisen dem Jubiläumsschriftsteller dieses Jahres, Thomas Mann, auf spielerische Weise ihre Referenz. Weiterlesen „Monika Zeiner – Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre“

Titti Marrone – Besser nichts wissen

Bei einem Verlagsnachmittag im September lernte ich die Autorin und Übersetzerin Klaudia Ruschkowski kennen. Passend zum diesjährigen Gastlandschwerpunkt auf der Frankfurter Buchmesse hat sie beim Verlagshaus Römerweg eine feine kleine Reihe mit italienischen Autorinnen herausgegeben, „Perlen“ genannt. Ich habe sie auf Instagram bereits gezeigt und vorgestellt, ein ausführlicher Bericht folgt auch hier bald. Bei diesem Treffen kam die Sprache auch auf einen bereits im vergangenen Jahr im S. Marix Verlag erschienenen Titel, den Klaudia übersetzt hat. Die bekannte italienische Journalistin und Autorin Titti Marrone hat ihr berührendes Buch über das Schicksal dreier jüdischer Kinder, die zusammen mit ihren Müttern aus Fiume (damals noch zu Italien gehörend, heute Rijeka) zunächst in das einzige italienische Konzentrationslager Risiera di San Sabba bei Triest und von dort nach Auschwitz deportiert wurden, „Besser nichts wissen“ (Original: „Meglio non sapere“, 2003) betitelt. Weiterlesen „Titti Marrone – Besser nichts wissen“

Hark Bohm Philipp Winkler – Amrum

Der 85-jährige und mittlerweile schwer kranke Hark Bohm ist vor allem als Regisseur und Filmproduzent (zum Beispiel von Nordsee ist Mordsee oder Yasemin) bekannt, trat aber auch als Schauspieler auf und verfasste zahlreiche Drehbücher. Die nun erschienene Kindheitserinnerung Amrum lag auch zunächst als Drehbuch vor (und wird aktuell von Fatih Akin mit Diane Kruger verfilmt; voraussichtlicher Filmstart September 2025), zusammen mit dem Autor Philipp Winkler hat Hark Bohm daraus nun auch einen Roman gemacht. Meine vorurteilsbeladenen Bedenken wegen Doppelautorenschaft (die hier wegen des angegriffenen Gesundheitszustand Bohms nötig wurde) und dem Gedankenimpuls „schon wieder ein Schauspieler/Regisseur etc. der einen Roman schreiben will“, wurden gleich zu Anfang zerstreut. Amrum ist ein wunderbar leises, etwas wehmütiges, warmes Buch über eine Kindheit auf Amrum, die sicher vieles gemeinsam hat mit derjenigen des Autors. Weiterlesen „Hark Bohm Philipp Winkler – Amrum“

Nora Bossong – Reichskanzlerplatz

Wer war Magda Goebbels? Wer war diese Frau, die ihre Namen so oft wechselte wir ihre Identitäten, mal Magda Behrend, Friedländer, Ritschel, Quandt hieß und schließlich als Magda Goebbels so etwas wie die First Lady des Dritten Reichs darstellte. Die als uneheliche Tochter des Dienstmädchens Auguste Behrend mit gerade einmal neunzehn Jahren die Frau des reichen Industriellen Günther Quandt und Mutter seiner beiden Söhne wurde, der ältere von ihnen war gerade einmal sieben Jahre älter als seine Stiefmutter. Wie entwickelte sich aus der lebenslustigen, kulturell interessierten, ehrgeizigen, um Aufstieg bemühten jungen Frau, die ernsthaft darüber nachdachte, mit ihrer Jugendliebe Viktor Chaim Arlosoroff nach Palästina auszuwandern, einen jüdischen Stiefvater hatte und sich selbst als unpolitisch bezeichnete, die fanatische Hitleranhängerin, die kurz vor Kriegsende ihre sechs Kinder und dann sich selbst umbrachte? Nora Bossong geht dieser Frage in ihrem Roman Reichskanzlerplatz nach. Weiterlesen „Nora Bossong – Reichskanzlerplatz“

Uwe Wittstock – Marseille 1940

Nach Februar 33. Der Winter der Literatur beschäftigt sich Uwe Wittstock in seinem neuen erzählenden Sachbuch Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur mit einem weiteren Krisenjahr. Nachdem er in der typischen mosaikartigen Erzählweise die bedrohlichen Ereignisse unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme anhand verschiedener Autoren wie Joseph Roth, Alfred Döblin und Thomas Mann beleuchtet hat, verpackt er nun die tragischen Ereignisse nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht im Juni 1940 wieder in viele kleine Episoden, wieder ganz nah an den Personen, chronologisch fortschreitend, unglaublich dicht, detailliert und spannend. Quellen waren wieder vor allem Selbstzeugnisse von Schriftsteller:innen und anderen Kulturschaffenden, wie Briefe, Tagebücher, Aufzeichnungen und Erinnerungen. Weiterlesen „Uwe Wittstock – Marseille 1940“