2022 erschien Mathijs Deens erster Krimi „Der Holländer“ und war gleich ein großer Erfolg. Dabei wollte Deen eigentlich gar keine Krimis schreiben. Ein wenig ist das den Nachfolgebänden „Der Taucher“ und „Der Retter“ anzumerken. Denn auch wenn sie jeweils spannende Kriminalfälle schildern, ist ihnen die Charakterzeichnung und der Schauplatz – das Wattenmeer der Nordsee – wichtiger. Auch in Die Lotsin nähert sich Mathjis Deen ganz langsam seinen Figuren und lässt dem Meer viel Raum. Diesmal ist neben Schauplätzen in Kiel, Helgoland, Cuxhaven, Grönland und Texel das Schiff Anthropocene Schauplatz des Geschehens. Weiterlesen „Mathijs Deen – Die Lotsin“
Schlagwort: Krimi
Liz Moore – Der Gott des Waldes – Kurz vorgestellt
In einem wilden Waldgebiet in den Adirondeck Mountains nördlich von New York besitzt die wohlhabende Familie Van Laar nicht nur eine prächtige Sommerresidenz, sondern betreibt im dortigen Naturpark seit Jahrzehnten auch ein Sommerlager für junge Menschen. In der Natur sollen die Kinder und Jugendlichen ihre Überlebensfähigkeiten trainieren, Gemeinschaft erleben und die langen Sommerferien überbrücken. Diese Lageraufenthalte gehören für Generationen von amerikanischen Kindern zum Sommer dazu – mal geliebt, mal gefürchtet und gehasst. Doch was Liz Moore in ihrem neuen spannenden Roman Der Gott des Waldes aus einem solchen Ferienaufenthalt macht, ist wahrlich nervenzerreibend, auch für die Lesenden.
1975 – Barbara, die 13-jährige Tochter der Van Laars, nimmt auf eigenen Wunsch und gegen den Willen der Eltern erstmals auch am Lagersommer teil. Barbara ist ein schwieriger Teenager, kleidet sich entgegen der Mode der 70er punkig, eckt an, verträgt sich besonders mit ihrer Mutter nicht. In der Campleiterin T.J. Hewitt, von den Kindern respektiert und angehimmelt, hat sie schon lange eine schwesterliche Freundin, kennen die beiden sich doch schon lange, da T.J.s Vater zuvor schon in Diensten der Van Laars. In letzter Zeit wurde er ein wenig wunderlich und hat die Leitung des Camps an seine Tochter übertragen. Auch Barbaras Bettnachbarin Tracy wird sehr bald zu einer guten Freundin. Doch eines Morgens ist Barbaras Bett leer und das Mädchen spurlos verschwunden. Eine fieberhafte Suche beginnt.
Wechselnde Perspektiven und Zeitebenen
Die Betreuerin Louise und ihre Assistentin Annabel verlassen hin und wieder nachts ihre Betten, um sich auch ein wenig Vergnügen zu gönnen. In dieser Nacht waren beide unterwegs und sagen nicht die ganze Wahrheit. Aber auch Tracy und T.J. scheinen etwas zu verschweigen. Und die ganze Familie Van Laar benimmt sich merkwürdig. Vor vierzehn Jahren verschwand bereits der fünfjährige Sohn Bear aus dem Sommercamp und tauchte nie wieder auf. Auch damals gab es viele Fragen und Unstimmigkeiten. Ein Dorfbewohner starb an einem Herzanfall. Danach wurde er verdächtigt. Und was hat der unlängst aus der Haft geflohene „Schlitzer“, der sich Gerüchten nach in der Nähe aufhält, mit der Sache zu tun? Mit der jungen Ermittlerin Judyta, schaltet sich auch die Polizei ein.
In ständig wechselnden Perspektiven und auf verschiedenen Zeitebenen von 1950 bis 1975 beobachten wir das Geschehen, alle Protagonist:innen haben ein etwas anderes Wissen, das erst langsam enthüllt wird. Mit vielen gelungenen Cliffhangern hält Liz Moore die Leser:innen von Der Gott des Waldes über die nicht unbedeutende Lesestrecke bei der Stange. Es geht ihr dabei nicht nur um die Vermisstenfälle, sondern auch um ungute Familiendynamiken, Lieblosigkeit, Misogynie, soziale Ungleichheiten und Coming of age. Das ist sehr gut konstruiert und geschrieben. Und auch wenn das Ende mich nicht völlig überrascht hat und gern noch etwas offener hätte sein dürfen, schließt es die fast 600 Seiten zufriedenstellend ab. Ein Krimi, der weit mehr als nur das ist, oder aber genau das ist, was einen guten Krimi ausmacht: ein scharfes, genaues Gesellschaftsbild.
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Liz Moore – Der Gott des Waldes
Aus dem Englischen von Cornelius Hartz.
C.H.Beck Februar 2025, 590 Seiten, Hardcover, € 26,00
Jurica Pavičić – Mater dolorosa
Der kroatische Autor Jurica Pavičić überzeugte mich bereits mit seinem Roman Blut und Wasser, der ebenso wie der jüngst erschienene Mater dolorosa an der Grenze von Gesellschaftsroman und Krimi angesiedelt ist und einen genauen, kritischen Blick auf die moderne kroatische Gesellschaft wirft. Im neuen Werk steht wieder nicht das Verbrechen und der Täter im Mittelpunkt, auch geht es nicht in erster Linie um Ermittlungsarbeit und Aufklärung. Die Auswirkungen der Tat auf die Menschen, die direkt oder indirekt in das Geschehen involviert sind, und ihre soziokulturelle Umgebung, in der sie passierte, sind das, was den Autor interessiert. Weiterlesen „Jurica Pavičić – Mater dolorosa“
Mathijs Deen – Der Retter
Der Retter ist das dritte Buch des Holländers Mathjis Deen mit Kommissar Liewe Cupido nach Der Holländer und Der Taucher. Die Bücher eine Krimireihe zu nennen, scheue ich mich ein wenig. Es gibt viel polizeiliche Ermittlungsarbeit, Verbrechen und einen Leichenfund. Und doch drehen sie sich alle in erster Linie um ganz andere Dinge als Mord und Totschlag. Und bescheren trotz aller vorhandenen Spannung weder Gänsehaut noch Nervenkitzel, sondern verbreiten im Gegenteil eine große Ruhe und Entschleunigung. Weiterlesen „Mathijs Deen – Der Retter“
Shehan Karunatilaka – Die sieben Monde des Maali Almeida
Malinda Albert Kabalana ist unzweifelhaft tot. Wie das passiert sein kann, ist ihm schleierhaft. War er zuvor wie so oft im Casino in Colombo und hat dort sein Geld verspielt? Oder hat er sich mit seinem Geliebten DD in einer Hotelbar getroffen? Oder hatte er ein „Geschäftstreffen“ mit einem Pressevertreter oder einem Mitglied einer Regierungs- oder aber einer Rebellenorganisation, zwischen denen der Fotograf als „Fixer“ Kontakte vermittelte und denen er Fotos aus dem Bürgerkrieg Sri Lankas verkaufte? Maali Almeida, wie er auch genannt wird, dreht sich alles im Kopf, während er in einer ungemütlichen Wartehalle Schlange steht. Der Protagonist im 2022 mit dem Booker Prize ausgezeichneten Roman Die sieben Monde des Maali Almeida von Shehan Karunatilaka ist tot, aber damit ist für ihn noch nichts zu Ende. Auf über 500 wilden, mitreißenden Seiten erzählt er vom „Dazwischen“ in dem er gelandet ist. Weiterlesen „Shehan Karunatilaka – Die sieben Monde des Maali Almeida“
Javier Cercas – Blaubarts Burg
Als der Spanier Javier Cercas 2019 mit Terra Alta den ersten Teil einer geplanten Krimireihe veröffentlichte, hat das manchen überrascht. Vielleicht war es für den Autor meist zeithistorischer und politischer Texte nach einem wahren Shitstorm, der den erklärten Gegner des katalanischen Separatismus 2017 in seiner Heimat traf, an der Zeit, sich literarisch neu zu verorten. Mit Blaubarts Burg ist nun bereits der dritte Teil der nach der abgelegenen Terra Alta-Region benannten Reihe, in der Javier Cercas seine Protagonisten beheimatet, erschienen. Weiterlesen „Javier Cercas – Blaubarts Burg“
Donna Leon – Wie die Saat so die Ernte
Nach einigen recht melancholischen Bänden ihrer Commissario Brunetti-Reihe überrascht es beinehe, dass der neue Roman von Donna Leon fast ein wenig heiter daherkommt, obwohl sich die mittlerweile achtzigjährige Autorin in ihrem 32. Fall einem dunklen Kapitel der jüngeren italienischen Geschichte widmet, Wie die Saat, so die Ernte. Weiterlesen „Donna Leon – Wie die Saat so die Ernte“
Mathijs Deen – Der Taucher
Kommissar Liewe Cupido ist kein normaler Krimi-Ermittler, eben weil er so normal ist. Keine dunkle Vergangenheit, kein Alkohol, keine Drogen oder psychischen Probleme, wie sie so oft für Fahnder in diesem Genre bemüht werden. Ein einsamer Wolf zwar, verschlossen, wortkarg und irgendwie ziemlich melancholisch, aber auch bodenständig, pragmatisch und freundlich. Mathijs Deen lässt seinen Holländer (Cupido ist Beamter der Bundespolizei See in Cuxhaven, stammt aber ursprünglich von der Insel Texel) nun in Der Taucher ein zweites Mal einen ungewöhnlichen Mordfall untersuchen. Weiterlesen „Mathijs Deen – Der Taucher“
Volker Kutscher – Transatlantik
Der mittlerweile neunte Gereon-Rath-Roman von Volker Kutscher, Transatlantik, ist soeben erschienen. Die Veröffentlichung fällt zwar zusammen mit dem Sendestart der 4. Staffel des an der Serie orientierten bildgewaltigen „Babylon Berlin“, ich werde aber nicht müde zu betonen, dass Buch und Fernsehserie herzlich wenig miteinander zu tun haben. Die völlig frei adaptierte Verfilmung geht derart sorg- und gewissenlos mit ihrer Vorlage und vor allem den Protagonist:innen um, dass man die Bücher höchstens als Ideengeber betrachten kann. Die Romane von Volker Kutscher sind wesentlich historisch genauer, atmosphärisch treffender und vor allem tiefgründiger als die auf starke Effekte bauenden Filme.
Eigentlich hätten es nur acht Romane mit dem aus Köln stammenden Kriminalkommissar Gereon Rath werden sollen. 1936, als das Deutsche Reich vielleicht zum letzten Mal die Fassade eines modernen, offenen Landes und vor allen eines Rechtsstaats anlässlich der in Berlin stattfindenden Olympiade zu wahren suchte, sollte ursprünglich Schluss sein. Die 1929 mit Der nasse Fisch beginnende und sich mit jedem weiteren Band fortschreitend einem weiteren Jahr deutscher Geschichte widmende Kriminalreihe war von Beginn an ein Erfolg und eine so erhellende wie unterhaltende Lehrstunde zum Thema nationalsozialistische Machtergreifung. Irgendwann entschloss sich Autor Volker Kutscher, sie bis 1938 und damit dem zehnten Band fortzuführen, Transatlantik ist nun also der vorletzte und spielt im Jahr 1937.

Nach Olympia 1936
Den Vorgänger Olympia beendete Volker Kutscher ungewöhnlich mit einem leicht verwirrenden Epilog, auf den allerdings ein vorgestellter Prolog bereits verwies. „Die Vergangenheit hatte ihn (Anm. Rath) eingeholt“ hieß es da. Und Auftritt hatte eine alte Bekannte, mit der man allerdings schon nicht mehr gerechnet hatte: Gräfin Sorokina. In den über fünfhundert Seiten dazwischen ging es aber um ganz etwas anderes, nämlich um ein sich im völkischen Taumel auf die Olympiade in Berlin vorbereitendes Deutsches Reich, um Morde im Umkreis der Sportveranstaltungen, um eine alte Rechnung des Erzschurken, SS-Mann Sebastian Tornow, und natürlich um den politisch unzuverlässigen, aber irgendwie mitlaufenden Kriminalkommissar Gereon Rath, seine deutlich kritischere Frau Charly, deren ehemaligen Pflegesohn Fritz Thormann, der sich in seiner neuen Pflegefamilie zu einem strammen Hitlerjungen zu entwickeln scheint, und um all die vielen, von den sechs zuvor erschienenen Romanen bekannten Personen.
Ein großes Plus der Gereon-Rath-Reihe (und eigentlich jeder guten Krimireihe) ist, dass den Figuren reichlich Platz für Entwicklungen gegeben wird. Und so sind viele davon den Kutscher-Leser:innen so gut bekannt, dass es nur kurz dauert bis sie wieder vertraut sind. Für den Kutscher-Neuling allerdings ist diese Figurenfülle mit all ihren Verflechtungen hingegen wahrscheinlich kaum zu durchschauen. Überhaupt ist besonders dieser neunte Band kaum ohne den Vorgänger, an den er auf interessante Weise anknüpft, zu genießen. (Vorsicht Spoiler für alle, die Olympia noch nicht gelesen haben!)

Wie geht es weiter mit Gereon Rath?
Olympia endete wie gesagt mit einem Epilog, der acht Monate nach der Handlung angesiedelt ist und in einem für die stets sehr detailreichen und sorgfältigen Rath-Romane untypischen Schnelldurchlauf die Stationen Gereons nach seiner vorgetäuschten Erschießung durch Reinhold Gräf, seine Wiederbegegnung mit Gräfin Sorokina und beider Reise im Mai 1937 mit dem Luftschiff Hindenburg (ja, da klingelte etwas ganz massiv!) nach New York abhandelte. Warum diese Eile, fragte sich da vielleicht so manche Leserin, so mancher Leser. Und war natürlich extrem gespannt, weniger ob als wie Rath das schreckliche Unglück von Lakehurst, bei dem der Zeppelin in Flammen aufging, überlebt hat.
Volker Kutscher verrät es in Transatlantik erst nach zirka der Hälfte des Romans. Davor breitet er die Monate, die er in Olympia im Epilog so gestrafft hat, vor uns aus. Er erzählt von der neuen Existenz Raths als Wilhelm Kessler, der in Wiesbaden als Weinlieferant vor der Verfolgung durch SS-Mann Tornow untergetaucht ist. Wie er dort zufällig Gräfin Sorokina wiederbegegnet, ihr bei der Beseitigung einer Leiche hilft und zum Lohn mit ihr nach New York fliegen darf. Und er erzählt von der Ungewissheit Charlys über seinen Verbleib. Das ist aber nicht ihre einzige Sorge. Fritze Thormann ist wegen seiner Aussage gegen einen Polizisten und der missglückten Flucht zu seiner Jugendliebe Hannah Singer in der geschlossenen psychiatrischen Anstalt gelandet, aus der Charly ihn zwar freiboxt, aber nur mit dem Ergebnis, dass er wieder zur Pflegefamilie Rademann zurück muss. Außerdem ist ihre Freundin Greta nicht nur seit Tagen verschwunden, sondern steht auch unter Mdem Verdacht, ihren Geliebten, den SS-Mann Klaus von Rekowski, umgebracht zu haben. Bald weiß Charly nicht mehr, wem sie noch trauen kann.

Komplexe Handlung
Der neunte Roman um Gereon Rath ist wieder hochkomplex, figurenreich, atmosphärisch und spannend. Er führt in die höchsten Kreise, bis auf den Landsitz Carinhall von Hermann Göring in Brandenburg. Für Neueinsteiger würde ich dringend einen der vorigen Bände empfehlen. Hiermit zu beginnen ist sicher ein wenig schwierig. Für alle „alten Rath-Hasen“ bietet Transatlantik nicht nur ein Wiedersehen mit all den bekannten Figuren, sondern die bewährte Mischung aus Spannung, Atmosphäre und historischer Genauigkeit. Volker Kutscher gelingt in seiner Krimireihe, die düsteren Veränderungen in Deutschland, den Übergang von Weimarer Republik zur absoluten Nazi-Diktatur als Prozess greifbar zu machen. Die Schilderung einer Luftschutzübung beispielsweise lässt spüren, wie die Menschen auf kriegerische Auseinandersetzungen förmlich eingeschworen wurden. Kutscher vermeidet dabei nicht jedes Klischee, aber bürstet sie meistens zumindest ein wenig quer.
Nun heißt es wieder ein wenig zu warten. Gleichzeitig wünscht man sich aber auch, dass der nächste, der zehnte Band nicht zu schnell kommt. Denn das wird dann das Ende einer wirklich sehr guten historischen Kriminalserie sein. Spuren dazu hat Volker Kutscher zumindest schon gelegt, mit einer „Ostpassage“ endet Transatlantik. Und mit an Bord ist nicht nur Gereon Rath, sondern auch sein einst vom Vater verstoßener Bruder Severin. Man darf gespannt sein.
Eine wunderbare Besprechung findet ihr auch bei Uwe Kalkowski Kaffeehaussitzer, der auch ein großer Fan der Reihe ist und bei Litterae artesque.
Beitragsfoto by Sam Shere (1905–1982), Public domain, via Wikimedia Commons
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Volker Kutscher – Transatlantik
592 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, € 26,00
Donna Leon – Milde Gaben
Milde Gaben – Milde Spannung. So könnte man titeln, wäre nicht das schon eine regelrechte Übertreibung. Donna Leon, wahrlich noch nie eine Vertreterin der handlungsgetriebenen, actionreichen Spannungsliteratur, sondern eher der leisen, atmosphärischen Krimis, hat sich mit ihrem neuesten Brunetti, dem mittlerweile 31. Band, Milde Gaben, selbst über- oder soll man lieber sagen unterboten. Ist es typisch und irgendwie liebgewonnene Tradition, dass in den jährlich im Mai erscheinenden Vendig-Krimis die Verbrechen sich erst im Laufe der Erzählung herauskristallisieren, ja manchmal gar nicht wirklich vorhanden sind, und sich auch die Sapnnung sehr langsam auf ein eher mittleres Niveau hochschraubt, weiß man bei Milde Gaben als Leserin tatsächlich auch am Ende nicht, was Donna Leon da eigentlich erzählt hat. Weiterlesen „Donna Leon – Milde Gaben“